Beitrag vom 25.01.2023
FAZ
Prozess in London
Nigeria zittert vor Milliardenurteil
In einem Rechtsstreit in London geht es um einen geplatzten Erdgasdeal und massive Vorwürfe von Korruption: Verliert Nigeria, muss das Land 11 Milliarden Dollar zahlen und wäre wohl pleite.
Vor dem britischen Hohen Gericht in London hat in dieser Woche ein Prozess begonnen, in dem für Nigeria eine gewaltige Summe auf dem Spiel steht. Insgesamt geht es um 11 Milliarden Dollar, das entspricht etwa einem Drittel der Devisenreserven des westafrikanischen Landes oder fast einem Viertel seines Staatsbudgets in diesem Jahr. Der Prozess ist damit vom Volumen einer der größten der britischen Rechtsgeschichte. Verlöre Nigeria, wäre dies eine riesige Belastung für den bevölkerungsreichsten Staat des afrikanischen Kontinents.
Im Zentrum des Prozesses steht ein geplatzter Deal zur Erdgasförderung von 2010. Damals hatte das Land einen Vertrag mit einer in der Branche unbekannten Firma namens Process & Industrial Developments Ltd. (P&ID) geschlossen, die auf den britischen Virgin Islands registriert ist. Das Ingenieurs- und Entwicklungsunternehmen versprach, eine Erdgasaufbereitungsanlage zu bauen. Nigeria sollte Gas liefern, das in der Anlage von P&ID gereinigt und aufbereitet werden sollte. Die Vereinbarung scheiterte aber. Das Unternehmen baute die Anlage nie, weil Nigeria nicht wie vereinbart die Erdgasvorhaben zu erschließen begann. 2017 entschied ein Schiedsgericht in London nach jahrelangen Verhandlungen, dass Nigeria an P&ID für entgangene Gewinne 6,6 Milliarden Dollar Schadenersatz zahlen müsse – inklusive Zinsen ist die Summe heute auf 11 Milliarden Dollar gewachsen.
Nigeria klagt nun gegen diesen Schiedsspruch. Seiner Darstellung nach kam der Deal 2010 nur aufgrund von Korruption zustande. P&ID habe Offizielle der damaligen Regierung in Abuja bestochen. Auch der von Nigeria beauftragte Rechtsvertreter Olasupo Shasore, ein früherer Generalanwalt des Bundesstaats Lagos, der in London vor dem Schiedsgericht verhandelt hatte, sei bestochen worden. Die ganze Sache beruhe auf einem „massiven Betrug“.
Ein schwerer Schlag
P&ID bestreitet diese Darstellung. Nigeria wolle sich mit dem Korruptionsargument aus dem Vertrag herausmogeln, sagen die Anwälte des Unternehmens. Ein Richter des Hohen Gerichts, der die Berufung gegen den Schiedsgerichtsspruch zuließ, nannte die Vorwürfe Nigerias indes glaubhaft. Eine reale Geschäftstätigkeit von P&ID ist kaum greifbar. Einer der Gründer von P&ID war der inzwischen verstorbene Ire Michael Quinn, ein früherer Musikband-Manager, der dann nach Nigeria als Berater für Ölexplorationen ging. Nach dem Schadenersatzurteil übernahmen der Hedgefonds Lismore Capital und VR Capital Group die Mehrheit an P&ID. Für sie wäre ein Sieg in London ein finanzielles Fest.
Für Nigeria wäre es ein schwerer Schlag, falls der High Court das Schiedsgerichtsurteil aufrechterhielte. Eine Entscheidung wird im März erwartet. Beide Seiten könnten gegen ein Urteil Berufung einlegen und den Fall letztlich bis vor den Supreme Court bringen. Für die Regierung in Abuja ist der Fall sehr heikel. Die Zahlung der 11 Milliarden Dollar könnte Nigeria kaum stemmen. Das Land mit rund 220 Millionen Einwohnern und hohem Bevölkerungswachstum ist hoch verschuldet und wirtschaftlich angeschlagen.
Einnahmen durch Erdöl sanken
Ein Großteil der Bevölkerung lebt unter der Armutsgrenze. Etwa 40 Prozent müssen sich mit umgerechnet weniger als 1,90 Dollar am Tag begnügen. Ein erheblicher Teil der Staatsausgaben fließt in den Schuldendienst. Die öffentliche Verschuldung nähert sich der Marke von 45 Billionen Naira (fast 100 Milliarden Dollar). Laut IWF-Prognose wird die Schuldenquote innerhalb eines halben Jahrzehnts bis 2027 von 35 auf 45 Prozent steigen – ein gefährlich hoher Wert. Ratingagenturen haben die Bonitätsnote auf „Ramsch“-Niveau herabgestuft.
Nigeria ist Afrikas größter Erdölproduzent. Etwa 80 Prozent seiner Exporterlöse stammen aus dem Verkauf von Erdöl. Vom Preisaufschwung im vergangenen Jahr hat Nigeria aber nicht profitiert. Aufgrund der sehr hohen Benzinsubventionen und einer seit Jahren sinkenden Produktion fielen die Ölnettoeinnahmen des Staates sogar stark. Am 25. Februar wird in Nigeria ein neuer Präsident gewählt. Der 80 Jahre alte Muhammadu Buhari, seit 2015 Staatschef, tritt nicht mehr zur Wahl an, da laut Gesetz mehr als zwei Amtszeiten nicht zulässig sind. Im Korruptionsranking von Transparency International liegt das Land auf dem 154. von 180 Plätzen. Die wahrgenommene Korruption hat sich demnach in den vergangenen Jahren tendenziell verschlechtert.
Quelle: ppl.