Beitrag vom 27.01.2023
agrarheute
Lebensmittelexporte nach Afrika: Was passiert, wenn sie ausfallen?
Weil viele afrikanische Länder auf Getreidelieferungen angewiesen sind, waren sie von den Folgen des Ukraine-Kriegs besonders betroffen. Die neue Situation scheint Afrika aber zu einem Umdenken zu bewegen. Ein Land ging bereits voran.
Johanna Michel
Globale Krisen wie der Ukraine-Krieg treffen Afrika als Importeur von Nahrungsmitteln hart. Doch dass der Kontinent auch schnell reagieren kann, übersehen wir meist. Was der Wegfall von Getreide- und Geflügelfleischimporten für Afrika bedeutet, zeigen zwei aktuelle Einschätzungen aus Politik und Wissenschaft.
Wer lernen will, wie gutes Krisenmanagement funktioniert, sollte nach Äthiopien schauen: Das ostafrikanische Land hat direkt nach dem Angriff auf die Ukraine begonnen, den eigenen Getreideanbau massiv auszuweiten. Nach weniger als einem Jahr hat Äthiopien sich zum Getreideexporteur entwickelt. Das sagte die Agrarkommissarin der Afrikanischen Union, Josefa Sacko, in einem Interview mit dem Nachrichtenportal Euractiv. Noch 2021 waren Getreide und Getreideerzeugnisse für Äthiopien laut Statista die wichtigsten Importgüter.
Sacko erklärt, dass in Afrika derzeit 60 Prozent der landwirtschaftlichen Fläche ungenutzt sind. „Wir haben das Ökosystem, um Afrika zu ernähren und die Welt zu ernähren“, sagt die Politikerin. Die ausfallenden Getreidelieferungen aus der Ukraine seien für Afrika eine Chance, die eigene Produktion auszubauen.
Knappheit und hohe Preise für Lebensmittel sind sozialer Sprengstoff
Länder wie Ägypten, Algerien oder Tunesien und auch einige Subsahara-Staaten bekamen die ausgebliebenen Lieferungen und die Preissteigerungen allerdings besonders zu spüren. Sacko warnte vor sozialem Sprengstoff, der sich aus der angespannten Lage ergebe und viele afrikanische Länder bedrohe.
Trotzdem sei der Ukraine-Krieg ein Anlass, um die Nahrungsmittelproduktion auf dem Kontinent neu zu bewerten. Die 45 Mrd. Dollar, die Afrika jedes Jahr für Lebensmittelimporte ausgebe, könnten stattdessen in die eigene Landwirtschaft fließen. Wenn die Produktion in Afrika gesteigert werde, könnten die Lieferungen aus Europa reduziert werden. Europa müsse dann seinerseits nicht zwingend über Produktionssteigerungen nachdenken. Außerdem könnten die eigenen Produkte zu besseren Preisen angeboten werden.
Die Afrikanische Union ermutige ihre Mitgliedstaaten laut Sacko, das Potenzial ihrer landwirtschaftlichen Flächen zu nutzen und Arbeitsplätze und Wohlstand zu schaffen.
Green Deal und Farm-to-Fork sind für Drittstaaten eine Gefahr
Wenn die Nachhaltigkeitsziele, die die Europäische Union mit ihrem Green Deal beziehungsweise mit der Farm-to-Fork-Strategie verfolgt, auch auf Importe aus Drittstaaten angewendet werden würden, wären sie für die Landwirte in Afrika ein Problem. Insbesondere für Kleinbauern könnten sich die EU-Standards zu einem unüberwindbaren Handelshemmnis entwickeln, warnte die Agrarkommissarin.
Um die Standards einzuhalten, müssten die internationalen Märkte und Erzeugerpreise fair sein. Sacko sprach sich sowohl für qualitativ hochwertige Lebensmittel als auch für ein Mitspracherecht Afrikas bei der Preisgestaltung aus. Derzeit würden aber nicht einmal die Produktionskosten berücksichtigt.
