Beitrag vom 24.03.2025
FAZ
Ostkongo
Es begann noch vor der Kolonialzeit
Von Tatjana Heid
Mit kurzen Unterbrechungen brodelt es seit mehr als dreißig Jahren im Osten der demokratischen Republik Kongo. Die Wurzeln des Konflikts reichen bis in die vorkoloniale Zeit.
Wer im Osten der Demokratischen Republik Kongo geboren wurde und heute etwa dreißig Jahre alt ist, der hat – sofern er nicht geflüchtet ist – in seinem ganzen Leben keine Zeit längeren Friedens erlebt. Seit fast drei Jahrzehnten toben im Osten Kongos Kämpfe zwischen der regulären staatlichen Armee und bewaffneten Milizen. Anfang des Jahres ist der Konflikt wieder aufgeflammt, als die Rebellenmiliz M23 die Provinzhauptstadt Goma überrannte und Teile Ostkongos eroberte. Insgesamt sollen mehr als hundert Milizen in dem Gebiet aktiv sein, mit unterschiedlichen Zielen. Es geht um ethnische Zugehörigkeiten, um die Ausbeutung der Rohstoffvorkommen und auch um die Interessen anderer Länder.
So unterstützt Ruanda UN-Angaben zufolge die M23-Miliz mit mehreren Tausend Soldaten. Die kongolesische Regierung wirft dem Nachbarland vor, die Bodenschätze der Provinzen Nord- und Süd-Kivu ausbeuten zu wollen. Ruanda selbst gibt an, bewaffnete Gruppen bekämpfen zu wollen, in denen es eine Gefahr für sein Gebiet sieht. Wo aber liegen die Wurzeln des Konflikts?
Besonders brutale koloniale Ausbeutung
Auf der Suche nach dem Ursprung muss man in der Geschichte weit zurückgehen – bis in die vorkoloniale Zeit. Denn schon damals entwickelte sich eine Bindung der heutigen Kivuregion zu anderen Gebieten rund um die Großen Seen – etwa zu den damaligen Königreichen Buganda und Urundi. Die ihrerseits begannen, die Gebiete westlich der Seen als ihr Vorfeld zu betrachten. Das tun sie teilweise bis heute. „Die Seen fungierten in vorkolonialer Zeit weniger als natürliche Grenze, sondern vielmehr als wirtschaftliche Verbindung“, sagt der Historiker Winfried Speitkamp, der sich über Jahrzehnte mit afrikanischer Geschichte beschäftigt hat. Auch die kulturelle Nähe war größer als zu anderen Teilen des heutigen kongolesischen Staatsgebiets. Die Grenzen, die die belgischen Kolonialherren im 19. Jahrhundert zogen, hatten mit den historischen Gegebenheiten demnach wenig zu tun und bargen Potential für Auseinandersetzungen – was nicht die einzige Folge der Kolonialzeit ist, die sich im heutigen Konflikt spiegelt.
Die Geschichte Kongos steht für eine besonders brutale Form der kolonialen Ausbeutung. Im Jahr 1885 erklärte der belgische König Leopold II. das Gebiet der heutigen Demokratischen Republik Kongo zu seinem Privatbesitz. Während seiner Herrschaft fielen Millionen Menschen Sklaverei und Zwangsarbeit, Krankheiten oder Hungersnöten zum Opfer. Auf internationalen Druck hin übernahm 1908 der belgische Staat die Kolonie. Die Kolonialherren trieben die Ethnisierung der Bevölkerung voran. „Hutu und Tutsi waren vorher eher Berufsgruppen – die Hutu betrieben Ackerbau, die Tutsi Viehzucht. In der Kolonialzeit wurden sie zu Ethnien“, sagt Speitkamp. Die Belgier führten Ausweise ein, auf denen die ethnische Zugehörigkeit vermerkt war, und stützten sich zur Verwaltung ihres riesigen Kolonialreiches vor allem auf die Tutsi. Das vertiefte die schon aus vorkolonialer Zeit stammende Kluft zwischen den Bevölkerungsgruppen – eine Entwicklung, die sich schließlich im Genozid an den Tutsi Mitte der Neunziger in Ruanda gewaltsam entlud. Zahlreiche schutzsuchende Tutsi flohen über die Grenze nach Ostkongo – aber auch Hutu, die Angst vor Rache hatten. Opfer und Täter fanden sich jenseits der Grenze im selben Gebiet wieder, was bis heute für Spannungen sorgt. So gibt die M23-Miliz an, sich für die Interessen kongolesischer Tutsi und anderer Minderheiten im Land einzusetzen und sie vor Hutu-Rebellen schützen zu wollen.
Als Belgien sich Ende der 1950er aus Kongo zurückzog, blieb ein Land zurück, das auf die Unabhängigkeit nicht vorbereitet war. Es gab kein funktionierendes politisches System, keine Verwaltung, kein erfahrenes Personal. Im Jahr 1960 wurde Kongo unabhängig – nur fünf Jahre später putschte sich Joseph Mobutu an die Staatsspitze. Er blieb mehr als dreißig Jahre an der Macht und wurde zu einem der korruptesten Diktatoren Afrikas. Bis heute gilt der kongolesische Staat als schwach. Es herrscht wenig Vertrauen in die staatlichen Institutionen wie Polizei, Militär und Parteien, was Raum für andere lässt – für Milizen zum Beispiel.
Kongo ist mit dieser Geschichte allerdings nicht allein. Viele afrikanische Staaten haben künstliche Grenzen und ethnische Spannungen und wurden nach dem Ende der Kolonialzeit eine Diktatur. Was die Konflikte im Osten Kongos zusätzlich anheizt, ist das Zusammenspiel mit weiteren Faktoren: Die schiere Größe des Landes – von Goma zur kongolesischen Hauptstadt Kinshasa sind es mehr als 1500 Kilometer Luftlinie – erschwert eine effektive Regierung zusätzlich und erleichtert die Milizenbildung. Das Rohstoffreichtum im Osten weckt Begehrlichkeiten, auch außerhalb des Landes. Staaten jenseits der Seen versuchen, die fragile Situation in Ostkongo für ihre Interessen zu nutzen. Das betrifft Ruanda, in geringerem Ausmaß auch Uganda. Wie wesentlich die Rolle Ruandas ist, zeigen die jüngsten Friedensgespräche: Bei einem Treffen in Doha loteten die Präsidenten Kongos und Ruandas Möglichkeiten für eine Waffenruhe aus, obwohl die M23-Miliz ein ähnliches Gespräch hatte platzen lassen.