Beitrag vom 16.11.2022
FAZ
Rätsel der Wüste
Konkurrenz und Symmetrie
Mysteriöse Kreise in der Wüste: Wissenschaftler haben nach Jahrzehnten des Rätselns herausgefunden, wie im südlichen Afrika Feenkreise entstehen.
Von Katharina Moser
Die große Frage zur Entstehung der wundersamen Feenkreise in den Wüstenregionen Namibias scheint endlich beantwortet zu sein. Lange Zeit war der Grund für die vegetationslosen, kreisförmigen Kahlstellen inmitten von Graslandschaften, die von einem Ring kräftig gewachsenen Grases umgeben sind, ungeklärt und von vielen Theorien umrankt. Ein Forscherteam um den Ökologen Stephan Getzin von der Universität Göttingen hat ihre Entwicklung nun darauf zurückführen können, dass die Pflanzen der Gattung Stipagrostis aktiv die vorhandenen Wasserressourcen managen. Die Forscher sind dabei zu einer erstaunlichen Erkenntnis gelangt: dass Pflanzen sich intelligent selbst organisieren.
So selten der Regen in den Wüstenregionen im südlichen Afrika ist, führt er dennoch dazu, dass zumindest in der Regenzeit eine fragile Graslandschaft heranwächst, in der sich die Kreise am Boden bilden. Die Wissenschaftler haben während ihrer dreijährigen Studie von 2020 bis 2022 ein sich über tausend Kilometer in der Namibwüste erstreckendes Gebiet untersucht. Dort beobachten sie, dass in den Feenkreisen die wenigen Gräser, die sich überhaupt etablieren konnten, sofort absterben, während die Flora außerhalb der Randgräser erfolgreich gedeiht. Festzustellen war laut Getzin außerdem, dass im Feenkreis das Längenverhältnis von Wurzel zu Spross deutlich höher ist als außerhalb. „Das bedeutet, dass die Gräser in den Feenkreisen die wenige Biomasse, die sie aufbauen, stark in ihr Wurzelwachstum investieren – ein Anzeichen für Wasserstress“, sagt Getzin. Gleichzeitig konnten die Forscher zeigen, dass die bisher gängige Theorie, die Kreise entstünden durch Fraßschäden von Termiten, nicht haltbar ist. „Wir konnten eindeutig dokumentieren, dass die abgestorbenen Gräser in den meisten Fällen keinerlei Fraßspuren aufwiesen“, sagt Getzin.
„Ein Fall pflanzlicher Selbstorganisation“
Zusätzlich installierten die Göttinger Wissenschaftler Bodenfeuchtesensoren, die über zwei Jahre hinweg alle halbe Stunde die Bodenfeuchtigkeit maßen und die Ursache für die Bildung der Feenkreise offenlegen konnten. Offensichtlich saugen die stark wachsenden Gräser am Rand der Kreise das Wasser aus dem Inneren der Kreise ab. Daraufhin verdursten dort die Pflanzen aufgrund der großen Konkurrenz durch die umgebenden Matrixgräser. „Das ist ein Fall pflanzlicher Selbstorganisation: In ariden Gebieten fungieren Pflanzen als sogenannte Ökosystemingenieure. Sie modifizieren ihre abiotische Umwelt selbst, indem sie Ressourcen umverteilen“, sagt Getzin, der im Jahr 2000 mit seinen Kollegen selbst den englischen Begriff für die Feenkreise, „fairy circles“, prägte.
In der Namibwüste ist Wasser extrem knapp. Die Stipagrostis-Gräser verteilen das vorhandene Wasser um, indem sie die Feuchtigkeit durch Diffusionsprozesse zu sich leiten. Wachsende Gräser sind in der sengenden afrikanischen Sonne stark von Transpiration betroffen, benötigen aber dennoch weiterhin viel Wasser. Dadurch entsteht an ihren Wurzeln ein Bodenfeuchtevakuum, das durch den Konzentrationsgradienten das Wasser aus den Feenkreisen zu sich zieht.
Optimale Wuchsstrategie
Doch warum sind die als Wasserspeicher fungierenden Stellen ausgerechnet kreisförmig? An der Bodenbeschaffenheit oder der Geschwindigkeit der Versickerung liegt das offenbar nicht. Getzin verbindet die Lösung mit der schon in den 1950er Jahren vom Computerpionier Alan Turing entwickelten Theorie, wonach Pflanzen oft periodische, regelmäßig verteilte Muster bilden. „Es handelt sich hier um fast perfekte Kreise in regelmäßigem Muster, da dies die optimale Wuchsstrategie zum Überleben ist. Feenkreise speichern Regenwasser in einer Tiefe von etwa 50 Zentimetern und tiefer, wo es nicht direkt verdunstet. Sie dienen somit als eine Wasserquelle für die umgebende Vegetation“, sagt Getzin.
Entscheidend ist dabei, dass die Form des Kreises das kleinste Verhältnis von Umfang zu Fläche vorweist. In einer kreisförmigen Anordnung erhält jede Einzelpflanze am Kreisrand den größtmöglichen Anteil des gespeicherten Wassers. „Angenommen, die Pflanzen wüchsen im Quadrat, müssten sich mehr Pflanzen dieselbe Wassermenge teilen. Die logische Konsequenz ist für die Pflanzen, einen Kreis zu formen, in dem jedes Individuum das meiste Wasser für sich hat“, erklärt Getzin. Es herrscht ein Konkurrenzgleichgewicht um den Kreis herum.
Selbstorganisation findet sich nicht nur bei namibischen Gräsern, sondern auch bei anderen Pflanzenarten in trockenen Umgebungen. Ähnliche Phänomene beobachte man etwa in der Sahelzone, im Niger oder im australischen Outback, wo es besonders trocken ist und wenige Spezies wachsen. Gerade angesichts der durch den Klimawandel bedingten zunehmenden Trockenheit könnte dieses Phänomen weiter zunehmen: Es stimme hoffnungsfroh zu wissen, dass Pflanzen sich selbst organisieren können, um mit akutem Trockenstress besser zurecht zu kommen, sagt Getzin. „Pflanzen haben zwar kein Gehirn, aber eine Schwarmintelligenz, durch die sie ihr Überleben sichern können. Starke geometrische Formationen entstehen, um optimal mit knappem Wasser auszukommen.“