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Beitrag vom 04.08.2023

Handelsblatt

Der Westen muss eine breite Friedensallianz für Afrika bilden

Das Chaos im Niger macht erneut das Scheitern der Afrikapolitik deutlich. Ein neuer Anlauf, unter Einschluss von China und der Türkei, ist dringend notwendig.

Wolfgang Drechsler

Der Westen steht vor einem Scherbenhaufen seiner Politik in der Region. Foto: Reuters
Der Militärputsch in dem westafrikanischen Wüstenstaat Niger hat die seit Langem unruhige Sahelzone wieder in den Fokus der westlichen Öffentlichkeit gerückt – und ihren Ruf als die „Putschzone Afrikas“ bestätigt. Der bis zu 800 Kilometer breite Streifen, der sich am südlichen Rand der Sahara vom Atlantik bis ans Rote Meer erstreckt, gehört zu den ärmsten und am wenigsten entwickelten Gegenden der Welt.

Zuletzt war die Region vor drei Monaten in den Schlagzeilen, als ein blutiger Machtkampf im Sudan die Evakuierung fast aller Ausländer notwendig gemacht hat. Nun folgt nur kurz darauf eine ganz ähnliche Operation in Niger.

Nachdem fast alle westlichen Initiativen kläglich gescheitert sind, steht der Westen vor einem Scherbenhaufen seiner Politik in der Region. Um bei Interventionen oder dem Abbau von Rohstoffen künftig nicht immer sofort des Neokolonialismus bezichtigt zu werden, braucht es eine breite Allianz zur Befriedung der Region, die über die früheren Kolonialmächte hinaus auch China und die Türkei einschließt. Schließlich sollten auch sie ein Interesse an einem weniger fragilen Afrika haben. Andernfalls droht am Sahel noch mehr Chaos, das auch in Europa spürbar würde.

Sollte die Machtübernahme des Militärs in Niger Bestand haben, würde sich ein Streifen von Staaten quer über den Kontinent erstrecken, die von zum Teil offen antiwestlichen Regimen regiert werden und fast unisono Frankreich für ihre oft selbstverschuldeten Probleme verantwortlich machen.

Zu viele arbeitslose Jugendliche

Für die Region, die seit über zehn Jahren von Islamisten terrorisiert wird, ist der jüngste Putsch eine weitere Eskalation. Den Konflikten in Burkina Faso, Mali und Niger sind zuletzt rund 10.000 Menschen zum Opfer gefallen. Inzwischen nähert sich der Terror der Islamisten immer mehr dem Mittelmeer, aber auch Küstenstaaten wie Ghana, Nigeria und der Elfenbeinküste.

Nach dem Putsch haben tausende Nigrer gegen die Sanktionen regionaler und westlicher Partner protestiert. Unterdessen rief der gestürzte Präsident Mohamed Bazoum die USA dazu auf, die verfassungsmäßige Ordnung in seinem Land wieder herzustellen.
Vor allem zwei Gründe sind für die Dauerkrise verantwortlich: Der Sahel ist die Region mit den weltweit knappsten Ressourcen für die Nahrungsversorgung seiner Bewohner.

Daneben hat er ein extrem hohes Bevölkerungswachstum. Jedes Jahr steigt die Zahl der Menschen im Niger um fast vier Prozent, was eine Verdreifachung auf 70 Millionen bis 2050 zur Folge haben dürfte – in einem Land, das nach Ansicht von Experten maximal 13 Millionen tragen kann. Es fehlen Schulen, Straßen, Verwaltungen und Hospitäler.

Wenn sich nichts ändert, bietet die Region Terroristen ein unerschöpfliches Potenzial arbeitsloser Jugendlicher zur Rekrutierung: Grund genug, nicht weiter die Augen zu verschließen.