Beitrag vom 04.11.2023
Der Standard
SÜDAFRIKA
Leben zwischen Stromausfall, Rugby-Freude und Wunsch nach besserem Leben
BMW baut seit 50 Jahren Autos in Südafrika, aktuell den X3 mit Motoren aus Steyr. Die Fachkräfte zieht man selbst heran, auch durch Kooperation mit Schulen
Günther Strobl
Sport schweißt zusammen. Das zeigt sich dieser Tage in Südafrika. Der knappe Sieg gegen Neuseeland, mit dem sich die Springboks (deutsch: Springböcke, Wappentier der Republik Südafrika) den WM-Titel im Rugby sicherten, ließ viele der 62 Millionen Südafrikaner und Südafrikanerinnen die Probleme des Alltags zumindest kurzzeitig vergessen. Euphorie, Stolz, Freude und so manches mehr entlud sich in Straßen und auf Plätzen des unter Korruption und Misswirtschaft leidenden Landes.
Doch hier, wo der Frühling gerade seine Fühler auszustrecken beginnt, kehrt der Alltag besonders rasch wieder zurück. Die täglichen, oft Stunden dauernden Stromunterbrechungen zählen für die allermeisten zu den nervigsten Dingen. Mit gezielten Lastabwürfen versucht der staatliche Strommonopolist Eskom einen flächendeckenden, möglicherweise tagelangen Blackout zu verhindern. Das geht schwer ins Geld. Schätzungen zufolge kostet jede Stunde ohne Strom die Wirtschaft rund eine halbe Milliarde Rand, umgerechnet 26 Millionen Euro.
Der Autobauer BMW ist seit 50 Jahren mit eigener Produktion im Süden Afrikas und hat in dieser Zeit Fortschritte wie Rückschritte gesehen. Bereits während der Apartheid, die 1994 mit den ersten feien Wahlen, Nelson Mandelas Triumph und der Abschaffung der Rassentrennung geendet hat, gingen im BMW-Werk Rosslyn bei Johannesburg Schwarze und Weiße gemeinsame Wege, wird erzählt. Dass es vor den Werkstoren dann wieder brutale Segregation gab, war absolut normal damals.
BMW-Motoren aus Steyr
Heute arbeiten Menschen verschiedener Hautfarben an den Produktionsbändern genauso gut oder schlecht zusammen wie ehedem. Mit einem großen Unterschied: dass man außerhalb des Werks nun auch mitunter gemeinsam etwas macht, jedenfalls keine getrennten Busse mehr besteigt. Und noch etwas hat sich geändert: Die Antriebsaggregate für die Fahrzeuge kommen mittlerweile alle aus Steyr. "Der große Strom gelangt per Schiff über den Hafen Durban zu uns, manches geht fallweise auch über Kapstadt", sagt Werksleiter Niklas Fichtmüller bei einem Lokalaugenschein des STANDARD.
In Oberösterreich wie im Hochland rund um Rosslyn laufen die Vorbereitungen in Richtung E-Mobilität auf Hochtouren. Während BMW in Steyr bis 2030 rund eine Milliarde Euro in die Entwicklung und den Bau einer neuen Generation an Elektromotoren investiert und die ersten davon 2025 ausliefern möchte, sind für Rosslyn umgerechnet 200 Millionen Euro abgestellt. Ab 2024 sollen dann neben den X3-Modellen mit Verbrennungsmotor auch Plug-in-Hybride von Südafrikas Bändern laufen.
Gezielte Schulung
Rund zehn Prozent der allein im Werk beschäftigten knapp 3.000 Mitarbeiter bekommt derzeit eine Spezialausbildung verpasst. Von den knapp 70.000 Fahrzeugen, die jährlich gebaut werden könnten, seien 2024 etwa ein Drittel Plug-in-Hybride, sagt Fichtmüller. Die wiederum seien fast ausschließlich für Europa bestimmt.
Bei den Arbeitskosten lässt sich BMW nicht in die Karten schauen, auch nicht bei den Löhnen. Lokale Mitarbeiter verdienten jedenfalls mehr als Lehrerinnen oder Polizisten und hätten neben dem sicheren Job und Aufstiegsmöglichkeiten innerhalb des Konzerns auch Zugang zum Gesundheitssystem, was im Süden Afrikas nicht selbstverständlich sei. Die Fluktuation ist gering, weil ein guter, sicherer Job als Lottotreffer gesehen wird, den man nicht aus der Hand gibt. Die Arbeitslosigkeit liegt im Schnitt bei 35, die Jugendarbeitslosigkeit sogar bei 60 Prozent.
Viele junge Südafrikaner und Südafrikanerinnen träumen von einem besseren Leben, das ihren Eltern versagt geblieben ist. Viele seien bereit, sich entsprechend einzubringen, wenn sie die Chance bekommen, sagt Ilka Horstmeier, im Vorstand des BMW-Mutterkonzerns für das Personal- und Sozialwesen zuständig.
Reiches Land
Bereits vor Corona hat der Münchner Autobauer unweit des Werksstandorts mit einer Volks- und einer weiterführenden Schule eine Zusammenarbeit begonnen, die in unterschiedlichsten Hilfen besteht und nach erfolgtem Schulabschluss im besten Fall zu in einer Festanstellung im Werk führt. Eine Handvoll hat den Sprung aus dieser Ausbildungsschleife in den IT-Hub von BMW geschafft, wo an Softwarelösungen entlang der gesamten Wertschöpfungskette für den Gesamtkonzern gearbeitet wird.
Diese Initiative wird von der Regierung gern gesehen, weiß sie doch, dass gut ausgebildete Fachkräfte der Schlüssel für Wirtschaftswachstum sind. Das Land ist reich an Bodenschätzen, hat fruchtbare Böden, aber auch mafiöse Strukturen, gegen die bisher noch kein Kraut gewachsen zu sein scheint.
Der staatliche Energieversorger Eskom, der zu den Vorzeigeunternehmen Afrikas zählte, ist zum Selbstbedienungsladen verkommen. Dass gute Kohle auf dem Weg von der Zeche zu den Kraftwerken regelmäßig durch schlechte ersetzt wird, ist ein offenes Geheimnis. Die gute Kohle landet in China, das Geld verschwindet in dunklen Kanälen. Die schlechte Kohle landet in den ohnehin angeschlagenen Kraftwerken und macht diese noch störanfälliger – ein Teufelskreis.
Gedämpftes Wachstum
Während die Springboks schon wieder trainieren und von weiteren Titeln träumen, schafft die Wirtschaft kaum Sprünge nach vorn. Das Finanzministerium in Pretoria hat die Wachstumsprognose für heuer von 0,9 auf 0,8 Prozent gesenkt und als einen der Gründe die vielen Stromausfälle genannt. Wer kann, investiert in Photovoltaik. Vielen fehlt aber schlicht das Geld dafür.
BMW in Rosslyn und andere Autobauer im Land sind ausdrücklich ausgenommen von Stromabschaltungen. Dass man sich ins eigene Fleisch schneiden würde, wenn die wichtige Autoindustrie zum Stillstand kommt, scheint die Regierung, die sich kommendes Jahr wieder der Wahl stellen muss, verstanden zu haben.
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Compliance-Hinweis: Die Reise nach Johannesburg erfolgte auf Einladung von BMW.