Direkt zum Inhalt
Für eine andere Entwicklungspolitik!

Beitrag vom 09.07.2025

epo

Baumwollbauern in Kamerun: Arm ist nicht gleich arm

Von Roger Peltzer

Im Frühjahr 2025 hat das renommierte kamerunische Forschungsinstitut IRESCO zusammen mit der Baumwollgesellschaft Sodecoton und Afriland Firstbank eine repräsentative Studie zum „living income“ von Baumwollbauern in Nordkamerun veröffentlicht. Demnach liegt das Einkommen der Bauern im Durchschnitt um 50 Prozent unter dem Einkommen, das ein „anständiges Leben“ ermöglichen würde, und weit unter dem Schwellenwert, mit dem die Weltbank „absolute Armut“ definiert. Bei genauerer Betrachtung leben die meisten Bauernhaushalte dennoch nicht in absolutem Elend. Und es gibt Wege, wie Einkommen und Lebensbedingungen verbessert werden können, schreibt Roger Peltzer in seinem Beitrag.

Nach der international anerkannten Anker-Methode bezeichnet das „living income“ das Einkommen, das eine Bauernfamilie erreichen muss, um ein anständiges Leben mit ausreichender Nahrung, ausreichendem Wohnraum und Ausbildungsmöglichkeiten für die Kinder führen zu können. Die Studie, bei der knapp 1.000 Bauernhaushalte im Norden Kameruns befragt worden sind, zeigt, dass das tatsächliche Einkommen der Bauern mit 200 US-Dollar pro Monat für eine neunköpfige Familie um 50 Prozent unter dem nötigen „living income“ liegt. Dieses tatsächliche Einkommen ist nochmals um 25 bis 30 % niedriger als der von der Weltbank definierte Schwellenwert für absolute Armut.

Schaut man sich die Einkommen der Familien in Abhängigkeit von der Größe des Betriebes an, so ergibt sich ein etwas differenzierteres Bild. Die Haushalte, die mehr als 5 ha Baumwolle, bzw. 15 ha insgesamt bewirtschaften, erzielen ein Haushaltseinkommen, das in etwa dem „living income“ von $450 pro Monat entspricht. Sie machen aber weniger als 10 % aller Betriebe aus. Die 50% der Betriebe, die weniger als 3 ha Baumwolle bzw. 5,5 ha insgesamt bewirtschaften, liegen mit ihren Einkommen nur bei ca. 30 % des „living income“. Dabei ist zu beachten, dass alle Bauernhaushalte neben Baumwolle auch noch Nahrungsmittel wie Mais, Sorghum, Soya und Erdnüsse anbauen.

Die gleichzeitig zur Studie durchgeführte qualitative Befragung zeigt auch, dass die allermeisten Bauernhaushalte dennoch nicht im absoluten Elend leben. Der tägliche Kalorienbedarf wird in der Regel gedeckt. Es fehlt allerdings deutlich an Vitaminen und Proteinen. Die durchschnittliche Entfernung zum nächsten Gesundheitsposten liegt bei 3,5 km und bei der Grundschule liegt bei anderthalb Kilometern, was akzeptabel ist. Allerdings sind für eine Minderheit der befragten Haushalte die Wege deutlich zu lang. Die Toiletten («Plumpsklos») sind durchweg in einem akzeptablen Zustand. Die Küche befindet sich in 99 % der Fälle außerhalb des Wohnraumes.

Kritisch ist vielfach die Entfernung zur nächsten sauberen Trinkwasserquelle. 30 Prozent der Haushalte geben an, in der Nähe keinen Zugang zu Trinkwasser zu haben. Die allermeisten Kinder gehen mittlerweile zur Grundschule, aber nur 75 % der Jungen und nur 55 % der Mädchen schließen dann auch die 6jährige Schulzeit regulär ab.

Wie können Einkommen und Lebensbedingungen verbessert werden?

Die Studie ist von der kamerunischen Baumwollgesellschaft Sodecoton mitfinanziert worden. Diese hat die knapp 200.000 BaumwollbäuerInnen unter Vertrag, beliefert sie mit Saatgut, Düngemitteln und Pflanzchemikalien und kauft im Gegenzug die gesamte in Kamerun produzierter Baumwolle auf. Diese Saatbaumwolle wird von von Sodecoton entkörnt und dann auf dem Weltmarkt verkauft, zu einem großen Teil nach Bangladesch. Die Baumwollsaat wird – bis auf eine Teilmenge, die für die Aussaat in der nächsten Saison benötigt wird – zu Baumwollspeiseöl weiterverarbeitet und auf dem lokalen Markt verkauft.

