Beitrag vom 11.12.2022
FAZ
Wahlen in Angola
Aufbruch nach der Dos-Santos-Ära
Seit 1975 regiert in Angola die Partei MPLA. In diesen Wahlen gibt es eine starke Opposition. Aber sie wird sich schwer tun, den Machtapparat zu brechen
Von Claudia Bröll
Ein solcher Wahlkampfauftakt war nicht im Sinne von João Lourenço. Wenige Stunden nach der offiziellen Eröffnungsrede von Angolas Präsident rasten Hunderte wütende Motorradfahrer durch die Hauptstadt Luanda. Sie zündeten T-Shirts und Kappen mit dem Parteilogo und Lourenços Bild an. Die Polizei und das Militär rückten aus, von Schüssen wurde berichtet.
Es sah zunächst wie ein politischer Protest aus, doch tatsächlich ging es um Geld. Den „Motoqueiros“, die als Kuriere und Taxis unterwegs sind, hatte die Regierungspartei MPLA 10 000 Kwanza versprochen, das sind 23 Euro, wenn sie mit Wahlkampfwerbung durch die Stadt fahren. Das attraktive Angebot löste jedoch so einen Ansturm aus, dass den Organisatoren das Geld ausging, und die „Motoqueiros“ gerieten in Rage.
Am Mittwoch werden die Angolaner ein neues Parlament wählen. Die Partei, die eine Mehrheit erlangt, wird den Präsidenten stellen. Abgesehen von dem misslungenen Auftakt könnte der Urnengang für Lourenço und seine Partei eine Belastungsprobe darstellen. Einst kämpfte die MPLA gegen die portugiesische Kolonialmacht, später in einem langen Bürgerkrieg gegen die zuvor mit ihr verbündete UNITA und eine weitere Widerstandsbewegung. Seit der Unabhängigkeit 1975 regiert sie Angola. In diesen Wahlen tritt die Partei nun gegen eine jüngst gestärkte Opposition an. Nach einer Umfrage des Instituts Ango Barómetro würden mehr als 56 Prozent der Befragten UNITA wählen, nur etwas mehr als 30 Prozent MPLA.
„In einer offenen und fairen Wahl hätte UNITA gute Chancen“, sagt Jon Schubert, Politikwissenschaftler und Angola-Experte. Doch die MPLA, die nahezu alle Bereiche des öffentlichen Lebens kontrolliert, hält dagegen. Der Anstieg des Ölpreises hat zudem kräftig Geld in die Staatskasse gespült und verschafft Lourenço nun eine gut gefüllte Wahlkampfkasse.
Er war erstmals in den Wahlen 2017 als Spitzenkandidat angetreten. Damals war er Verteidigungsminister. Der einstige Präsident José Eduardo dos Santos hatte ihn ins Rennen geschickt, wohl mit der Hoffnung, aus dem Hintergrund weiter die Strippen ziehen zu können. Er selbst wollte nach einer fast 40 Jahre langen Regierungszeit nicht mehr kandidieren. Die Rechnung ging aber nicht auf. Lourenço verkündete einen entschlossenen Kampf gegen die Korruption und fing bei der Dos-Santos-Familie mit ihrem immensen Reichtum an. Kaum an der Macht, ließ er Vermögen beschlagnahmen, Konten einfrieren, kündigte Verträge mit Unternehmen der Familie. Gegen mehrere erwachsene Kinder wird ermittelt, unter ihnen auch die prominente Isabel dos Santos, die einst den staatlichen Ölkonzern Sonangol führte.
Die Versprechen der beiden Parteien ähneln sich
Vor allem junge Angolaner aber sehen keinen echten Wandel. Die Frustration über die hohe Arbeitslosigkeit und Armut ist groß, während viele die MPLA weiterhin als Partei einer politischen Elite betrachten, die um die Welt jettet. Allein die Vorstellung, eine andere Partei als die MPLA könnte das Land führen, reiche als Hoffnungssignal, beobachtet Schubert, der in Angola aufgewachsen ist. Er bezeichnet beide große Parteien als „postideologisch“. Ihre Programme können nicht klar einer ideologischen Richtung zugeordnet werden, die Versprechen von besserer Infrastruktur, Diversifizierung der Wirtschaft und sozialer Gerechtigkeit ähneln sich. Hinzu kommt, dass viele Wähler den 2002 zu Ende gegangenen Bürgerkrieg nicht erlebt haben oder damals zu jung waren, um sich zu erinnern. Für sie ist die UNITA nicht mehr die besiegte Rebellenorganisation, die nach MPLA-Darstellung Chaos anrichten würde, sondern eine ernst zu nehmende Partei.
