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Für eine andere Entwicklungspolitik!

Beitrag vom 07.08.2023

NZZ

Afrika – ein Tummelfeld der Weltmächte

Als ressourcenreicher Kontinent ist Afrika ins Visier von Chinas wirtschaftlichen und politischen
Interessen geraten. Auch die Russen mischen mit und stiften Chaos. Der Westen muss dringend
Wege finden, für langfristige Stabilität zu sorgen.

Gastkommentar von Hans-Josef Beth

Wie soll der Westen in Afrika mit seinen systemischen
Rivalen umgehen? Auf dem afrikanischen
Kontinent sind die westlichen liberalen Demokratien
mit ihrem Ordnungsmodell und in ihren geostrategischen
Interessen dreifach herausgefordert:
vom islamistischen Terrorismus, vom regionale Unordnung
stiftenden Russland und von dem mit seiner
regionalen wirtschaftlichen Kooperationspolitik
erfolgreichen China.

Der eng mit der transnationalen organisierten
Kriminalität verflochtene islamistische Terrorismus
gewinnt im westlichen, östlichen und zentralen
Afrika immer mehr Einfluss. Das westafrikanische
Sahelgebiet gilt inzwischen als das weltweit
dynamischste Ausbreitungsgebiet des internationalen
Terrorismus.

Destruktives Russland

Russland ist es in den vergangenen Jahren gelungen,
vom westafrikanischen Mali über die Zentralafrikanische
Republik bis ins nordafrikanische
Libyen und in das ostafrikanische Eritrea eine
militärische und schattenwirtschaftliche Einflusszone
zu etablieren. Im südlichen Afrika kann sich
Russland als Nachfolger der Sowjetunion noch auf
eine «historische» Verbundenheit mit den dort aus
ehemaligen Unabhängigkeitsbewegungen hervorgegangenen
Regierungen verlassen.

China hat sich in den letzten beiden Dezennien
zum stärksten Handels- und Investitionspartner der
meisten afrikanischen Staaten entwickelt. Westliche
Warnungen vor einer chinesischen «Schuldenfallen-
Diplomatie» werden von den afrikanischen
Eliten mit dem selbstbewussten Hinweis auf den
Vorrang eigener nationaler Interessenabwägungen
zurückgewiesen.

In Afrika überlagern und verstärken sich zusehends
Problemfelder mit einem gewaltigen
Potenzial transnationaler und globaler Gefahren.
Diese werden sich künftig nicht ohne eine neue
multilaterale Abwehrstrategie unter Bündelung
von finanziellen Mitteln ebenso wie von politischem
Goodwill der auf dem Kontinent einflussreichsten
globalen Akteure bewältigen lassen.

Den militärischen Anti-Terror- und Friedensmissionen
in afrikanischen Konfliktregionen fehlt
es an Effizienz. Sie stossen zusehends an die Grenzen
sowohl der lokalen Akzeptanz als auch des
internationalen politischen Managements. Die in
den afrikanischen Ländern zur Anpassung an den
Klimawandel sowie zum Aufbau international konkurrenzfähiger
Wirtschaftsstrukturen dringend benötigten
staatlichen und privaten Investitionen
sind nicht in Sicht. Allein der Bedarf der afrikanischen
Länder an Geldern für die Klima-Adaption
ist zehnfach höher als die hierfür bisher verfügbaren
Mittel.

Vorschläge zu innovativen Finanzierungsmodellen,
etwa hybriden staatlich-privaten Engagements
oder «Schulden-für-Klima-Swaps», werden sich im
erforderlichen Umfang nur realisieren lassen, wenn
es zu einem «De-Risking» für private Investitionen
in Afrika kommt. Die in diesem Zusammenhang
erheblich zu steigernden geberstaatlichen Sonderleistungen
in Form von Vorinvestitionen und Kreditgarantien
würden verhindert, wenn es zu einem
weiteren Anstieg der geopolitischen Spannungen
auf dem afrikanischen Kontinent käme.

Russland hat für die westlichen Länder in seiner
derzeitigen staatlichen Verfassung und mit
dem Profil seines Afrika-Engagements keine
Partnerschaftsqualität. Es ist ein destruktiver, auf
wirtschaftliche und politische Profite aus militärischen
Dienstleistungen in Krisenregionen ausgerichteter
Akteur. Seine entsprechenden Aktivitäten
dürfte es insbesondere in den Ländern
des afrikanischen Sahel auch in Zukunft in der
Manier der Söldnertruppe Wagner fortsetzen –
mit oder ohne den bisherigen Strippenzieher Jewgeni
Prigoschin.

Den Absichten und Taten des Unruhestifters
Russland in Afrika muss der Westen konsequent
mit eindämmenden politischen und militärischen
Bündnissen entgegentreten. Punktuelle wirtschaftliche
Projekte, die Russland etwa im Energie- oder
Bergbausektor Ägyptens bzw. Südafrikas abwickelt,
stellen hingegen keine besondere Herausforderung
dar. Sie entsprechen den normalen Handelsinteressen
der afrikanischen Partner.

