Beitrag vom 30.10.2023
Berliner Zeitung
Gas aus Afrika? Das kritisiert die deutsche Wirtschaft an Scholz’ Plänen
Deutschland fehlt Gas aus Russland, deshalb will der Bundeskanzler es in Nigeria einkaufen. Doch das Land verfügt nicht über die Infrastruktur für den Export.
Simon Zeise
Afrika rückt zunehmend in den Fokus der deutschen Wirtschaft. Das unterstreicht auch die Reise der höchsten deutschen Staatsvertreter, Bundeskanzler Olaf Scholz und Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier, mit hochrangigen Unternehmensvertretern in mehrere Staaten auf dem Kontinent. Wird bald auch afrikanisches Gas nach Deutschland verschifft?
Scholz nahm am Montag an einem Wirtschaftsgipfel in Nigeria teil. „Nigeria verfügt über die größte Gasversorgung in Afrika“, hob er vorher in einem Interview mit der nigerianischen Tageszeitung The Punch hervor. Deutsche Unternehmen seien an Gaslieferungen aus Nigeria interessiert und würden sich auf die Zusammenarbeit mit nigerianischen Gasunternehmen freuen. Am Abend soll Scholz weiter nach Ghana fliegen. Steinmeier ist für vier Tage nach Tansania und Sambia aufgebrochen. Die Reisen zeigten, „dass der afrikanische Kontinent vermehrt die politische Beachtung findet, die er verdient“, erklärte der Afrika-Verein der deutschen Wirtschaft (AV).
Olaf Scholz in Afrika: Deutsche Wirtschaft fordert Investitionsgarantien
Doch darüber hinaus spart der Afrika-Verein nicht mit Kritik. Zwar seien für Ghana umfassende Investitionsgarantien im Rahmen der deutschen G20-Partnerschaft „Compact with Africa“ geschlossen worden. Für die größere Volkswirtschaft Nigeria würden aber Anreize und Konditionen für deutsche Unternehmen nicht in ausreichendem Maß verbessert. „Die Kanzlerreise sollte genutzt werden, hier nachzubessern“, forderte der AV-Hauptgeschäftsführer Christoph Kannengießer.
In einem Gastbeitrag für die Frankfurter Allgemeine Zeitung (FAZ) unterstrichen der frühere Vorsitzende des Afrika-Vereins, Stefan Liebing, und der an der Universität Jena lehrende Wirtschaftsprofessor Andreas Freytag die Notwendigkeit staatlicher Investitionsgarantien: „Wenn ein deutscher Unternehmer in Afrika einen Solarpark bauen möchte, so kann er sich zwar versichern für den Fall, dass der lokale Energieversorger seine Rechnung nicht bezahlen möchte“, heißt es im FAZ-Beitrag. Gegen einen Zahlungsausfall des staatlichen Unternehmens sei der deutsche Investor dann aber nicht versichert. Und dieses Risiko habe wirtschaftliche Folgen: „Da der Investor sein Projekt aber in der Regel zumindest teilweise auf Kredit finanzieren wird und die Banken solche Risiken nicht tragen können, finden die allermeisten grünen Energieprojekte in Afrika nicht statt“, konstatieren Liebing und Freytag.
Deutschland ist abgeschlagen: China steigert Investitionen in Afrika
Nigeria will den Erdgas-Export massiv ausbauen. Doch aufgrund der begrenzten Exportinfrastruktur war das Land bislang nicht in der Lage, die nach der russischen Invasion in der Ukraine rasant gestiegene europäische Gasnachfrage zu decken. Laut Daten von S&P Global exportierte Nigeria 2022 nur 9,06 Millionen Tonnen Flüssigerdgas (LNG) nach Europa und lag damit sogar noch unter dem Wert von 9,58 Millionen Tonnen im Jahr 2021. Am Ausbau der LNG-Infrastruktur will die Regierung um Präsident Bola Tinubu aber unbedingt festhalten. Denn der geplante Bau der Transsahara-Pipeline, die Gas aus Nigeria über Niger und Algerien nach Europa liefern sollte, droht wegen des Staatsstreichs in Niger vom 29. Juli zu versanden.
Die wachsende geostrategische Bedeutung des Kontinents hat die Bundesregierung in ihrer Afrika-Strategie festgeschrieben, die sie im Januar veröffentlicht hat. „Das Ziel dieser Strategie ist, gemeinsam mit Afrika globale Strukturpolitik zu machen“, heißt es darin. „Sie ist unter dem Einfluss der globalen Herausforderungen entstanden, die unser zukünftiges Handeln prägen: der russische Angriffskrieg in der Ukraine, der wachsende Einfluss Chinas auf dem afrikanischen Kontinent, die Klimakrise.“
China hat in der vergangenen Woche verdeutlicht, dass es dem Wirtschaftswachstum in Afrika einen hohen Stellenwert beimisst. Wie das Handelsministerium mitteilte, hat der chinesische Staat im ersten Halbjahr 2023 Direktinvestitionen in Höhe von mehr als 1,8 Milliarden US-Dollar in Afrika getätigt – eine Steigerung gegenüber dem Vorjahr um 4,4 Prozent.
Seit mittlerweile 14 Jahren ist China Afrikas größter Handelspartner. Der bilaterale Handel sei im vergangenen Jahr gegenüber dem Vorjahr um etwa elf Prozent gestiegen und habe 282 Milliarden US-Dollar erreicht, teilte das chinesische Handelsministerium mit. Außerdem hätten Unternehmen ihre Investitionen auf dem Kontinent von traditionellen Sektoren, darunter Baugewerbe, Bergbau und Fertigung, auf aufstrebende Branchen wie Logistik, digitale Wirtschaft, saubere Energie, Gesundheit, grüne Entwicklung und Finanzen ausgeweitet.
Die größten Investoren in Afrika waren 2021 Großbritannien (60 Milliarden US-Dollar), Frankreich (54 Milliarden US-Dollar), die Niederlande (54 Milliarden US-Dollar), die USA (45 Milliarden US-Dollar) und China (44 Milliarden US-Dollar). „Dagegen bleibt die deutsche Wirtschaft immer noch hinter ihren Möglichkeiten, aber auch hinter den Notwendigkeiten mit Blick auf die Diversifizierung zurück“, beklagt der Afrika-Verein der deutschen Wirtschaft. Deutschland lag mit einem Investitionsvolumen von 15 Milliarden US-Dollar gerade einmal auf Platz neun.