Beitrag vom 26.07.2025
NZZ
Die USA lassen Migranten nach Afrika ausschaffen
Eine Million Migranten will die Regierung von Donald Trump jedes Jahr abschieben. Amerikanische Diplomaten sondieren Dutzende von möglichen Aufnahmeländern. Über die Hälfte von ihnen liegt in Afrika.
Samuel Misteli, Nairobi
Möglich, dass die fünf Männer, die Mitte Juli auf einem Flughafen im südlichen Afrika landeten, noch nie zuvor von dem kleinen Königreich gehört hatten, in das sie gebracht wurden: Eswatini, knapp halb so gross wie die Schweiz, 1,2 Millionen Einwohner, regiert seit 1986 von Mswati III., dem letzten absoluten Monarchen Afrikas.
Die Männer, die landeten, kamen aus Vietnam, Jamaica, Laos, Jemen und Kuba. Ihr Flug war in den USA gestartet, die dortige Regierung schaffte sie aus – in ein Land, das nicht das ihre ist. Als Abschiedsgruss schickte ihnen eine Sprecherin des Ministeriums für Inlandsicherheit auf X hinterher: Sie seien «einzigartig barbarische» Personen. Die Ausgeschafften seien verurteilt worden wegen Verbrechen wie Mord, Raubüberfall oder Kindsmissbrauch.
Eswatini ist der neuste Schauplatz des Versuchs der amerikanischen Regierung, so viele Migranten wie möglich zu deportieren – und dadurch andere Migranten von der Reise in die USA abzuschrecken. Eine Million Ausschaffungen hat die Regierung als jährliches Ziel ausgegeben. Ein wichtiges Element sollen Deportationen in Drittstaaten sein.
Laut einem Bericht der «New York Times» von Ende Juni haben amerikanische Diplomaten 58 Länder mit der Anfrage kontaktiert, ob sie ausgeschaffte Migranten aus den USA aufnehmen würden. Auffällig viele der kontaktierten Länder liegen in Afrika: 31, mehr als die Hälfte.
In Afrika fürchten deshalb viele, der Kontinent könnte zu einem Abstellplatz für aus den USA abgeschobene Migranten werden und zum Handlanger für eine rechtlich umstrittene Politik.
USA drohen mit Einreiseverboten
In den vergangenen Monaten haben die USA mehrere hundert Migranten in Drittstaaten ausgeschafft. Im Februar, wenige Monate nach Trumps Amtsantritt, wurden rund 300 Migranten nach Panama deportiert, rund 200 nach Costa Rica. Die Männer kamen unter anderem aus Afghanistan, Kamerun, Indien, Iran, China und der Türkei. Im März flogen die USA 300 angebliche Gangmitglieder aus Venezuela nach El Salvador, wo diese in einem berüchtigten Hochsicherheitsgefängnis untergebracht wurden.
Das soll nur der Anfang gewesen sein. Um Länder dazu zu bewegen, Ausschaffungsflüge landen zu lassen, üben die USA offenbar Druck aus. Und gerade in Afrika scheinen sie viele Staaten identifiziert zu haben, die den Druckversuchen wenig entgegenzusetzen haben.
Als wichtigstes Mittel dient die Drohung, Visabeschränkungen zu erlassen. Im Juni gaben die USA Einreiseverbote für Bürgerinnen und Bürger von 19 Ländern bekannt und kündigten an, Verbote für 36 weitere Länder zu prüfen. 10 der 19 Länder mit Verboten und 25 der 36, die überprüft werden, sind afrikanische Länder. Laut der «New York Times» teilen amerikanische Diplomaten den betroffenen Ländern mit, dass sie von der Liste gestrichen werden könnten, wenn sie einwilligten, Migranten aufzunehmen, die nicht ihre eigenen Staatsbürger sind.
Ein weiteres Druckmittel sind Zölle. Die von Trump angedrohten Zölle sind für manche afrikanischen Länder wirtschaftlich existenzbedrohend. Migranten aufzunehmen, um dafür nicht mit hohen Zöllen belegt zu werden, ist für sie ein mögliches Arrangement.
