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Beitrag vom 18.09.2023

NZZ

Die Türkei ist heimliche Profiteurin der Staatsstreiche in Westafrika

Unter Erdogan baut Ankara seine Präsenz in Afrika gezielt aus – doch um Frankreich als Ordnungsmacht abzulösen, fehlen die Ressourcen

Volker Pabst, Istanbul

Unterstützerinnen des türkischen Präsidenten Erdogan in Somalia. Die historisch engen Verbindungen zum Horn von Afrika würde die Türkei gerne auf Westafrika ausweiten. Feisal Omar / Reuters
Als das Militär im August 2020 die Regierung in Mali stürzte, dauerte es nur drei Wochen, bis der damalige türkische Aussenminister Mevlüt Cavusoglu den neuen Machthabern in Bamako seine Aufwartung machte. Die Türkei war damit einer der ersten Staaten überhaupt, welche die Putschisten indirekt legitimierten. Im Westen, besonders beim Nato-Partner Frankreich, stiess das auf einige Kritik.

Seither wurde Westafrika von einer ganzen Reihe weiterer Staatsstreiche erschüttert. So forsch wie in Mali geht die Regierung in Ankara mittlerweile nicht mehr vor. Auf die Umstürze in Burkina Faso 2022 und in Niger im Juli dieses Jahres reagierte das türkische Aussenministerium mit den gängigen Floskeln diplomatischer Besorgnis.

Neue Einflussmöglichkeiten

Auch bei Gabon, wo vor drei Wochen eine Militärjunta die Macht übernahm, hiess es aus Ankara, man verfolge die Ereignisse «mit Aufmerksamkeit» und «hofft, dass Friede und Stabilität wiederhergestellt werden». Eine offizielle Verurteilung der Putsche gab es aber nicht, obwohl die Regierung von Präsident Recep Tayyip Erdogan gegenüber den Staatsstreichen im eigenen Land und insbesondere dem gescheiterten Putschversuch von 2016 keine zweideutige Haltung duldet.

Diese Zurückhaltung kommt nicht von ungefähr. Die mit starken antifranzösischen Untertönen erfolgten Machtwechsel in Westafrika stellen traditionelle Allianzen infrage und bieten Einflussmöglichkeiten für neue Akteure in der Region. Dazu zählt auch die Türkei.

Der auf Geostrategie des Mittelmeerraums spezialisierte Politikwissenschafter Michael Tanchum prognostizierte kürzlich sogar, die Türkei könnte als grösste Profiteurin der Umwälzungen im Sahel hervorgehen. Tanchum verwies auf die türkische Präsenz in Westafrika, die ebenso auf wirtschaftlicher und rüstungspolitischer Zusammenarbeit beruhe wie auf kulturellem und humanitärem Engagement. Damit habe Ankara das Potenzial, zu einem führenden strategischen Partner für die Länder in der Region zu werden.

Tatsächlich hat die Türkei ihren Fussabdruck in Afrika kontinuierlich vergrössert. In den vergangenen fünfzehn Jahren ist die Zahl türkischer Botschaften auf dem Kontinent von 12 auf 44 gestiegen. Auf die Eröffnung einer neuen Vertretung folgte meist bald eine direkte Flugverbindung von Turkish Airlines. Die halbstaatliche Fluggesellschaft steuert mittlerweile mehr als sechzig Destinationen in Afrika an.

Kulturelle Nähe

Dutzende von türkischen Schulen, die meist von der Gülen-Sekte gegründet und nach deren Bruch mit der Regierung von der staatlichen Maarif-Stiftung übernommen wurden, tragen weiter zur türkischen Soft Power bei. Bei seinen bisher mehr als dreissig Reisen nach Afrika betont Präsident Erdogan zudem gerne die unbelastete Vergangenheit seines Landes in der Region und, in muslimischen Gegenden wie dem Sahel, die kulturelle Nähe.

