Beitrag vom 04.06.2025
FAZ
Diplomatischer Triumph für Marokko
Von Hans-Christian Rößler
Nach den USA, Frankreich und Spanien begnügt sich jetzt auch Britannien mit einer Autonomie für die Westsahara. In London schwärmt man vom großen wirtschaftlichen Potential Marokkos.
Für Marokko bedeutet es einen neuen diplomatischen Triumph. Im Konflikt um die Westsahara macht sich die dritte Veto-Macht im UN-Sicherheitsrat den marokkanischen Autonomieplan zu eigen und spart dabei nicht mit Superlativen: Der Vorschlag aus Rabat sei die „glaubwürdigste, praktikabelste und pragmatischste Grundlage“ für eine Lösung, sagte der britische Außenminister David Lammy in Rabat.
Vor der britischen Regierung hatte im Juli 2024 der französische Präsident Emmanuel Macron den Plan schon als „einzige Grundlage“ gelobt. In seiner ersten Amtszeit ging im Dezember 2020 der amerikanische Präsident Donald Trump voran und erkannte die marokkanische Souveränität über die ehemalige spanische Kolonie an. Spanien tat es vor drei Jahren mit fast den gleichen Worten, die der britische Außenminister wählte.
Unter den großen westlichen Regierungen ging praktisch nur noch Deutschland nicht so weit. Man kann in Berlin dem Autonomieplan zwar etwas abgewinnen, besteht aber weiterhin auf einer „für alle Seiten annehmbaren“ Lösung im Rahmen der UN. Ursprünglich sollten die Einwohner der ehemaligen spanischen Kolonie in einem Referendum darüber abstimmen, ob sie zu Marokko gehören oder unabhängig werden wollen. Aus Sicht der UN, die seit 1991 in der Region eine eigene Mission (Minurso) unterhält, ist die Westsahara das einzige Gebiet in Afrika, dessen Entkolonialisierung noch nicht abgeschlossen ist.
Immer mehr Staaten sind jedoch engere Beziehungen zu Marokko wichtiger als die Beilegung des Konflikts, dessen Beginn sich in diesem November zum 50. Mal jährt. Nach dem spanischen Rückzug schickte damals König Hassan II. 350.000 unbewaffnete Marokkaner in die Westsahara, um seine Ansprüche auf die ehemalige Kolonie an der Atlantikküste zu untermauern.
Lammy hofft im Fußball „auf große Erfolge“
Zum ersten Mal seit 14 Jahren war am vergangenen Wochenende wieder ein britischer Außenminister in Rabat zu Gast. David Lammy schwärmte dort vom großen wirtschaftlichen Potential des nordafrikanischen Landes. Man hoffe „auf der größten Bühne des Fußballs auf große Erfolge“, sagte er mit Blick auf die WM, die Marokko zusammen mit Spanien und Portugal 2030 austragen wird. Dafür modernisiert das Königreich nicht nur seine Sportstätten massiv – und britische Firmen wollen mitspielen.
„Starmer ändert 50 Jahre Außenpolitik, um ein 33-Milliarden-Pfund-Geschäft mit Marokko abzuschließen“, titelte die britische Zeitung „Independent“. Dabei könnte es auch um Projekte in der Westsahara gehen, meldete die staatliche marokkanische MAP. Die staatliche britische Exportkreditagentur will angeblich in Marokko Vorhaben im Wert von bis zu sechs Milliarden Euro absichern. Im vergangenen Herbst war der französische Präsident Macron zusammen mit einer großen Unternehmerdelegation zu einem mehrtägigen Staatsbesuch in dem nordafrikanischen Königreich. Damals ging es angeblich um neue Investitionen von bis zu zehn Milliarden Euro.
Die französische Annäherung an Marokko hatte zu einer drastischen Verschlechterung der Beziehungen zwischen Paris und Algier geführt. Algerien ist die Schutzmacht der Polisario-Befreiungsfront, die seit einigen Jahren wieder mit Waffengewalt für eine unabhängige Westsahara kämpft. Algerien „bedauerte“ sofort die britische Unterstützung für den Autonomieplan, den Marokko 2007 in einem Brief den Vereinten Nationen vorgelegt hatte und der bis heute vage geblieben ist.
Das gilt nicht nur für die Kompetenzen einer möglichen Autonomieregierung unter marokkanischer Oberhoheit. Es ist auch unklar, was mit den gut 20 Prozent des Gebiets geschehen soll, das heute unter der Kontrolle der Polisario steht. Und unter welchen Bedingungen die mehr als 170.000 Flüchtlinge zurückkehren, die seit Jahrzehnten in Lagern in der algerischen Wüste bei Tinduf hausen.
1,2 Milliarden Euro für neuen Hafen
Doch mit seiner Treue zur Polisario ist Algerien immer stärker isoliert. Algier unterhält engere Beziehungen zu Russland und China. Die beiden Veto-Mächte halten sich im Westsahara-Konflikt bisher zurück; vor allem für China haben gute Wirtschaftsbeziehungen nach Afrika Priorität. In Washington ist mit Donald Trump der Präsident ins Weiße Haus zurückgekehrt, der 2020 mit einem seiner „Deals“ für Bewegung in der Westsahara sorgte. Die amerikanische Anerkennung der marokkanischen Ansprüche auf die Westsahara führte dazu, dass Marokko und Israel diplomatische Beziehungen aufnahmen, die auch unter dem Gazakrieg nicht litten.
Der marokkanische Autonomieplan sei „die einzige Grundlage für eine gerechte und dauerhafte Lösung“, bekräftigte im Frühjahr der amerikanische Außenminister Marco Rubio. Präsident Joe Biden hatte in seiner Amtszeit Trumps Westsahara-Politik nicht korrigiert, auch wenn bis heute das angekündigte amerikanische Konsulat in der Westsahara nicht eröffnet wurde. Aufmerksam wurde jedoch registriert, dass Ende 2024 Jared Kushner und Ivanka Trump in der Hafenstadt Dakhla einen privaten Badeurlaub verbrachten.
Im Süden der Westsahara schafft die marokkanische Regierung längst Tatsachen. Der einstige spanische Küstenort Villa Cisneros verwandelt sich gerade in eine Großbaustelle. Für den neuen Hafen gibt man 1,2 Milliarden Euro aus. Er soll, ähnlich wie der Hafen von Tanger im Norden, zu einem Tor Westafrikas am Atlantik werden – für Container, Fischer und „grünen“ Wasserstoff. Windkraft- und Meerwasserentsalzungsanlagen sind geplant, die Plantagen bewässern und Hotelanlagen versorgen sollen. Die Billigfluggesellschaft Ryanair bringt schon heute Urlauber an die windreichen Sandstrände von Dakhla.