Beitrag vom 12.09.2023
FAZ
Die nächste Niederlage des Westens
Von Nikolas Busse
In Westafrika scheitert Europa wie in Afghanistan. Eine Lehre daraus lautet, dass wir die Welt nicht so machen können, wie wir selbst leben. Es wird Zeit für mehr Realpolitik.
Was der Westen, vor allem Europa, gerade in West- und Zentralafrika erlebt, ist eine strategische Niederlage. Anders kann man es nicht bezeichnen, wenn die eigenen Truppen zum Abzug gezwungen werden und in einem Land nach dem anderen verbündete Regierungen aus dem Amt geputscht werden. Die Entwicklungen in Mali, Niger, Burkina Faso, Guinea und zuletzt Gabun mögen auf die breite Öffentlichkeit mangels entsprechender Bilder weniger dramatisch wirken als vor zwei Jahren der westliche Abzug aus Afghanistan, der am Ende ebenfalls mehr ein Rauswurf war. Aber außen- und sicherheitspolitisch haben sie eine Bedeutung, die noch über das Scheitern am Hindukusch hinausgeht: Hier geht es um eine Region vor Europas Haustür auf einem Kontinent, auf dem sich Russland und China erfolgreich um Einfluss bemühen.
Dass die Bundeswehr nach Mali entsandt wurde, war nicht zuletzt ein Freundschaftsdienst für Frankreich. Trotzdem betreffen die Folgen der Umstürze bei Weitem nicht nur die französische Politik. Der Einsatz folgte derselben Logik wie der in Afghanistan: Der Westen wollte sich militärisch und entwicklungspolitisch engagieren, um dem Dschihadismus und der irregulären Migration an ihren Entstehungsorten zu begegnen. Das Terrorproblem wurde mit dem französischen Abzug aus Mali nun aber sogar größer, und dass Europa weiterhin ein Interesse daran hat, wer wichtige Wanderungsrouten in Richtung Mittelmeer kontrolliert, liegt auf der Hand. Örtliche Milizen und Militärregierungen, die mit russischen Söldnern zusammenarbeiten, sollten es eigentlich nicht sein.
Dass das europäische Engagement so kläglich gescheitert ist, hat viele Gründe. Ausschlaggebend sind oft lokale Faktoren, darunter vor allem Machtkämpfe korrupter Eliten. Es fällt aber schon auf, dass in etlichen Ländern eine Ernüchterung über die Zusammenarbeit mit dem Westen zu erkennen ist, so wie das schon in Afghanistan der Fall war. Dass im Jahr 2023, gut ein halbes Jahrhundert nach der Dekolonisation, Putschführer Gehör mit antifranzösischen, letztlich antiwestlichen Parolen finden, sollte auch in Berlin jedem Außen- und Entwicklungspolitiker zu denken geben.
Die gerade in Deutschland mit großer Überzeugung verfolgte „wertebasierte Außenpolitik“ wird offenbar von nicht wenigen Adressaten als übergriffig wahrgenommen. Manchmal fragt man sich, warum es deutschen Politikern so schwerfällt, das zu verstehen. Sie selbst verbitten sich sogar von EU-Partnern bei vielen Fragen Einmischung, etwa wenn es um den richtigen Energiemix geht. Andere wollen sie aber zu einem Gesellschaftsmodell bekehren, das selbst in Europa erst seit ein paar Generationen richtig funktioniert. Ein Rechtsstaat, freie Medien, Minderheiten- oder Frauenrechte lassen sich aber nicht mit der Bundeswehr erzwingen, noch nicht einmal wirtschaftliche Entwicklung. Das wusste man schon nach Afghanistan, hat es in Westafrika aber trotzdem noch einmal versucht.
Wenn man unbedingt will, kann man solche Erfahrungen nun in Untersuchungsausschüssen aufarbeiten, wie das im Fall Afghanistans geschieht. Es geht hier aber nicht darum, ob die eine oder andere Stellschraube bei künftigen Einsätzen anders justiert werden muss. Im Grundsatz zeigt sich dasselbe Problem wie schon in der deutschen Russlandpolitik: Wir hätten die Welt gerne so, wie wir selbst leben. Weil Deutschland ein friedfertiges Land ist, haben seine Politiker einen Angriff Putins nicht für möglich gehalten. Weil es eine aufgeklärte, postmoderne Gesellschaft ist, möchten sie, dass auch Afrika so wird (oder Asien oder Lateinamerika).
Klappt das nicht, dann werden EU-Sanktionen verhängt, schon geschehen im Fall Malis und in Vorbereitung für Niger. Damit fühlt man sich dann in Europa moralisch ins Recht gesetzt, überlässt das Feld aber Moskau und Peking. Der österreichische Außenminister hat schon recht, wenn er sagt, dass man mit diesem Ansatz letztlich drei Viertel der Weltbevölkerung canceln müsse.
Mit Realpolitik hat das wenig zu tun, die sucht nach Interessenausgleich. Europa sollte nicht den Fehler machen, Westafrika so fallen zu lassen wie Afghanistan, auch wenn das manchmal bedeutet, mit politisch fragwürdigen Leuten zusammenzuarbeiten (die gestürzten „Demokraten“ waren nicht alle wirklich besser). Und es ist an der Zeit, die Ausrichtung der Entwicklungshilfe zu überprüfen. Dass sie oft nur wenig Wirkung zeigt, wird sonst auch für ihre Akzeptanz beim deutschen Wähler problematisch; die AfD hat das Thema schon entdeckt. Vor allem aber gilt es, sich von der Illusion zu verabschieden, man könne unerwünschte Migration und Terrorismus an der Wurzel eindämmen. Das müssen die Europäer schon zu Hause leisten.