Ganz anders stellt sich die westliche Interessenlage
im Verhältnis zu China dar. Das Reich
der Mitte ist auf dem afrikanischen Kontinent erfolgreich
und mehrheitlich beliebt. Die den afrikanischen
Bedürfnissen und Vermögensverhältnissen
gut angepassten chinesischen Waren- und
Projektangebote sind attraktiv. Im Gegensatz zu
Russland hat sich China in Afrika als eine leistungs-
und aufbauwillige globale Macht etablieren
können. Bei aller Kritik an einzelnen chinesischen
Kooperationsprojekten überwiegt in vielen
afrikanischen Ländern derzeit die Sorge, dass
auch in China die für Afrika verfügbaren Investitionsmittel
schwinden könnten.

Angebot zur Kooperation

Die westlichen Länder sollten nicht der Versuchung
erliegen, das chinesische Gestaltungspotenzial
in Afrika unter Rekurs auf einen «Raubtiercharakter
» des systemischen Konkurrenten zu
ignorieren oder gar aktiv eindämmen zu wollen;
dies würde der gegenwärtigen geopolitischen Lage
nicht gerecht. Immer mehr afrikanischen Staaten
droht ein akuter Schuldenstress, mit dem ihre Kredit-
und damit Investitionswürdigkeit weiter gemindert
würde. China ist der grösste bilaterale
Gläubiger der afrikanischen Länder und schon
deshalb ein unentbehrlicher Partner beim Bemühen
um Problemlösungen.

Das wirtschaftliche und diplomatische Gewicht
Chinas in Afrika sollte den Westen zu einer strategischen
Akzentverlagerung veranlassen: Mit dem
Angebot zu einer breit angelegten stabilitäts- und
entwicklungsorientierten gemeinsamen Afrika-Initiative
würde er die synergieträchtige Beziehungskategorie
des «Partners» gegenüber der ausgrenzenden
des «Rivalen» hervorheben. Eine Verständigung
der beiden globalen Mächte in den Vereinten
Nationen und anderen internationalen
Organisationen zum Vorgehen in Afrika könnte
unter anderem dazu führen, dass die Mandate künftiger
Uno-Friedensmissionen den jeweiligen Konfliktszenarien
besser angepasst würden. Pakete zu
Finanzierungen und Schuldenregulierungen liessen
sich bei mehr Vertrauen zwischen den potentesten
Weltmächten unkomplizierter schnüren.

Die Chancen stehen nicht schlecht, dass China
auf ein Angebot des Westens zu einem solchen
konstruktiven Schulterschluss eingehen würde.
China braucht Stabilität und weitere wirtschaftliche
Entwicklung in einer Region, in der es bereits
eine starke Präsenz und umfangreiche Lieferbeziehungen
aufgebaut hat. Mit seinen besonderen
Interessen in Afrika könnte China auch
gegenüber seinem erklärten strategischen Partner
Russland eine engere Kooperation mit westlichen
Staaten begründen.

Für die westlichen Länder wäre eine intensivierte
Zusammenarbeit mit China mit keinem unangemessenen
Risiko verbunden. Insbesondere dürften
die zahlreichen westlichen Sicherheitsallianzen mit
den afrikanischen Staaten und Regionalorganisationen
durch eine neue multilaterale Kooperationsdynamik
nicht infrage gestellt werden. Bisher hat
China in Afrika keine für den Westen bedrohlichen
bilateralen militärischen Allianzen angestrebt. Die
in diesem Bereich eindeutige westliche Dominanz
sollte China auch weiterhin in eigener nationaler
Interessenabwägung akzeptieren, wenn nicht sogar
schätzen. Natürlich stünden sich die unterschiedlichen
Wertesysteme des Westens und Chinas auch
in neuen gemeinsamen Kooperationsräumen weiter
in Konkurrenz gegenüber. Aber dies wäre beim
Forcieren konfrontativer Situationen erst recht der
Fall, bei höheren eigenen Einsatzpflichten und sehr
ungewissen Erfolgsaussichten.

In einer jüngst veröffentlichten Analyse ermutigt
der südafrikanische Think-Tank Institute for
Security Studies (ISS) den Westen zu einem die
ideologischen Lager übergreifenden neuen «Winwin
»-Ansatz: In Afrika könne es derzeit nicht primär
um den Aufbau idealer liberaler Demokratien
gehen; der Kontinent brauche zuallererst Stabilität
und Investitionen. Und auch China sei es in diesem
Zusammenhang und im eigenen Interesse an
mehr «good governance» in den afrikanischen Ländern
gelegen – und dies biete dem Westen somit
eine gute Dialogplattform für Absprachen bezüglich
einer engeren Zusammenarbeit.

Der Appell reflektiert die Überzeugung, dass
nur auf einer Verständigungsbasis der finanziell
und technologisch stärksten Weltmächte die Bedingungen
für eine friedlichere und gedeihlichere
Zukunft Afrikas geschaffen werden können.

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Hans-Josef Beth arbeitete 35 Jahre lang für den deutschen
Bundesnachrichtendienst (BND). Zuletzt leitete er
die Abteilung Internationaler Terrorismus.