Beitrag vom 15.08.2023
Handelsblatt
Ministerin auf unmöglicher Mission in Afrika
Nach dem Militärputsch im Niger droht in der Sahelzone ein Flächenbrand. Entwicklungshilfeministerin Svenja Schulze wird mit ihrem Besuch kaum etwas ausrichten können.
Wolfgang Drechsler
Seit zehn Jahren bereits findet im „Bauch von Afrika“ ein unübersichtlicher Machtkampf zwischen Islamisten, Militärdiktatoren und kriminellen Banden statt. Mit dem Militärputsch im Niger hat der blutige Konflikt eine neue Dimension erreicht. Denn mit dem Niger droht nun auch noch der letzte halbwegs funktionierende Staat zu fallen, der aus Sicht des Westens auch eine wichtige Rolle bei der Kontrolle der Flüchtlingsströme Richtung Mittelmeer spielte.
Grund genug also für Entwicklungshilfeministerin Svenja Schulze (SPD) für einen viertägigen Besuch vor Ort – um zu retten, was aber vermutlich gar nicht mehr zu retten ist. Zumal Deutschlands Einfluss in der Region eher gering ist.
Die Lage könnte schwieriger kaum sein: Ecowas, eine Gruppe westafrikanischer Staaten, hat den Putschisten im Niger ein bislang folgenlos verstrichenes Ultimatum gesetzt, das die Wiedereinsetzung der gestürzten prowestlichen Regierung verlangt. Andernfalls wurde den Putschisten offen mit der Anwendung von Gewalt gedroht.
Hinter der Initiative scheint der neue nigerianische Staatschef Bola Tinubu zu stehen, der erst Anfang Juli auch den Ecowas-Vorsitz übernommen und sich schon damals für ein härteres Vorgehen bei Putschversuchen in der Region ausgesprochen hatte.
Denn je öfter Militärs dort putschen, ohne später irgendwie dafür sanktioniert zu werden, desto mehr müssen Zivilregierungen wie in Nigeria Nachahmungsversuche wie in Guinea, Mali oder Burkina Faso fürchten.
Kampf im In- und Ausland
Innerhalb der Ecowas verfügt nur Nigeria mit seinen rund 200.000 Soldaten über eine ausreichend große Armee zum Aufbau einer Drohkulisse. Allerdings ist sie bereits daheim im Kampf gegen den islamistischen Terror stark gebunden. Umso bedeutsamer ist, dass nun der Senat des Landes die Entsendung von Truppen in den Niger zunächst gestoppt hat.
Es gibt gute Gründe dafür: Denn ein Ecowas-Einmarsch im Niger könnten den blutigen Konflikt am Sahel noch verschärfen. Einer Ecowas-Armee stünden nicht nur die 30.000 Soldaten im Niger gegenüber, sondern womöglich auch die Putschisten in Burkina Faso und Mali, deren Ecowas-Mitgliedschaft nach den illegalen Umstürzen dort suspendiert ist. Noch schlimmer wäre es, wenn die inzwischen in Mali aktiven russischen Wagner-Söldner aufseiten der Putschisten in dem Konflikt mitmischen würden.
Der Westen muss vorsichtig sein
Starke postkoloniale Ressentiments gegenüber Frankreich, die vor allem in der Enttäuschung vieler Menschen am Sahel über die extrem eingetrübte Sicherheitslage wurzeln und die alte Ordnungsmacht Frankreich dafür verantwortlich machen, haben die seit Jahren labile Lage in der Region weiter verschärft. Statt westlicher Unterstützung haben immer mehr Regime am Sahel Hilfe bei dubiosen Akteuren gesucht, die wie die russischen Wagner-Söldner weit mehr Interesse an den Rohstoffen der Region als an ihrer Befriedung haben.
Der Westen sollte gegenüber einer direkten Beteiligung an der Ecowas-Mission schon deshalb sehr vorsichtig sein, weil er sich dadurch sofort den Vorwurf des Neokolonialismus einhandeln und neuen Konspirationstheorien Nahrung geben würde.
Die nigrische Militärregierung hat erklärt, Beweise für Hochverrat durch Mohamed Bazoum vorliegen zu haben. Die UN zeigt sich besorgt über die Bedingungen, unter denen der gestürzte Präsident seit dem Putsch am 26. Juli festgehalten wird.
Stattdessen sollte er, wie bislang geschehen, die umfangreichen Hilfsleistungen in den Niger beschränken. Große Zurückhaltung ist aber auch deshalb ratsam, weil noch gar nicht absehbar ist, wohin das neue Militärregime genau tendiert – und eine Überreaktion des Westens es am Ende womöglich gerade in die Arme Russlands treiben würde.