Die wirtschaftliche Existenz von Sodecoton hängt also daran, dass die Bauern auch in zukunft Baumwolle produzieren. Das ist insbesondere für die nachkommenden Generationen keine Selbstverständlichkeit mehr. Diese wird nur dann nicht zu einem großen Teil in die Städte und vielleicht nach Übersee abwandern, wenn der Bauernberuf auf längere Sicht attraktiv ist. Sodecoton hat die Studie auch deshalb mit auf den Weg gebracht, um besser zu verstehen, wie die Lebensbedingungen „ihrer“ Bauern systematisch verbessert werden können.

Nun beziehen die Bauernfamilien nur ca. 50 % ihres Einkommens aus dem Anbau und dem Verkauf der Saatbaumwolle. Sie bauen außerdem in der Fruchtfolge Mais, Soya, Erdnüsse, Sorghum etc. an. Die Frauen betreiben zudem teilweise Gemüseanbau, Kleinviehzucht und auch Handel. Eine Strategie zur Einkommenserhöhung darf also nicht nur bei der Baumwolle ansetzen.

Dabei bleiben der Baumwollpreis und die Produktivität des Baumwollanbaus sicher die Hauptfaktoren für eine Einkommensverbesserung der Bauern. Allerdings ist der Baumwollpreis abhängig vom Weltmarktpreis. Der Anteil, den die Bauern bekommen, wird jährlich zwischen der Baumwollgesellschaft, dem Bauernverband und der Regierung auf Augenhöhe verhandelt. Das spielt sich nicht viel anders ab als bei Tarifverhandlungen in Deutschland. Dabei setzen Sodecoton und Bauernverband auf eine konsequente und professionelle Nutzung der internationalen Terminmärkte. So gelingt es ihnen, Preisschwankungen abzufedern und im Schnitt auch etwas bessere Preise zu erzielen als der Marktdurchschnitt hergibt.

„Prämien“ sind nicht die Lösung

Könnte nun den Bauern durch eine Prämie, einen Aufschlag auf den Weltmarktpreis, geholfen werden? Das ist nicht unproblematisch. Zum einen würden sich so die relativen Preise zwischen der Baumwolle und den Grundnahrungsmitteln verschieben, die die Bauern ebenfalls anbauen. Das könnte zu einer übermäßigen Ausdehnung der Baumwollanbauflächen zu Lasten der anderen Feldfrüchte führen. Dies wiederum hätte negative Folgen für den Fruchtwechsel, die Bodenfruchtbarkeit und nicht zuletzt auch für die Nahrungsmittelsicherheit. Auch hat die Vergangenheit gezeigt, dass „künstliche“ Preisprämien oft starke Weltmarktpreisschwankungen nicht überstehen und somit wenig nachhaltig sind.

Wie sieht es nun mit der Produktivität im Baumwollanbau aus? Kamerun erzeugt in einem durchschnittlichen Jahr 1.300 kg Saatbaumwolle pro Hektar. Das ist im Regenfeldanbau (keine künstliche Bewässerung) die mit Abstand höchste Produktivität in Afrika und auch deutlich höher als z.B. der Durchschnitt in Indien (bei Regenfeldanbau). Ursache dafür ist, dass Sodecoton und das frz. Institut CIRAD seit Jahren systematisch an einer Verbesserung des konventionellen Saatgutes arbeiten. Zudem hat Sodecoton durch verschiedene Maßnahmen dafür gesorgt, dass die Bauern die gelieferten Düngemittel überwiegend für den Baumwollanbau einsetzen und nicht für ihre anderen Feldfrüchte abzweigen.

Insgesamt muss man aber davon ausgehen, dass es nicht so einfach sein wird, weitere deutliche Produktivitätssteigerungen bei der Baumwolle zu erzielen. Hoffnung machen allerdings Tests mit sogenannter „Biokohle“, die aus Pflanzresten gewonnen und zur Steigerung der Bodenfruchtbarkeit eingesetzt wird. Deren Einsatz führte bei Testbauern zu erstaunlichen Ertragsteigerungen.

