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Beitrag vom 30.10.2024

FAZ

Ölkonzerne wollen verkaufen

Abkehr von Nigeria

Von Claudia Bröll, Philip Plickert

30. Oktober 2024 · Afrikas bevölkerungsreichstes Land kämpft mit Währungsverfall, hoher Inflation und Protesten. Große Unternehmen gehen. Präsident Tinubus Reformen zeigen nur langsam Wirkung.

Für Shell ist es eine herbe Enttäuschung. Der britische Öl- und Gaskonzern wollte seine Erdölförderung im Nigerdelta für 1,3 Milliarden Dollar (1,2 Milliarden Eu­ro) abstoßen, doch die nigerianische Aufsichtsbehörde hat den Verkauf blockiert. Der Kaufinteressent, das weniger bekannte Unternehmen Renaissance Africa Energy, soll den „regulatorischen Test“ nicht bestanden haben, sagte Gbenga Komolafe, der Chef der Regulierungsbehörde, vergangene Woche. Details nannte er keine. Exxonmobil hingegen ist es nach langen Verzögerungen gelungen, sein Nigeriageschäft abzustoßen. Der Konzern erhielt nach mühsamen Verhandlungen die Genehmigung der Behörde, die dem Erdölministerium untersteht. Nach Einschätzung vieler Nigerianer zieht der Präsident Bola Tinubu in dem Ministerium die Zügel, auch wenn er zwei getrennte Minister für Öl und Gas ernannt hat und im Gegensatz zu seinem Vorgänger selbst nicht den Titel beansprucht.

Es ist einiges in Bewegung in Afrikas bevölkerungsreichstem Land. Nur ist unklar, ob Nigeria weiter absteigt oder die Kurve kriegt. Dass Shell nach 68 Jahren Aktivität im Nigerdelta der Region den Rücken kehren will, ist nur das jüngste Beispiel für den Exodus internationaler Unternehmen. Auch der italienische Ölkonzern Eni, Equinor aus Norwegen und Addax aus China haben Onshore-Förder­aktivitäten in Nigeria verkauft. Die in der Branche genannten Gründe klingen keineswegs günstig: Der Öldiebstahl aus angezapften Pipelines, Übergriffe durch kriminelle Gangs und die Reputationsschäden wegen der Umweltrisiken im sumpfi­gen Delta belasten zu sehr. Zudem ist es schwierig, die lokalen Gewinne aus dem Land zu schaffen. Der Verfall der Währung trifft auch internationale Investoren. Seit Präsident Tinubu vor anderthalb Jahren sein Amt antrat, hat die Naira um rund 70 Prozent abgewertet. Mittlerweile ist die Volkswirtschaft aufgrund ihrer schwächeren Währung in der Rangliste der größten afrikanischen Volkswirtschaften hinter Ägypten und Südafrika zurückgefallen.

Die Folgen von Tinubus Reformen

Nicht nur die Ölbranche ist zunehmend skeptisch, auch Konsumgüter- und Handelskonzerne überdenken ihre En­gage­ments in dem Land mit seinen 220 Millionen Menschen, das mal als ein zwar schwieriger, aber vielversprechender Wachs­tumsmarkt galt. Der Londoner Getränkekonzern Diageo hat vor Kurzem seine nigerianische Tochtergesellschaft abgestoßen, die dort seit sechs Jahrzehnten das Guinness Extra Stout braut. Am Montag kündigte die in wirtschaftlichen Schwierigkeiten steckende südafrikanische Supermarktkette Pick n Pay an, eine nigerianische Beteiligung aufzugeben. Shoprite, die größte Supermarktkette auf dem Kontinent, hat sich nach 16 Jahren langer Aktivität in Nigeria zurückgezogen. Im August verkaufte der Konzern aus Südafrika seine Geschäfte an lokale Investoren.