Anders als die ehemaligen Kolonialmächte im Westen, so die Botschaft, sei die Türkei an einer Partnerschaft auf Augenhöhe interessiert. Frei von Widersprüchen ist dieses Narrativ zwar nicht. In Nordafrika, wo das türkische Engagement mit Abstand am stärksten ist, gibt es sehr wohl eine quasikoloniale Vergangenheit mit dem Osmanischen Reich. Dennoch kann die Türkei glaubhafter als ehrlicher Fürsprecher Afrikas auftreten als etwa Russland, das sich ebenfalls als Alternative zum Westen präsentiert – von China, dessen auf Ressourcenabbau ausgerichtetes Engagement in Afrika zunehmend kritisch gesehen wird, ganz zu schweigen.

Auch wirtschaftlich und rüstungspolitisch ist die Türkei präsent. In Senegal etwa hat der türkische Stahlkonzern Tosyali eine Milliardeninvestition getätigt. Die nigrische Armee wiederum kaufte 2021 mehrere türkische Bayraktar-Drohnen. Deren wirkungsvoller Einsatz im libyschen Bürgerkrieg im Jahr davor blieb im Sahel nicht unbemerkt. Solche Investitionen und Geschäfte gehen oftmals mit Ausbildungsangeboten an die afrikanischen Partner einher. Auch das ist ein Unterschied zu China oder Russland, die selten zu einem Wissenstransfer bereit sind.

«Der gute Draht zum nigrischen Militär ist für Ankara nun natürlich von Vorteil», sagt Federico Donelli. Der Forscher an der Universität Triest hat ein Buch über die türkische Afrikapolitik geschrieben. Er ist der Ansicht, dass die antifranzösischen Umwälzungen der Türkei neue Möglichkeiten in der Region eröffnen.

Dies bedeute aber nicht, dass Ankara als antiwestliche Macht auftrete. «Dass die Türkei Nato-Mitglied ist, weiss man auch im Sahel. Für den Westen wäre es sicherlich besser, wenn Ankara die nun entstandenen Lücken füllen würde und nicht Moskau», sagt Donelli.

Gleichzeitig warnt der Forscher aber vor unrealistischen Erwartungen. «Erdogan hat zwar globale Ambitionen, doch die Ressourcen der Türkei sind begrenzt.» In der türkischen Regierung sei Afrika nicht für alle eine Priorität. Unter den nationalistischen Verbündeten des Präsidenten etwa gebe es viel Skepsis gegenüber dem starken Engagement.

Der Sahel ist kein Schwerpunkt

Die Forscherin Elem Eyrice Tepeciklioglu vom Institut für Regionalwissenschaften an der Universität Ankara ist noch zurückhaltender, was den möglichen Zugewinn an türkischem Einfluss im Sahel angeht. «Wir haben andere Schwerpunkte in Afrika, vor allem Libyen und Somalia. Dafür werden die meisten Ressourcen eingesetzt, und das wird in absehbarer Zeit auch so bleiben.»

Libyen sei der erste Auslandsmarkt für türkische Unternehmer gewesen. Auch bei der Intervention 2020 im Bürgerkriegsland sei es um türkische Wirtschaftsinteressen gegangen, erklärt Eyrice Tepeciklioglu. Ausserdem gebe es enge historische Verbindungen nach Nordafrika. Und am Horn von Afrika, in Somalia, unterhalte die Türkei sogar ein militärisches Ausbildungszentrum.

Westafrika sei demgegenüber eine noch weitgehend unbekannte Region, in der man erst seit kurzem präsent sei. Das heisse nicht, dass man nicht versuchen werde, sich bietende Gelegenheiten beim Schopf zu packen, sagt die türkische Afrika-Spezialistin. «Aber unsere Interessen in der Region sind begrenzt und unsere Kapazitäten erst recht.» Es gebe Stimmen, die in der Türkei die neue Ordnungsmacht zu erkennen glaubten. Manche fabulierten sogar über eine Mittäterschaft bei den Coups, mit der die türkische Position gestärkt werden solle. «Das ist Unsinn», sagt Eyrice Tepeciklioglu. Man dürfe sich nicht blenden lassen. Der türkische Anteil am afrikanischen Rüstungsmarkt etwa betrage weniger als ein Prozent. «Auch wenn wir nun ein wenig zulegen, rücken wir nicht über Nacht in die erste Liga vor.»