Folter und Tötungen in Eswatini und im Südsudan
Der erste Flug mit aus den USA ausgeschafften Migranten landete Anfang Juli im Südsudan. Die acht Männer – unter anderem aus Kuba, Mexiko, Südkorea und Vietnam – hatten zuvor mehrere Wochen in einem Schiffscontainer auf einer amerikanischen Militärbasis in Djibouti verbracht, weil ein Richter im Teilstaat Massachusetts die Ausschaffung in den Südsudan gestoppt hatte. Der Supreme Court erklärte die Deportation Ende Juni dann für rechtens – worauf die Männer in die südsudanesische Hauptstadt Juba geflogen wurden.
Neben dem Südsudan und Eswatini hat sich in Afrika laut Berichten auch Rwanda bereit erklärt, von den USA ausgewiesene Migranten aufzunehmen. Ein irakischer Staatsbürger wurde bereits nach Rwanda geflogen, was die USA dem zentralafrikanischen Land mit 100 000 Dollar vergüteten. Rwanda – eine Diktatur, in der seit dreissig Jahren derselbe Mann regiert – hatte sich in den vergangenen Jahren schon europäischen Ländern als Abnehmer von Migranten angeboten.
Ausschaffungen in Drittstaaten sind rechtlich umstritten. Internationales Recht verbietet es, Asylsuchende und Migranten in Staaten zu bringen, in denen ihnen Folter oder andere Formen von Misshandlung drohen.
Mehrere europäische Länder haben Drittstaatenlösungen geprüft. Grossbritannien verwarf ein Abkommen mit Rwanda im Sommer 2024 wegen der Kosten, die sich zu dem Zeitpunkt auf fast 800 Millionen beliefen, und wegen rechtlicher Bedenken. Auch ein Drittstaatenmodell mit Albanien der italienischen Regierung hat mehrfach juristische Rückschläge erlitten.
Der amerikanische Supreme Court dagegen urteilte, Abschiebungen in Drittstaaten seien zulässig, wenn das Aussenministerium der Ansicht sei, die abgeschobenen Migranten seien in den Aufnahmeländern sicher.
Im Fall vieler afrikanischer Länder, die als Aufnahmeländer zur Diskussion stehen, ist dies fraglich. In einem Bericht über die Menschenrechtssituation im Südsudan schrieb das amerikanische Aussenministerium Anfang 2024, es gebe glaubwürdige Berichte über aussergesetzliche Tötungen, Verschwindenlassen, Folter oder unmenschliche und demütigende Behandlung durch die Sicherheitskräfte. Die USA raten von Reisen in den Südsudan ab. Im März dieses Jahres zog die amerikanische Botschaft aufgrund der Sicherheitslage nicht zwingend benötigtes Personal aus dem Land ab.
Auch im Fall von Eswatini beschreibt das Aussenministerium in Berichten aussergerichtliche Tötungen und Folter von Oppositionellen und Menschenrechtsaktivisten.
«Das ist nicht Diplomatie, sondern Menschenhandel»
Die Abschiebungen nach Afrika sorgen deshalb für viel Kritik, auch in den Aufnahmeländern. Eine Koalition von zivilgesellschaftlichen Organisationen in Eswatini schrieb in einem Statement: «Diese Situation ist ein gefährliches Präjudiz, indem mächtige Länder kleinere, wirtschaftlich schwächere Staaten als Müllkippen für unerwünschte Individuen benützen könnten.» Eine Oppositionspartei sagte: «Das ist nicht Diplomatie, sondern Menschenhandel verkleidet als Ausschaffungsabkommen.»
Ähnlich klang es im Südsudan. «Unser Land ist keine Deponie für Kriminelle», sagte ein zivilgesellschaftlicher Aktivist der Nachrichtenagentur AP.
Nigeria, das bevölkerungsreichste Land auf dem Kontinent, hat angekündigt, sich dem amerikanischen Druck bezüglich Visaverschärfungen nicht beugen zu wollen. Der Aussenminister Yusuf Tuggar sagte im Juli in einem Fernsehinterview: «Es ist schwierig für ein Land wie Nigeria, venezolanische Häftlinge aufzunehmen. Wir haben bereits mehr als 230 Millionen Menschen hier, wir haben genügend eigene Probleme.»
Viele afrikanische Länder dürften aber nicht über das Selbstbewusstsein verfügen, die amerikanischen Druckversuche abzuschlagen. Es ist deshalb wahrscheinlich, dass schon bald weitere Abschiebeflüge in Richtung Afrika abheben werden.