Beitrag vom 25.04.2025
NZZ
In Tigray stehen alle Zeichen auf Eskalation
Mit dem Friedensabkommen von 2022 ist niemand zufrieden
Bettina Rühl, Nairobi
In der Konfliktregion Tigray im Norden von Äthiopien haben die anhaltenden Spannungen zu einem Wechsel der Übergangsregierung geführt. Dies, nachdem der äthiopische Ministerpräsident Abiy Ahmed den Generalleutnant Tadesse Werede zum Präsidenten der tigrinischen Übergangsverwaltung ernannt hatte. Abiy versucht damit, der seit Monaten schwelenden politischen und humanitären Krise in Tigray die Schärfe zu nehmen.
In der Region arbeiten alle Konfliktparteien auf einen neuen Krieg hin – auch wenn keine das offen einräumt. Zu den wichtigsten Akteuren der Krise zählt der Nachbarstaat Eritrea, der nach Berichten lokaler Medien bereits im Februar eine Generalmobilmachung ausgerufen hat.
Folge des Bürgerkriegs
Die Bewohner von Tigray, wo die Infrastruktur nach einem Bürgerkrieg von 2020 bis 2022 zu grossen Teilen immer noch zerstört ist, leben seit Wochen in Kriegsangst. Diese schlug laut einem Bericht des Magazins «The Africa Report» zwischendurch in blanke Panik um. Hintergrund der aktuellen Spannungen ist ausgerechnet das Abkommen, mit dem der Bürgerkrieg im November 2022 beendet wurde. In dem Konflikt starben nach Schätzungen etwa 600 000 Menschen.
In diesem Bürgerkrieg kämpften die Volksbefreiungsfront von Tigray (TPLF) – sie spielt in Äthiopiens Politik seit Jahrzehnten eine entscheidende Rolle – und die paramilitärischen Verteidigungskräfte von Tigray (TDF) gemeinsam gegen Äthiopiens Armee, die unter anderem von Truppen aus Eritrea unterstützt wurde. Im November 2022 beendete ein Waffenstillstandsabkommen die Kämpfe. Etliche entscheidende Fragen blieben allerdings ungeklärt. Ausserdem lehnten Teile der TPLF sowie der TDF das Abkommen von Anfang an ab: Sie sahen und sehen darin wegen einiger aus ihrer Sicht unvorteilhafter Klauseln eher eine Kapitulationserklärung, die Abiy ihnen aufgezwungen hat, als einen Friedensvertrag.
Umstritten ist beispielsweise der Status von fruchtbaren und landwirtschaftlich wertvollen Gebieten im Westen Tigrays. Nach Angaben der Internationalen Organisation für Migration leben mehr als zwei Jahre nach Kriegsende immer noch rund eine Million Vertriebene, von denen viele aus diesen Gebieten stammen, unter ärmlichen Verhältnissen und in Ungewissheit über ihre Zukunft.
Eritrea blieb ausgeschlossen
Auch bei der Demobilisierung und Wiedereingliederung von TDF-Kämpfern in die Gesellschaft gibt es kaum Fortschritte. Ein grosses Problem ist zudem, dass wichtige Gewaltakteure bei den Verhandlungen zum Abkommen von 2022 gefehlt haben. So soll Eritreas Präsident Isaias Afewerki damals mit dem Ende des Krieges nicht einverstanden gewesen sein: Er hätte die TPLF – einen alten Feind aus früheren Konflikten – gerne ein für alle Mal vernichtet. Und er habe laut einem Bericht der Online-Zeitung «Ethiopia Insight» angesichts seiner massiven Unterstützung für die äthiopische Armee einen Platz am Verhandlungstisch erwartet.
Teile der TPLF und der TDF sinnen nun offenbar darauf, die Demütigung durch das Abkommen wiedergutzumachen und günstigere Konditionen gegebenenfalls durch einen neuen Waffengang zu erzwingen. Gemäss Gerüchten haben sich die Unzufriedenen innerhalb von TPLF und TDF an Eritrea gewandt, um gemeinsam gegen Abiy und die äthiopische Armee in einen neuen Krieg zu ziehen. Der würde wohl wieder auf dem Boden Tigrays ausgetragen. Und das in einer Region, die ohnehin schon unter zu vielen bewaffneten Konflikten leidet: dem Krieg im benachbarten Sudan, der dramatischen Zuspitzung der Lage im Südsudan, der Dauerkrise in Somalia.