Beitrag vom 30.12.2024
NZZ
Russlands Flagge weht in der Sahelzone
Der Kreml beliefert Mali, Burkina Faso und Niger mit Waffen und Söldnern. Russland löst damit Frankreich als Schutzmacht ab. Doch es gibt Schwierigkeiten.
Von Bettina Rühl
In den westafrikanischen Sahelstaaten haben die Menschen in den vergangenen Jahren eine Art Flaggensprache entwickelt: Bei Demonstrationen – von denen es ab Juni 2020 sehr viele gab – machten die Teilnehmenden der internationalen Öffentlichkeit unmissverständlich klar, an wessen Seite sie ihre Zukunft sehen. In den Hauptstädten von Mali, Burkina Faso und Niger brannte die französische Trikolore, während Zehntausende die russische Fahne schwenkten. Manche malten sich die drei weiss-blau-roten Streifen auch gleich ins Gesicht, als könne ihnen Russland gar nicht nahe genug sein.
Inzwischen wehen auf vielen Verkehrsinseln und anderen Freiflächen in allen drei Ländern vier Flaggen nebeneinander im Wind: die russische mit den drei Fahnen der Sahelstaaten Burkina Faso, Mali und Niger. Die drei wollen aus dem westafrikanischen Wirtschaftsbündnis Ecowas austreten, das sie als eine Marionette Frankreichs bezeichnen, und haben im September 2023 ein eigenes Bündnis gegründet, die Allianz der Sahelstaaten (ASS).
Die Beflaggung im öffentlichen Raum ist eine unmissverständliche Botschaft: Hier im Sahel hält niemand mehr die französische Fahne hoch. Russland ist die Macht der Stunde.
Risse in der Partnerschaft
Ist das wirklich so? Wer tritt sicherheitspolitisch, militärisch und wirtschaftlich tatsächlich an die Stelle Frankreichs? Noch Anfang dieses Jahres schien die Antwort festzustehen: Russland. Doch seit einigen Monaten zeigen sich feine Risse in der demonstrierten Partnerschaft zwischen den Sahelstaaten und dem Kreml. Das kann, muss aber nicht heissen, dass die Entwicklung doch noch in eine andere Richtung verläuft.
Der überraschende Sturz des von Moskau gestützten Asad-Regimes könnte die Risse vergrössern. Noch ist unklar, ob Russland seine zwei Militärstützpunkte in Syrien behalten wird: die Marinebasis in Tartus am Mittelmeer und den Militärflugplatz in Hmeimim. Beide waren Eckpfeiler zur Sicherung russischer Interessen im Nahen Osten und in Afrika. Sie dienten als Drehscheibe für den Transport von Truppen, Söldnern und Waffen.
Die Flugabwehr wurde teilweise in das Bürgerkriegsland Libyen, nach al-Jufra, verlegt. Die Oase liegt im Osten des Landes, der von General Khalifa Haftar beherrscht wird. Dessen Regierung ist international nicht anerkannt, seine Nähe zu Russland nichts Neues. Der Kreml hat den Militärstützpunkt in der Wüste auch bisher schon als logistisches Drehkreuz für Afrika und besonders die Sahelstaaten genutzt, aber bei weitem nicht im gleichen Ausmass wie Hmeimim in Syrien.
Den Luftverkehr durch die Wüste im Südosten Libyens auszubauen, um Hmeimim zu ersetzen, ist eine Herausforderung. Libyen ist ein politisch zersplittertes Land. Westliche Staaten und die Uno unterstützen die international anerkannte Regierung unter Hamid Dbeiba in Tripolis, im Westen des Landes. Gegen diese Regierung hat General Haftar 2019 mithilfe von Söldnern der russischen Wagner-Gruppe Krieg geführt.
Doch trotz diesem Krieg ist Haftar laut dem Libyen-Experten Wolfram Lacher bemüht, die Kontakte zu den westlichen Staaten nicht nur aufrechtzuerhalten, sondern auszubauen. General Haftar wird deshalb kein so verlässlicher Bündnispartner Russlands werden wie bisher Bashar al-Asad.
Russland wird ohne die syrischen Militärstützpunkte deshalb kaum in der Lage sein, seine Präsenz in Afrika auf dem derzeitigen Niveau zu halten. Damit wird der Kreml die hohen Erwartungen seiner Bündnispartner im Sahel teilweise enttäuschen. Diese verlangen von Russland nämlich eher mehr als weniger militärischen Einsatz.
