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Für eine andere Entwicklungspolitik!

Beitrag vom 29.03.2022

DIE FREIE WELT

Ist der Kauf von Avocados, Schokolade und Blumen problematisch?

Ein Gastbeitrag von Volker Seitz

Deutsche Importeure müssen sich nach außen möglichst naturverbunden und weltoffen präsentieren, natürlich wird der Umweltschutz groß geschrieben, genau wie alles andere, was aktuell politisch korrekt ist, weil es früher oder später Aufrufe dazu geben würde, die Produkte dieser Unternehmen zu boykottieren.

Avocados aus Afrika sind in den Industrienationen begehrte Früchte. Kenia ist mittlerweile der größte Avocado-Exporteur des Kontinents. Auf den Farmen müssen Bürgerwehren und Drohnen zum Schutz gegen Diebstähle eingesetzt werden. Von November bis Januar hatten die kenianischen Behörden ein Ausfuhrverbot für Avocados verhängt, um den Schwarzmarkt einzudämmen.
Avocados enthalten viele ungesättigte Fettsäuren, Vitamine und Mineralstoffe. Sie gelten deshalb als Superfood und liegen im Trend.

Werden etwa Avocados aus Südafrika nach Europa exportiert, schreiben deutsche Medien (wie z.B. DIE ZEIT am 13. Oktober 2016), dass eine umweltschonende Küche auf eine Frucht wie die Avocado verzichten müsse, weil sie zu weit gereist sei und zu viel Wasser verbrauche. Kritisiert wurde in der ZEIT eine große Farm in der südafrikanischen Provinz Limpopo. Gerade in Südafrika achten die Erzeuger auf sorgsamen Umgang mit Wasser. Das ist auch in Südafrika ein kostbares Gut. Fleisch benötigt pro Kilogramm übrigens das Vier- bis Fünfzehnfache der Avocado-Wassermenge, Käse das Fünffache und Eier das mehr als Dreifache. Verzichten wir deshalb auf Fleisch, Käse oder Eier? Zu langer Transportweg? Bei der Banane ist der Aufwand deutlich höher. In Wirklichkeit ist die Avocado ein hochwertiges Lebensmittel, das in Sachen Ökobilanz nicht schlechter dasteht als viele andere Lebensmittel.

Naturschutz als neuer Kolonialismus?

Die Plantagen in Kenia standen zuletzt bei europäischen NGOs in der Kritik, weil sie angeblich den Lebensraum für Elefanten zurückdrängen. Tatsächlich gab es 1989 lediglich 16.000 Elefanten in Kenia, bis Ende vergangenen Jahres wuchs ihre Zahl aber – laut Kenya Wildlife Service – auf 34.800. Der kenianische Ökologe Mordecai Ogada bezeichnet in einem Interview mit GEO am 15. Juli 2020, „Naturschutz ist der neue Kolonialismus“, den Umweltschutz in Afrika als ein verlogenes Machtinstrument. „Die große Organisationen versuchen, eine permanente Krise herbeizureden, um ihre Arbeit zu rechtfertigen. Naturschutz ist das einzige Gebiet, auf dem wir Versagen belohnen. Wir verehren die, die sagen: Seit 40 Jahren kämpfe ich für diese Tierart. Wenn Sie als Ingenieurin 40 Jahre lang an einem Problem arbeiten, ohne es zu lösen, dann verlieren Sie Ihren Job. Aber Naturschützer bewundern wir für ihre Ausdauer. Dabei haben sie 40 Jahre lang nichts gemacht oder das Falsche.“

Beispiel Elefanten: „Es gibt Organisationen, die behaupten, dass alle 15 Minuten ein Elefant in Afrika getötet wird. Und dass es bis 2025 keine Elefanten mehr in Freiheit geben wird. Das ist eine Lüge. Rein rechnerisch ist das gar nicht möglich... Stellen Sie sich 100.000 tote Elefanten vor. Die kann man nicht verstecken. Wo sind die Kadaver? Paul Allen, einer der Microsoft-Gründer, hat Millionen für diese Studie [Great Elephant Census] ausgegeben. Und die Wissenschaftler haben ihm geliefert, was er hören wollte. Es sind Prostituierte. Es gibt keine Retter, keine Heilsbringer.“

Böse Schokoladenindustrie

Afrika ist heute der wichtigste Lieferant von Kakaobohnen auf der Welt. Etwa zwei Drittel der Produktion stammen von dort. Die größten Lieferanten befinden sich in Westafrika: in Ghana, Côte d’Ivoire, Nigeria und Kamerun. Tausende Bauern gibt es dort, die meisten sind Kleinstbetriebe.