Der Rückzug dieser Unternehmen erfolgt in einer Zeit, in der Nigeria eine Rekordinflation erlebt und sich zahlreiche Proteste ereigneten. Dabei hatte Prä­sident Tinubu nach seinem Amtsantritt im Mai 2023 sehr schnell Reformen auf den Weg gebracht, die Ökonomen als längst überfällig bezeichneten. Zum ei­nen schaffte er die Benzinsubventionen ab, um den Staatshaushalt zu entlasten. Zum anderen gab er den Kurs der Naira, der lokalen Währung, frei. Vorher gab es in Nigeria ein kompliziertes Wechselkurs­system mit verschiedenen fixen Kursen für unterschiedliche Zwecke, das viel Raum für Arbitragegeschäfte bot. Wegen Devisenknappheit mussten sich Unternehmen oft Dollar auf dem Parallelmarkt beschaffen. Aber auch nach der Libera­lisierung ist der Umtausch von Naira in Dollar oder andere harte Währungen mühsam.

Die Folgen von Tinubus Reformen waren drastisch: Die Naira wertete sofort ab, importierte Waren verteuerten sich, die Inflation kletterte auf Rekordhöhen von mehr als 30 Prozent. An den Tankstellen bezahlen die Nigerianer jetzt ein Viel­faches für Benzin als früher, obwohl die Regierung inoffiziell und ohne Details einige Subventionen wieder eingeführt hat. Abgesehen von Essenspaketen und mi­nimaler Hilfe, unternimmt die Regierung wenig, um die Auswirkungen der Re­formen für die arme Bevölkerung und für die Mittelschicht abzufedern. Das schürt die Wut. Anfang August gingen in der Hauptstadt Abuja und anderen Städten Hunderte Demonstranten auf die Straßen und forderten den Rücktritt der Re­gierung. Auf die Proteste mit dem Hashtag #EndBadGovernance reagierten die Sicherheitskräfte mit Tränengas und scharfer Munition. Etwa zwei Dutzend Demonstranten wurden getötet.

Eine Wende ist in Sicht

Die größten Herausforderungen für In­vestoren sind weiterhin Korruption und Bürokratie, eine bröckelnde Infrastruktur und die Unsicherheit, besonders im Norden des Landes, wo die islamistische Terrorgruppe Boko Haram wütet. Im Ease-of-Doing-Business-Index der Weltbank, der misst, wie leicht oder schwer es Geschäftsleuten und Unternehmensgründern gemacht wird, liegt Nigeria auf Platz 131 der 190 Staaten. Es gibt viele Umstände, die Investoren abschrecken.

Allerdings zeichnet sich langsam eine Wende ab. Es gebe Anzeichen, dass einige Vorteile einer schwächeren Währung allmählich spürbar würden, schreibt die Beratungsgesellschaft Capital Economics in London. Um die Vorteile in vollem Umfang zu nutzen, müssten die Be­hörden jedoch Strukturreformen durchführen. Das Institut erwartet immerhin einen Rückgang der Inflation auf weniger als 30 Prozent bis Jahresende. Optimistisch äußerte sich vor Kurzem auch der Direktor der Weltbank für Nigeria, Ndiame Diop. Er gestand in einem Interview mit der „Financial Times“ die „kurzfri­tigen Härten“ ein, die die Reformen verursacht hätten, warnte aber davor zurückzurudern. Das würde den „Niedergang“ bedeuten.

Derweil hat in Nigeria die riesige Raffinerie des Milliardärs Aliko Dangote nach einer langen Bauphase und Streitigkeiten mit der Regierung ihren Betrieb aufgenommen. Auf der Raffinerie ruhen große Hoffnungen, auch für den Export. Bisher hat Nigeria jeden Tropfen Benzin und Diesel importiert, weil die heimischen Raffinerien nicht funktionsfähig sind. Der Benzinimport kostet das Land jährlich einen zweistelligen Milliarden-Dollarbetrag. Nun soll die neue Raffinerie helfen, die Handelsbilanz zu verbessern und somit die Währung wieder zu stärken.