Beitrag vom 28.01.2025
FAZ
Frankreich am Wendepunkt in Afrika
Von Michaela Wiegel
Mehr als 60 Jahre nach der Unabhängigkeit ziehen die Soldaten ab. Macrons Gesandter Jean-Marie Bockel spricht über den Rückzugsplan und deutsche Kritik.
Frankreich steht vor einer Zeitenwende in seiner Afrikapolitik. Diese Woche übergibt die französische Armee den letzten der drei ständigen Militärstützpunkte in N’Djamena im Tschad. „Schnell raus, aber ohne Ärger“ sei die Devise, sagt Jean-Marie Bockel. Der 74-jährige Verteidigungsfachmann sollte als Gesandter Präsident Emmanuel Macrons einen geordneten Rückzug aus Afrika aushandeln. Doch der tschadische Präsident durchkreuzte den Plan. Wenige Stunden nach einem Gespräch mit Außenminister Jean-Noël Barrot in N’Djamena verkündete er Ende November in einem einfachen Kommuniqué, dass die französische Armee zum 31. Januar das Land zu verlassen habe. Den Außenminister hatte er nicht informiert. Das sei schon ein „ungewöhnliches Vorgehen“ gewesen, sagt der Afrikagesandte. Aber von einer diplomatischen Krise will er nicht sprechen. „Das ist kein Drama“, sagt Bockel. Die tschadische Staatsführung habe nur den ohnehin geplanten Rückzugsprozess beschleunigt, meint er. Im Gespräch mit der F.A.Z. erläutert er, warum Frankreich künftig auf eine ständige militärische Präsenz in Westafrika verzichten will. Er hofft, dass der Rückzug eine verbesserte europäische Zusammenarbeit in der Afrikapolitik ermöglicht. Die Zeit, in der Frankreich als Gendarm in Afrika wirkte, sei endgültig vorbei.
Seit der Dekolonialisierung Anfang der 1960er-Jahre war die französische Armee bei etwa 50 Auslandseinsätzen auf afrikanischem Boden mobilisiert worden. Bockel betont, dass unter Präsident Nicolas Sarkozy (2007 bis 2012) bereits die Verteidigungsabkommen mit den Ex-Kolonien neu ausgehandelt wurden. Künftig wird Frankreich nicht mehr über die Möglichkeit verfügen, binnen weniger Stunden überall in Afrika eingreifen zu können, wie im Januar 2013, als Soldaten den Vormarsch dschihadistischer Gruppen in Mali stoppten.
„Seit wir aus der Sahelzone vertrieben wurden, stellen wir uns die Frage, wie wir uns neu organisieren“, sagt Bockel. Der frühere Staatssekretär für Verteidigung und für Entwicklungszusammenarbeit wurde Anfang 2024 von Präsident Macron beauftragt, mit den Staatsführungen im Tschad, im Senegal, in der Elfenbeinküste und in Gabun zu verhandeln. „Vor einem Jahr wünschte noch keines der vier Länder einen vollständigen Abzug, sonst hätte es meine Mission nicht gegeben“, betont er. Für ihn sei klar gewesen, dass „sich das Image Frankreichs stark verschlechtert“ hat. Die französische Flagge und französische Uniformen würden überwiegend als „anachronistisch und neokolonial“ wahrgenommen. „Die Zahl der Soldaten spielte dabei keine Rolle mehr. Die Schwierigkeit liegt in der Sichtbarkeit“, sagt Bockel. Wurden die Franzosen 2013 in Timbuktu noch als Retter gefeiert, hat die malische Staatsführung nach mehreren Militärputschen im Mai 2022 die französischen Soldaten rausgeworfen. Auch aus Burkina Faso und Niger mussten sie auf Druck der Regierungen abziehen. Der jüngste Sohn Bockels zählt zu den 58 Franzosen, die bei der Militäroperation Barkhane zwischen 2014 und 2022 gefallen sind. Er kam bei einem Kampfhubschraubereinsatz in Mali im November 2019 im Alter von 28 Jahren ums Leben.