Einkommenssteigerungen aus anderen Aktivitäten

Während die Erträge im Baumwollanbau in Kamerun recht hoch sind, erbringen die Rotationskulturen Mais und Sorghum mit ca. 1.500 Kilogramm pro Hektar nur sehr niedrige Erträge. Mit dem Einsatz von hochwertigem Saatgut und Düngemitteln können diese Erträge leicht auf 3.500 – 4.000 kg pro Hektar gesteigert werden. Sodecoton hat bereits erfolgreich Mechanismen getestet, den Bauern auch entsprechendes Saatgut und Düngemittel für diese Aktivitäten bereitzustellen.

Der Kampf gegen die Bodenerosion und für die Erhöhung der Kapazität der Böden, das immer unregelmäßiger fallende Regenwasser zu speichern, ist ein weiteres wichtiges Glied, um die Fruchtbarkeit der Böden langfristig zu steigen. Dazu gehört auch der verstärkte Einsatz von organischem Kompost. Sodecoton fördert deshalb in großem Umfang die Anlage von Steinwällen, die verhindern, dass Regenwasser abfließt und fruchtbarer Boden weggeschwemmt wird, sowie den Einsatz von organischem Dünger. Für die dabei anfallende Arbeit brauchen die Bauern aber entsprechendes Gerät – Handkarren, Transportfährräder – oder Zugtiere. Der Anreiz, sich diese Hilfsmittel auf Kreditbasis anzuschaffen, kann durch Zinssubventionen gesteigert werden.

Insbesondere die Baumwollbäuerinnen gehen vielfach Nebenerwerbstätigkeiten nach. Dabei handelt es sich um Gemüseanbau, Kleinviehzucht oder Handelsaktivitäten. Diese Aktivitäten erfordern Investitionen: den Bau von Zäunen, Ställen, ggf. Brunnen, den Erwerb von Küken etc. Die Investitionen können die Bäuerinnen i.d.R. besser stemmen, wenn sie sich in Genossenschaften zusammenschließen, einen kleinen Businessplan erarbeiten, gemeinsam bei ihrer Genossenschaftsbank einen Kredit beantragen. Dazu müssen sich die Frauenvereinigungen in reguläre Genossenschaften verwandeln. Dafür und für die Erarbeitung von Businessplänen brauchen sie Unterstützung. Drei qualifizierte Frauen im Beratungsservice von Sodeocton könnten helfen, in wenigen Jahren hunderte solcher Frauen-Genossenschaftsprojekte auf den Weg zu bringen.

Auch wenn die Baumwollbauernfamilien ihre Düngemittel, Saatgut und Pflanzchemikalien von Sodecoton auf Kredit geliefert bekommen, so haben die Haushalte im Alltag doch einen erheblichen zusätzlichen Kreditbedarf. Da kann es sich um die Schuluniformen für die Kindern handeln, die bezahlt werden müssen, bevor die Erlöse für die Baumwollernte anfallen. Es kann sich um plötzliche Gesundheitsausgaben handeln oder auch darum, dass der Zeitraum zwischen Ernte und Überweisung von Sodecoton überbrückt werden muss. Da können schnell 2 – 3 Monate vergehen, ehe das Geld kommt. Nicht zuletzt gibt es gerade zur Erntezeit in den Dörfern viel Kriminalität.

Die Bauernfamilien gewinnen Sicherheit, wenn sie ihr Geld geschützt anlegen können. Alle diese Bedarfe können dörfliche Genossenschaftsbanken der Bauern befriedigen. Dort kann das Geld mit 2- 3 % Zinsen angelegt werden. Und dort bekommen die Bauern auch zu 15 % kurzfristig Kredite für die genannten Bedarfe. Beim örtlichen Geldverleiher müssen sie schnell das Doppelte und mehr bezahlen.

Bis jetzt sind in Kamerun 8 % der Baumwollbauernfamilien in Genossenschaftsbanken organisiert. Das Ziel von Sodecoton und des Baumwollbauernverbandes ist es, diesen Prozentsatz in den nächsten 5 Jahren auf mehr als 50 % zu steigern. Allein diese Maßnahme wird das Nettoeinkommen der Bauernfamilien verbessern, weil sie Zinskosten einsparen, Zinsen für ihre Ersparnisse verdienen und Transportkosten zu weit entfernten Banken sparen. Mit ihren Genossenschaftsbanken können sie dann auch eine sog. Warrantage vereinbaren. D.h. die Bauern lagern ihren Mais nach der Ernte (wenn die Preise besonders niedrig sind), anstatt ihn zu verkaufen, erhalten aber von ihrer Genossenschaftsbank ein Vorauszahlung von 60 % des Marktpreises. Sie verkaufen dann den Mais 6 oder 7 Monate später, wenn die Preise sehr hoch sind, zahlen die Vorauszahlung zurück und kassieren den Gewinn ein. Auch so kann substantiell Zusatzeinkommen generiert werden.