Dass in Angola überhaupt Aussicht auf einen Machtwechsel besteht, hat viel mit UNITA-Chef Adalberto Costa Júnior zu tun. Im Gegensatz zum Präsidenten tritt er eloquent und charismatisch auf, kommt bei jungen Angolanern an, die begeistert seine Auftritte auf Youtube-Kanälen verfolgen. Gegen große Widerstände hatte er es geschafft, die Parteiführung zu übernehmen. Rivalen innerhalb der Partei machten unter anderem seine Herkunft und seine Hautfarbe zum Thema. Der Sohn von UNITA-Gründer Jonas Savimbi beispielsweise protestierte, die Partei könne nicht von einem „Halbblut“ geführt werden. Es gab Gerüchte, der Vater von Costa Júnior sei ein weißer Portugiese und seine Mutter stamme von den Kapverdischen Inseln. Tatsächlich wurde Costa Júnior in einer Kleinstadt in Angola geboren, die Familie hat weiße und schwarze Vorfahren, aber dies liegt Generationen zurück.
Die MPLA hat Einfluss auf Wahlkommission und Gerichte
Konfrontiert mit einem aussichtsreichen Gegner, verstärkte die Regierungspartei vor der Wahl ihre Anstrengungen. Wie Beobachter erzählen, fuhren MPLA-Helfer mit großzügigen Wahlgeschenken über das Land. Eilig wurden Straßen asphaltiert, Solarparks eingeweiht, der Bau eines Staudamms und die Sanierung von Strandpromenaden und Gemeinden versprochen. Gerade rechtzeitig eröffnete Lourenço eine Raffinerie, mit der die Benzinproduktion vervierfacht werden soll. Angola ist nach Nigeria der größte Ölproduzent in Afrika südlich der Sahara, muss aber wegen fehlender Raffinerie-Kapazitäten Treibstoffe importieren.
Doch auch über solche Wahlkampfaktionen hinaus könnte es für Costa Júnior schwierig werden, den über Jahrzehnte hinweg aufgebauten Machtapparat zu brechen. Die Partei hat großen Einfluss auf die Wahlkommission und die Gerichte. Sie hat auch verfügt, dass die Stimmenauszählung diesmal nicht in den Wahllokalen stattfindet, sondern an einer zentralen Stelle in Luanda. Beobachter befürchten, dass dadurch das Ergebnis leichter manipuliert werden könnte. Wenige Wochen vor den Wahlen wurde außerdem ein neues Gesetz verabschiedet, das unabhängige Wählerumfragen faktisch unmöglich macht. Ango Barómetro kann übers Internet trotzdem Befragungen durchführen, weil es seinen Sitz in Deutschland hat.
Allerdings ist die MPLA seit dem Rückzug von dos Santos, der Anfang Juli im Alter von 79 Jahren in Barcelona verstorben ist, nicht mehr so geeint wie einst. Lourenço hatte sich mit seinem rigorosen Kurs gegen die Dynastie, von der viele profitiert hatten, nicht nur Freunde gemacht. Sein Herausforderer erhält nun von unerwarteter Seite Unterstützung. Tchizé dos Santos, die wortstarke Tochter des früheren Präsidenten, teilte mit, ihr Vater habe sich in dieser Wahl hinter den jetzigen UNITA-Chef gestellt. Ob richtig oder nicht: Für Aufsehen sorgte die Behauptung auf jeden Fall. Vor einigen Jahren wäre ein solcher Seitenwechsel noch undenkbar gewesen.
Das Zerwürfnis mit dem jetzigen Präsidenten ist so groß, dass Tchizé und andere Familienmitglieder ihm Mord an seinem Vorgänger vorwerfen. Sie weigerten sich außerdem, den Leichnam nach Angola überführen zu lassen, aus Sorge, Lourenço könne ein Staatsbegräbnis zu Wahlkampfzwecken nutzen. Ein Gericht in Spanien hat nun entschieden, die sterblichen Überreste müssten an die Witwe von dos Santos übergeben werden. Sie darf diese nach Angola überführen. Allerdings will Tchizé dos Santos in Berufung gehen. In Angola ist das Interesse an dem Gezanke allerdings mittlerweile erlahmt – zumal in Wahlzeiten, in denen sich viele sehnlichst einen Neuanfang wünschen.