Das Image Frankreichs hat sich „stark verschlechtert“
Der Tschad bildete lange den strategischen Pfeiler Frankreichs in der Sahelzone. 1100 Soldaten waren dort stationiert. Bereits im Dezember zogen sie aus den Stützpunkten Abéché nahe der Grenze zu Sudan und aus Faya-Largeau im Norden ab. Auch in der Elfenbeinküste steht die Übergabe des Militärstützpunktes in Port-Bouët am Rande der Hauptstadt Abidjan an die ivorische Armee kurz bevor. Voraussichtlich Mitte Februar will Verteidigungsminister Sébastien Lecornu einer feierlichen Übergabezeremonie beiwohnen. Im Senegal hat Präsident Bassirou Diomaye Faye den Abzug der französischen Soldaten verlangt, da ihre Präsenz mit der Souveränität des Landes unvereinbar sei. Er nannte jedoch keinen Zeitplan. Derzeit sind noch 350 Soldaten in Dakar stationiert. Bockel erläutert, dass Frankreich sich künftig auf militärische Ausbildungsangebote konzentrieren will. In der Elfenbeinküste gebe es bereits eine Militärakademie, in Gabun sei eine im Aufbau. Insgesamt 22 militärische Ausbildungseinrichtungen unterhalte Frankreich in Westafrika.
Für Bockel, der lange der elsässischen Stadt Mulhouse als Bürgermeister vorstand, ist der Reputationsschaden Frankreichs in Westafrika auf die allgemeine Unzufriedenheit der Bevölkerung mit der Sicherheitslage zurückzuführen. „Mit afrikanischen Ländern, in denen wir militärisch nicht präsent sind, haben wir normale Beziehungen entwickeln können“, sagt er. Deshalb hoffe man, dass sich die Beziehungen nach dem Rückzug der Armee aus Afrika wieder normalisierten. Eine Ausnahme bilde nur der strategisch wichtige französische Stützpunkt in Djibouti am Eingang zum Roten Meer, der weiter bestehen bleiben solle.
Sein klassifizierter Bericht mit 24 Empfehlungen, der im vergangenen Oktober vom nationalen Verteidigungsrat in Paris gebilligt wurde, werde nicht wie ursprünglich geplant veröffentlicht. Natürlich nehme er die Kritik am „Einflussverlust“ Frankreichs in Afrika wahr, sagt Bockel. Nach der Unabhängigkeit der Kolonien unterhielt Frankreich etwa 60.000 Soldaten in 90 Garnisonen in Afrika. 2022 waren noch 8500 Mann auf afrikanischem Boden stationiert. Bockel betont, dass der Rückzug der Armee ein neues Selbstverständnis abverlange. Die Auslandseinsätze in Afrika seien für Generationen von Berufssoldaten prägend gewesen. „Aber Nostalgie für koloniale Abenteuer ist fehl am Platz“, sagt Bockel. In der Armeeführung verschiebe sich mit Blick auf den erstarkten russischen Imperialismus ohnehin der Schwerpunkt auf die Verteidigung an der NATO-Ostflanke. Durch den Abzug würden hoch qualifizierte und kampferprobte Soldaten frei für neue Verwendungen.
„Offen über ein Ende des CFA-Franc reden“
Zugleich hofft der Sondergesandte darauf, dass sich durch die Zäsur neue Möglichkeiten der Zusammenarbeit in der EU ergeben. Im Auftrag Macrons reiste er in die europäischen Hauptstädte. Auch in Berlin war er zu Gast. Zudem stellte er in Brüssel und in Paris den Botschaftern der EU-Partnerländer die Pläne vor. „Fast jedes Mal waren es die deutschen Vertreter, die unsere Politik am heftigsten kritisierten. Am Ende fragten sie allerdings, wie wir denn künftig im Falle einer Evakuierung organisiert seien“, sagt Bockel. „Vielleicht bietet sich nun die Gelegenheit, um ehrlicher über Sicherheitsfragen und die Stärkung der europäischen Partnerschaften mit den afrikanischen Ländern zu diskutieren“, so der Sondergesandte. Bislang liege allerdings kein Vorschlag aus Berlin vor, wie man nach dem Ende der „anachronistischen Militärpräsenz“ Frankreichs die Beziehungen neu organisieren wolle. Bockel erinnert daran, dass man es in Paris nicht als sonderlich solidarisch empfunden habe, dass die Bundesregierung nach dem Rauswurf Frankreichs in Mali habe bleiben wollen.
„Ich bin der Meinung, dass wir auch über ein Ende des CFA-Franc offen reden sollten“, sagt Bockel. Die Währung werde als ein koloniales Relikt empfunden und wecke Ressentiments. Es sei besser, wenn Frankreich die Initiative ergreife. Für einige Länder sei eine zukünftige Anbindung an den Euro gewiss attraktiv. Darüber müsse diskutiert werden. „Wir müssen das wirklich auf den Tisch legen“, fordert Bockel. Es sei immer besser, vorausschauend zu handeln, als Veränderungen zu erleiden.