Unsere Gesellschaft, unsere Medien können es sich leisten, gegen den Schokoladengenuss, gegen die „böse Industrie“ zu wettern. Ein Problem, das vermutlich viele Afrikanerinnen und Afrikaner gerne teilen würden. Ein Vorwurf lautet, der Anbau von Kakao geschehe unter oft menschenunwürdigen Bedingungen, und sogar mit Kinderarbeit. Boykottaufrufe gegen Produkte wegen – nach westlichen Vorstellungen – unwürdigen Arbeitsbedingungen sind nicht unproblematisch. Es macht nicht immer Sinn, Vorstellungen, die einer Wohlstandsnation entspringen, in Entwicklungsländern durchsetzen zu wollen. Vielen Kritikern fehlen genaue Kenntnisse der Lebenswirklichkeit vor Ort. Besser – und hilfreicher – wäre es, den Verhältnissen in den jeweiligen Ländern ohne Sozialromantik zu begegnen.

Vornehmlich findet der Anbau auf Familien-„Plantagen“ statt. Reißerische Zeitungsartikel, wonach Millionen Kinder auf Kakaoplantagen schuften müssten, sind irreführend. Es sind, wie gesagt, Kleinbetriebe in Westafrika, die Kakao produzieren. In der Côte d’Ivoire gibt es mehr als 20.000 Familienplantagen. Zum einen ist es dort Tradition, dass die Kinder das Handwerk ihrer Eltern lernen, also auf den „Plantagen“ mitarbeiten, zum andern könnten viele Kleinbauern professionelle Arbeitskräfte überhaupt nicht bezahlen. Herkömmlich arbeitende Betriebe erwirtschaften nur bis zu 400 kg Kakaobohnen pro Hektar.

Jeder wünscht sich, dass Kinder in Afrika eine schöne und unbeschwerte Jugend verbringen. Leider verkennt diese Betrachtung völlig die Realitäten. Auch in Europa war lange Zeit z.B. Kinderarbeit in der Landwirtschaft normal. Oftmals ist dies die einzige Chance, Hunger und bedrohlicher Armut zu entkommen.

Wohlstand durch Blumenanbau

Auch der Blumenanbau in Kenia wird in europäischen Medien gelegentlich heftig kritisiert. Der Export hat aber einen relativen Wohlstand und tausende von Arbeitsplätzen in der Region Naivasha geschaffen. Es gibt Fairtrade zertifizierte Blumenfarmen, wie die kenianische Blumenfarm Tulaga Flowers am Naivasha-See. Die Blumen werden nach sozialen und ökologischen Standards, wie Mindestlöhne, soziale Grundrechte und Gesundheitsschutz, geerntet. Das Fairtrade-Siegel hilft durch feste Mindestpreise und langfristige Handelsbeziehungen.

Nötig wären dennoch Studien, wie viel Wasser zur Verfügung steht, in welchem Maße Wasser genutzt und verunreinigt wird. Umweltschutz hat aber in Kenia keine Priorität. Auch fürchtet sich die kenianische Regierung vor Widerstand in der Bevölkerung. Afrikaner arbeiten oft hart, und ihr Leben ist häufig nicht planbar. Sie sind auf solche Jobs angewiesen, wenn sie überleben wollen. Wenn wir keine Blumen aus Kenia mehr kaufen, dann werden die Falschen getroffen.

Keinen Job zu haben, ist sowohl in Kenia als auch in Südafrika das Hauptrisiko für Armut. Wer Armut bekämpfen will, muss also Arbeit schaffen. Immer mehr Afrikaner wehren sich deshalb gegen die Anmaßung von Europäern und Amerikanern mit ihren Retter-NGOs das Recht auf Arbeit der armen Bevölkerung mit Füßen zu treten. Mit ihren Kampagnen gefährden sie die strukturschwachen Regionen in Afrika. Afrikaner sagen mir, dass der Eindruck weiter besteht, dass man ihnen immer etwas aufzwingen will, das andere formulieren, was gut für sie sein soll. Der französische Philosoph Alexandre Kojève hat einmal geschrieben, wir hätten den Kolonialismus durch den gebenden Kapitalismus (du colonialisme au capitalisme donnant) ersetzt.

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Volker Seitz war von 1965 bis 2008 in verschiedenen Funktionen für das deutsche Auswärtige Amt tätig, zuletzt als Botschafter in Kamerun, der Zentralafrikanischen Republik und Äquatorialguinea mit Sitz in Jaunde. Er gehört zum Initiativ-Kreis des Bonner Aufrufs zur Reform der Entwicklungshilfe und ist Autor des Bestsellers „Afrika wird armregiert“. Die aktualisierte und erweiterte 11. Auflage erschien am 18. März 2021. Volker Seitz publiziert regelmäßig zu afrikanischen Themen und hält Vorträge (z.B. „Was sagen eigentlich die Afrikaner“, ein Afrika-ABC in Zitaten).