Beitrag vom 25.11.2024
FAZ
Mehr Investitionen statt Entwicklungshilfe für Afrika
Von James Shikwati
Beim German African Business Summit in Nairobi nächste Woche werden Politiker und Unternehmer debattieren, wie Afrika effizienter entwickelt werden kann. Ein kenianischer Ökonom empfiehlt den Marshallplan als Vorbild.
Vergleicht man staatliche Entwicklungshilfe mit dem Marshallplan, kann man wertvolle Lehren für die Entwicklung Afrikas ziehen. Der Marshallplan, den Amerika für den Wiederaufbau des vom Zweiten Weltkrieg zerstörten Europas bereitstellte, bot den Ländern Europas die Möglichkeit, ihre Wirtschaft und Institutionen wiederaufzubauen. Im Gegensatz zum Top-down-Ansatz von Entwicklungshilfe (Official Development Assistance – ODA) konnte Europa mit dem Marshallplan seine eigenen Ideen zur Entwicklungsagenda einbringen und hatte somit auch die Möglichkeit, die einheimischen Ressourcen zu optimieren.
Die Entwicklungshilfe in aktueller Form drängt die afrikanischen Länder ständig dazu, sich mit dem zu entwickeln, was sie nicht haben, und priorisiert eurozentrische Werte und Institutionen. Der wirtschaftliche Megatrend der Kapitalverlagerung vom Westen nach Asien bietet sowohl Europa als auch Afrika eine einzigartige Gelegenheit, die alten Pfade der Entwicklungszusammenarbeit zu verlassen.
Kontraintuitiv betrachtet Europa Afrika trotz jahrhundertelanger dominierender Präsenz auf dem Kontinent als neue Grenze. Aufstrebende Volkswirtschaften, insbesondere China, die der wirtschaftlichen Zusammenarbeit Vorrang vor politischen Bedingungen einräumen, haben Afrikas Ansprüche verändert: Die Länder wollen eine rasche Umsetzung von Projekten, eine vereinfachte Entscheidungsfindung und keine Einmischung in ihre Politik.
Die staatliche Entwicklungshilfe, die europäischen Investoren in der Vergangenheit Glaubwürdigkeit, Zugang zu Märkten, Infrastrukturentwicklung und politische Stabilität in Afrika versprach, gerät durch die Alternativen nichtwestlicher Länder zunehmend unter Rechtfertigungsdruck. Afrika hat den Vorteil reicher natürlicher Ressourcen, einer jungen Bevölkerung, einer raschen Urbanisierung und eines wachsenden Marktpotentials und befindet sich in einer entscheidenden Phase der geopolitischen Neuausrichtungen.
Entwicklungshilfe basiert auf der Annahme, dass nur der Westen Wachstum bringen kann, das auf seinen Werten, seiner Art der Modernisierung und seinen Institutionen basiert. Dieser Ansatz entzieht den Afrikanern die Entscheidungsfreiheit und führt dazu, dass der Westen definiert, was der Kontinent wünscht und braucht. Diese Hilfe hilft aber offensichtlich nicht.
Nicht die gewünschten Ergebnisse
Laut dem Global-Africa-Bericht 2023 der Mo Ibrahim-Stiftung erhält Afrika 67 Prozent der weltweiten Nahrungsmittelhilfe. Dennoch leiden 20 Prozent der Menschen an chronischem Hunger und über 278 Millionen an akutem Hunger. Rund 45,2 Prozent der weltweiten Entwicklungshilfe im Gesundheitsbereich und rund 34 Prozent im Bildungsbereich fließen nach Afrika, dennoch verbessert sich die Gesundheitsversorgung nicht, und die Bildungssysteme sind nicht auf die dringend benötigte Industrialisierung Afrikas ausgerichtet.
Alles Wichtige zu Globalisierung, Sicherheit und Ressourcen finden Sie in unseren PRO-Weltwirtschaft-Produkten gebündelt und um viel Detailwissen ergänzt.
Hinzu kommt, dass der Westen in den Augen vieler afrikanischer Länder seine Glaubwürdigkeit verliert. Die Blase des westlichen Wertesystems platzte durch das eigene Handeln beziehungsweise Nichthandeln im anhaltenden Nahostkonflikt. Die zerstörerischen Waffen und auch die humanitäre Hilfe stammen aus derselben Quelle.
Der Aufstieg globaler Akteure wie China und die Länder der BRICS-Gruppe sowie nichtstaatliche Internetkonzerne formatieren Afrikas Weltbild neu. Viele Stimmen fordern neue Entwicklungsmodelle, stellen die Kredit- und Risikobewertung internationaler Finanzinstitutionen infrage und hegen Zweifel an der Genauigkeit der Messungen des afrikanischen Bruttoinlandsprodukts. Forderungen nach einer Überarbeitung der globalen Finanzarchitektur werden immer lauter.
Afrika, wo bis 2100 voraussichtlich über 50 Prozent der jungen Weltbevölkerung leben wird, ist entschlossen, seine demographische Dividende zu nutzen, und öffnet den Raum für Bildung und Ausbildung. Der Kontinent verfügt über mehr als 30 Prozent der weltweiten Reserven für Mineralien, 65 Prozent unkultiviertes Ackerland für die Landwirtschaft und bietet ein großes Potential zur Erzeugung für grünen Wasserstoff.
Investitionen in Infrastruktur
Um das Wachstumspotential des Kontinents optimal zu erschließen, braucht es ein anpassungsfähiges, multilineares Entwicklungsmodell. Dieses sollte frei von politischer Vereinnahmung durch die staatliche Entwicklungshilfe sein, dafür aber Anreize schaffen, um privates Kapital und Investitionen nach Afrika zu bringen. Private Investoren aus Europa können in Afrika Gewinn erzielen, wenn sie in den Aufbau der Infrastruktur investieren, um kleine und mittlere Unternehmen zu vergrößern. Sinnvoll ist vor allem, Infrastruktur in den Bereichen Transport und Logistik, Energie und digitale Netze aufzubauen. Dies würde Innovationen, Unternehmertum und Industrialisierung fördern.
Entwicklungshilfe steht weiter auf dem Prüfstand, da Afrika mehr Möglichkeiten zur Erschließung seines Entwicklungspotentials bekommt. Deutschland und Europa müssen sich von alten Privilegien verabschieden. Sie sollten sich auf die Optimierung der vorhandenen Ressourcen auf dem Kontinent konzentrieren und sich nicht nur für die Wertschöpfung, sondern auch für gemeinsame, entkolonialisierte Forschungs- und Entwicklungsinitiativen einsetzen.
Europäische Investoren müssen sich auf einen harten Wettbewerb einstellen. Es sind nun Gespräche auf Augenhöhe und gemeinsame Spielregeln erforderlich. Dies erfordert die Bereitschaft, Produkte und Dienstleistungen auf die individuellen Bedingungen vor Ort zuzuschneiden. Wenn Europa es nicht schafft, sich der globalen Wirtschaftsdynamik anzupassen, wird es wahrscheinlich zurückbleiben, während Afrika seine Wirtschaftsmacht ausbaut und seinen Anteil an der Weltwirtschaft erhöht.
James Shikwati ist Ökonom und Gründer des Inter Region Economic Network (IREN Kenia) mit Sitz in Nairobi.