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Für eine andere Entwicklungspolitik!

Beitrag vom 22.12.2024

Berliner Zeitung OS

„White Charity“: Das Problem mit den weihnachtlichen Spendenkampagnen

In der Adventszeit machen viele Hilfsorganisationen noch mal kräftig Werbung. Aber bitte ohne klischeehafte Fotos von Schwarzen Kindern, sagt unser Autor.

Thomas Hunstock

Jedes Jahr zu Beginn der sogenannten besinnlichen Jahreszeit überziehen viele Hilfsorganisationen das ganze Land mit ihren Werbeplakaten, um Spendengelder zu generieren. Überall werden großflächig Schwarze* Kinder als hilfsbedürftig, passiv und arm dargestellt. Dabei wird das Umfeld der Kinder meist trostlos inszeniert, in Trümmern, Holzverschlägen oder ganz im Freien. Kolonial geprägte Vorstellungen über den afrikanischen Kontinent mit seiner Bevölkerung werden auf diese Weise fortgeschrieben, ein Leben im „Land Afrika“ scheint sich ausschließlich im Chaos und ohne Dach über dem Kopf abzuspielen.

Vielerorts hängen Spendenplakate verschiedener Organisationen direkt nebeneinander. Egal ob Welthungerhilfe, Kindernothilfe, Diakonie Katastrophenhilfe oder das Bündnis Aktion Deutschland hilft, die Message ist immer identisch: Schwarze Menschen brauchen deine Spende, ohne deine Spende sind Schwarze Menschen hilflos und verloren!

Bildnisse, die Weißsein als deutliches Merkmal für Überlegenheit illustrieren, indem sie Schwarzes Leben demgegenüber als schwach, hilfsbedürftig und unterlegen darstellen, scheinen sich äußerst positiv auf die Spendenbereitschaft der Dominanzgesellschaft auszuwirken. Die NGOs gehen dabei so weit, dass sogar objektifizierende Vergleiche Schwarzer Kinder bei ihren Werbekampagnen mitschwingen. Auf Werbeplakaten der Kindernothilfe wurden im letzten Jahr beispielsweise Schwarze Kinder neben Gegenständen abgebildet, darüber stand dann der jeweilige Slogan: „Kopfhörer, die schmecken“, „Eine Yogamatte, die leuchtet“ und „Ein Schirm, der kocht“. Die Abbildung einer Handtasche neben einem Schwarzen Kind mit dem Spruch „Eine Tasche, die zuhört“ soll wohl die Botschaft transportieren: „Gebe dein Geld nicht für eine Handtasche aus, sondern rette mit diesem Betrag lieber das Leben eines Schwarzen Kindes“.

Auf einer aktuellen Kampagne der Kindernothilfe „Erlebe, wie deine Spende wirkt“, wird eine weiße Frau als Retterin inszeniert, mit Smartphone in der Hand und Laptop im Hintergrund. Vor ihr sitzt ein Schwarzes Kind mit einem Buch in einem kargen Umfeld. Die Frau ist erkennbar nicht vor Ort, sie wirkt wie eine Lehrerin, die aus der fernen deutschen „Zivilisation“ die Schulaufgaben des Kindes via Smartphone kontrolliert. Mit ihrem Lächeln scheint sie dem Kind sagen zu wollen: „Sei brav, dann überweise ich auch weiter Geld.“

Narrativ vom „zivilisierten“ Europa und „primitiven“ Afrika

Selbst im 21. Jahrhundert ist unsere Gesellschaft immer noch von Denkmustern und Strukturen geprägt, die auf die Kolonialzeit zurückgehen. Mit solchen Darstellungen stimulieren die NGOs rassistische Denkweisen und Narrative, um Spendengelder zu generieren. Mit dem konstruierten Gegensatz zwischen der „zivilisierten Kultur“ Europa und der „primitiven Natur“ Afrika wurde seinerzeit der Kolonialismus mit all seinen Gräueltaten gerechtfertigt. Heute akquirieren die NGOs mit diesem Narrativ ihre Spenden.

Mit solchen Werbekampagnen geben Hilfsorganisationen vor, Kindern auf dem afrikanischen Kontinent helfen zu wollen. Dabei geraten die hier lebenden Schwarzen, afrikanischen und afrodiasporischen Kinder jedoch vollkommen aus dem Blick. Die NGOs scheinen sich nicht mit der Frage zu beschäftigen, welche Wirkungen es insbesondere auf die Entwicklung der Jüngsten im Kita- und Grundschulalter hat, wenn sie tagtäglich mit kolonialistischen Darstellungen konfrontiert werden, die Weißsein zur erstrebenswerten Norm erklären. Der Gedanke, dass solche Darstellungen auf den Werbeplakaten eine Grundlage für rassistisch gefärbtes Mobbing zulasten Schwarzer Kinder schaffen, scheint den Verantwortlichen ebenfalls nicht in den Sinn zu kommen.

Die NGOs haben offenbar nur die Zielgruppe ihrer Plakate im Visier und bedenken nicht, dass sich niemand diesen Inszenierungen der weißen Retterinnen und Retter und ihrer „White Charity“ entziehen kann. Solche Spendenplakate üben nachhaltig Einfluss darauf aus, wie in Deutschland Schwarze und weiße Identitäten konstruiert werden.

* Schwarz ist eine politische Selbstbezeichnung, die eine von Anti-Schwarzem Rassismus betroffene gesellschaftliche Position beschreibt. Es ist kein Adjektiv und wird immer großgeschrieben.

Thomas Hunstock ist mit der Antirassismus-Aktivistin Ruth Hunstock verheiratet. Gemeinsam organisiert das Ehepaar die Kasseler Initiative emPowerKidS.