Studie über Afrikas Geflügelfleischimporte spricht für den Handel
In einer am 20. Januar 2023 veröffentlichten Studie haben die Agrarökonomen Isabel Knößlsdorfer und Matin Qaim untersucht, wie sich europäische Geflügelfleischexporte nach Ghana auf die Versorgung der dortigen Bevölkerung auswirken. Es werden die Folgen einer Erhöhung des Importzolls auf 50 Prozent für Geflügelfleisch und eines vollständigen Importverbots gezeigt. Die Schwerpunkte liegen auf den Verbraucher- und Erzeugerpreisen sowie auf dem Konsum.
In beiden Fällen – Erhöhung des Zolltarifs und Importverbot – kamen die Wissenschaftler zu dem Ergebnis, dass die negativen Effekte auf den Konsum und den Wohlstand größer sind als positive Effekte für die inländischen Erzeuger. Die durchschnittlichen Haushalte in ländlichen und städtischen Gebiete würden durch die Importbeschränkung oder das Verbot an Wohlstand verlieren. Es wäre auf wirtschaftlicher und sozialer Ebene sinnvoller, diejenigen, die besonders unter den Geflügelfleischimporten leiden, mit gezielten Maßnahmen zu unterstützen, so die Schlussfolgerung.
Höhere Preise für viele Verbraucher und wenige Erzeuger
Durch die Erhöhung des Einfuhrzolls von derzeit 35 Prozent auf 50 Prozent würden die Preise für Geflügelfleisch um etwa 11 Prozent für die Importware und um 6 Prozent für das lokale Geflügel steigen. Bei einem Importverbot würden die Preise für inländische Ware um 34 Prozent steigen.
Auf der Verbraucherseite würde bei der Erhöhung des Zolls auf 50 Prozent der Konsum von importiertem Hühnchen um 6 Prozent sinken. Bei inländischem Geflügelfleisch würde die Nachfrage um 3 Prozent zunehmen. Ein Importverbot hätte zur Folge, dass der Verbrauch von lokalem Fleisch um 17 Prozent ansteigen würde.
Bei den ghanaischen Haushalten, die Geflügel erzeugen und verkaufen, würde das durchschnittliche Einkommen aus diesen Verkäufen um 22 Prozent beziehungsweise 74 Prozent steigen. Knößlsdorfer und Qaim betonen, dass es sich hier zwar um deutliche positive Auswirkungen handelt, doch momentan verkaufen nur 4 Prozent der Haushalte Geflügel. Dagegen würden viel mehr Verbraucher unter den höheren Kosten leiden. Bei konstant höheren Marktpreisen könnte sich die Zahl der Haushalte, die Geflügel produziert und verkauft, aber erhöhen.
Ghana importiert 75 Prozent seines Geflügelfleischs
Um die lokalen Geflügelproduzenten zu schützen, hatten einige afrikanische Länder für den Import von Geflügelfleisch die Zölle erhöht oder Verbote ausgesprochen. In Ghana ist der Konsum an Geflügelfleisch in den letzten Jahren immer weiter angestiegen und lag im Jahr 2019 bei etwa 9 Kilogramm pro Kopf. Die inländische Produktion ist langsamer gewachsen als die Nachfrage, sodass etwa 75 Prozent des Angebots an Geflügelfleisch auf Importe zurückgehen. Wichtige Länder, aus denen Ghana sein Geflügelfleisch bezieht, sind Belgien, die Niederlande, Deutschland und Polen. Die Preise für lokales Geflügel liegen laut Studie um etwa 40 Prozent höher als für importierte Ware.
Laut Studie konsumieren etwa 43 Prozent der Haushalte in Ghana derzeit Geflügelfleisch. Bei den Geflügelproduzenten wurden nur Haushalte betrachtet, kommerzielle Masthähnchenbetriebe wurden in der Analyse ausgeschlossen.