Von Russland erwarten die Sahelstaaten, dass es liefert, was sie vom Westen nicht bekamen: Waffen und ein robustes Vorgehen gegen die islamistischen Terrorgruppen, die sie mit Gewalt überziehen. Mehrere westliche Militär- und Friedensmissionen – darunter Einsätze der Uno, Frankreichs und der USA – haben nicht verhindert, dass die Terrorgruppen immer mehr Gebiete unter ihre Kontrolle bringen. Die Regierungen in Bamako, Ouagadougou und Niamey fühlten sich vom Westen ebenso alleingelassen wie die Bevölkerung. Die Enttäuschung darüber war ein wichtiger Grund für den Bruch mit Frankreich.
In Moskau rannten die afrikanischen Staatschefs mit ihrer Bitte um eine Sicherheitspartnerschaft offene Türen ein: Bei seiner Zusammenarbeit mit Afrika geht es dem Kreml um militärischen Einfluss und um Märkte für die eigene Rüstungsindustrie. Russland ist der grösste Waffenlieferant Afrikas, auch wenn der Umfang der Lieferungen seit dem russischen Einmarsch in die Ukraine stark zurückgegangen ist. Sonst spielt Russland wirtschaftlich auf dem Kontinent kaum eine Rolle.
Die russischen Militärs umgab lange ein Mythos der Unbesiegbarkeit. Das galt vor allem für die Söldner der Wagner-Gruppe, die wegen schwerer Menschenrechtsverletzungen berüchtigt sind. Doch angesichts des islamistischen Terrors schien ihre vermutete Kampfkraft den Regierungen der Sahelstaaten zunächst jeden Preis wert zu sein, sowohl ethisch als auch finanziell. Nach Angaben des amerikanischen Verteidigungsministeriums zahlt die malische Militärregierung Russland jeden Monat 10 Millionen Dollar für ihre Sicherheitsdienstleistungen.
Die Türkei bietet sich an
Der Mythos der russischen Unbesiegbarkeit ist allerdings am Verblassen. Im Juli haben Tuareg-Rebellen in der Nähe des malischen Wüstenortes Tinzaouatin eine Einheit russischer Paramilitärs aufgerieben und Dutzende russische Kämpfer getötet. Die Verluste waren auch deshalb so gross, weil sich die russischen Söldner weit von ihren Nachschubwegen und einer möglichen Luftunterstützung entfernt hatten.
Seit dieser Erfahrung wagen sie sich dem Vernehmen nach nicht mehr so weit vor. Das frustriere ihre Auftraggeber, die für ihr Geld nicht Vorsicht, sondern Kampfkraft erwarten. Noch äussert sich dieser Unmut leise, aber falls die Frustration zunimmt, dürfte das Folgen für Russland haben.
Bei der Partnerwahl im Sahel hat das wichtigste Narrativ des Kremls eine Rolle gespielt: Russland habe im Gegensatz zu den westlichen Staaten nie Kolonien gehabt. Es habe stattdessen die Unabhängigkeitsbewegungen aktiv unterstützt und behandle afrikanische Partner auf Augenhöhe. Die afrikanischen Regierungen sind in ihrer Politik jedoch pragmatisch geworden. Sie suchen sich jene Partner und Angebote aus, die ihnen nützen – ohne sich dabei übermässig an Ideologien zu orientieren.
Bereits bietet sich ein anderer Partner für militärische und Sicherheitsfragen an: die Türkei. Diese pflegt eine ähnliche Selbstdarstellung. Das Land hat in den vergangenen Jahren davon profitiert, dass sich Frankreich und andere europäische Länder aus Teilen Afrikas zurückziehen mussten.
Die türkische Rüstungsindustrie expandiert in Afrika stark, um die Lücken der Europäer zu füllen. Ulf Laessing, der Leiter des Sahel-Büros der deutschen Adenauer-Stiftung, spricht von einer inoffiziellen Arbeitsteilung zwischen China, Russland und der Türkei. Demnach legt China den Fokus auf die Wirtschaft. Russland liefert Söldner, Flugzeuge und Helikopter. Die Türkei stellt Drohnen bereit und leistet in einigen Ländern auch militärische Ausbildungshilfe.
Die Zeiten, in denen fremde Mächte sich den Kuchen in Afrika aufteilen, sind definitiv vorbei. Die Regierungen der Sahelstaaten suchen sich ihre Partner selbst. Wenn Russland nicht mehr liefern kann, werden andere an seine Stelle treten. Das wird vielleicht die Türkei sein.