Was tun?

Die Baumwollgesellschaft Sodecoton, der Baumwollbauernverband CNPCC und der Dachverband der MUFID-Genossenschaftsbanken haben mit der Studie einen 5-jährigen Aktionsplan vorgelegt, mit dem die genannten Maßnahmen und Investitionen in die soziale Infrastruktur (Bau von Grundschulen, Gesundheitsposten und Trinkwasserbrunnen) finanziert werden sollen. Der Plan ist mit 15 Mio. Euro budgetiert, 5 Mio. Euro wollen die Partner in Kamerun selbst aufbringen. 10 Mio. Euro sollen durch externe Geber aufgebracht werden. Das sind 2 Mio. Euro pro Jahr. Mit diesem Aktionsplan soll der festgestellte „living income gap“, also der Unterschied zwischen dem realen Einkommen der Bauern und dem anzustrebenden „living income“, nachprüfbar und substantiell verringert werden. Davon würden 200.000 Bauernhaushalte mit ca. 1,5 Mio Personen und darüber hinaus durch Multiplikatoreffekte die ganze Region Nordkamerun profitieren.

Wie können diese 2 Mio. Euro aufgebracht werden? Eine besondere Verantwortung kommt dabei der Aid by Trade Stiftung in Hamburg (AbtF), die Eigentümer der Marke Cotton made in Africa (CmiA) ist, zu. Diese Marke verspricht dem Verbraucher, der Textilien kauft, die mit CmiA-Baumwolle hergestellt wurde, dass er durch den Kauf zur Verbesserung der Lebensbedingungen der Bauern in Afrika beiträgt. Nun ist die gesamte kamerunische Baumwollproduktion nach CmiA zertifiziert. Rund ein Fünftel der gesamten CmiA-Baumwolle kommt aus Kamerun. Wenn AbtF den Anspruch von CmiA ernst nimmt, müsste sie substantiell zur Finanzierung dieses Aktionsplanes beitragen. Das sollte der Stiftung auch nicht so schwerfallen, erzielt sie doch aus dem Verkauf der Marke CmiA Lizenzgebühren und unterm Strich auch Gewinne, die in Afrika reinvestiert werden können. Zurzeit betragen die CmiA Lizenzgebühren grob gerechnet weniger als 1 cent pro CmiA-Bekleidungsstück (T-Shirt, Schlafanzug, Unterhose etc.). Wenn man diese Lizenzgebühren verdoppeln würde, könnte AbtF genügend Lizenzeinnahmen erzielen, um einen großen Teil der externen benötigten Gelder für den genannten Aktionsplan zu finanzieren.

Neben der Aid By Trade Stiftung können aber auch internationale Baumwollhändler, die Baumwolle aus Kamerun beziehen, mit ihren Stiftungen zur Finanzierung des Aktionsplanes beitragen. Gefragt ist sicher auch die deutsche EZ, die seit vielen Jahren im Norden Kameruns sehr aktiv ist. Sie könnte sehr effizient und mit geringen Transaktionskosten zum Gelingen des Aktionsplanes beitragen.

Die Verbesserung der Lebensbedingungen von Bauern in Afrika scheint ein sehr hoch gestecktes, fast nicht erreichbares Ziel zu sein. Schaut man aber genauer hin, erweist sich, dass dieses Ziel mit den richtigen Maßnahmen und begrenzten Mitteln erreicht werden kann.

-----------------------------------
Roger Peltzer ist Diplomvolkswirt, hat zuletzt als Abteilungsleiter bei der DEG – Deutsche Investitions- und Entwicklungsgesellschaft gearbeitet und ist jetzt im Ruhestand. Seit Beginn dieses Jahres ist er Vorsitzender des neu gegründeten Vereins „Pro Small Holder Farmers Africa“. Am Zustandekommen und der Implementierung der Studie «Conceptualisation and definition of decent living standards in Cameroon rural cocoa-growing areas in line with the Anker Methodology», der ersten Studie dieser Art in Afrika, war Peltzer maßgeblich beteiligt.