Beitrag vom 27.02.2025
CICERO
Moralische Aufladung
Warum die Entwicklungshilfe grundlegend überprüft werden muss
Die Empörung über Trumps Streichung der Entwicklungshilfe verdeckt, dass auch in Deutschland eine grundlegende Überprüfung und Kontrolle der entwicklungspolitischen Aktivitäten angebracht wäre.
VON VOLKER SEITZ
Am Sonntag wurde ein neuer Bundestag gewählt. Aufgrund der enttäuschenden Bilanz der Ampelregierung sollte die Entwicklungspolitik in der kommenden Legislaturperiode grundlegend revidiert werden. Nicht nur im Hinblick auf die angespannte Haushaltslage müsste – wie in den USA – die gesamte Tauglichkeit und Zielgenauigkeit der Entwicklungshilfe überprüft werden. Die Kontrolle der entwicklungspolitischen Aktivitäten ist unterentwickelt, weil die beauftragten Organisationen sich zum größten Teil immer noch selbst begutachten und von der Hilfe leben.
Anhand eines „Archivs des Scheiterns“, wie ich es in meinem Buch genannt habe, muss eine Analyse auch dazu führen, dass sich die Methoden ändern, etwa durch nachvollziehbare Zwischenschritte, die jeweils mit festen Zielvorgaben verbunden sind. Und viel zu selten wird gefragt: Hätte ein Projekt auch ohne fremde Hilfe realisiert werden können?
Man hilft den Menschen nicht, wenn man für sie tut, was sie selbst tun könnten. Wenn ich mit Entwicklungspolitikern gesprochen habe, wollten sie niemals die Korruption zum Beispiel in afrikanischen Staaten oder in Armenien wahrhaben. Das hätte dem Bild der Entwicklungshilfe, das vermittelt werden soll, geschadet und womöglich zu Kürzungen geführt. Entscheidend ist die ungeheure moralische Aufladung der Thematik.
Sachliche Auseinandersetzung
Zu einer sachlichen Auseinandersetzung gehört, dass zuerst folgende fünf Fragen ernsthaft untersucht werden.
1) Warum konnten durch die Hilfe nicht die individuellen und gesellschaftlichen Eigenanstrengungen, besonders durch Bildung und bessere Rahmenbedingungen für privatwirtschaftliche Tätigkeit, gestärkt werden? Es sollte mehr auf Wünsche, Bedürfnisse, Initiativen, Ideen der Bevölkerung eingegangen und diese so gut wie möglich erfüllt werden. Dann könnte man von Zusammenarbeit und nicht von Hilfe sprechen.
2) Warum wurden nicht Infrastrukturprojekte nur in Ländern, in denen bereits früher errichtete Anlagen dauerhaft instandgehalten werden, finanziert, um dadurch möglichst viele Menschen in Arbeit zu bringen? Die aktuelle Situation sorgt für gesellschaftlichen Sprengstoff. Jedes Jahr rücken über 30 Millionen junge Afrikaner neu in den Arbeitsmarkt auf. Kein Wunder, wenn afrikanische Autokraten ihre arbeitslosen jungen Männer Richtung Europa loswerden wollen.
3) Warum wurde die verschwenderische Konkurrenz der EU und ihrer Mitgliedstaaten gegenüber den Entwicklungsländern nicht beendet? An fehlender Unterstützung kann es nicht liegen, dass sich Afrika zum Armenhaus entwickelte.
4) Warum bekommen Länder Entwicklungshilfe, die nicht bereit sind, ihre Einkünfte aus Bodenschätzen offenzulegen? Auch in Afrika wächst der Widerstand gegen die Hilfsgelder und ihre unkontrollierte Ausschüttung.
5) Warum wurde die Hilfe für Länder, die sich selbst helfen können, wie China und Indien, nicht längst beendet?
Hilfe auf verlorenem Posten
Ich bin nicht naiv. Ich fürchte, dass auch bei den kommenden Koalitionsverhandlungen jede Kritik und alle Einwände zu diesem Politikfeld nicht als Chance, sondern als Störung abgetan werden. Auch einflussreiche afrikanische Kritiker wie Moeletsi Mbeki, Wole Soyinka, Dambisa Moto, Teju Cole und José Eduardo Agualusa stehen mit ihren Einwänden gegen die sogenannte Hilfe auf verlorenem Posten. Zu viele verdienen gut daran. Und niemand wird für das Versagen verantwortlich gemacht.