Beitrag vom 12.03.2022
FAZ
Europa braucht Afrika
Von Tatjana Heid
Die Beziehungen von Europa und Afrika hängen in einer Dauerschleife fest. Damit es irgendwann die gerne beschworene "Partnerschaft auf Augenhöhe" geben kann, braucht es einen Mentalitätswandel auf beiden Seiten.
Im Leben und in der Politik ist es oft so: Je vehementer etwas beschworen wird, desto fragiler ist es. Wenn es um die Beziehungen zwischen Afrika und Europa geht, dann ist das die viel zitierte „Partnerschaft auf Augenhöhe“. Wie oft wurde sie schon beschworen, wie oft neu gestartet?
Allein: Es gibt sie nicht. Europa und Afrika agieren nicht auf Augenhöhe. Zuletzt hat das die Corona-Pandemie gezeigt, davor die Migrationskrise. Und daran werden weder die warmen Worte etwas ändern, die Vertreter der Europäischen und der Afrikanischen Union beim bislang letzten Gipfel gewechselt haben, noch die von der EU geplanten 150 Milliarden Euro, die in den kommenden sieben Jahren in den dringend benötigten Ausbau der Infrastruktur fließen sollen – und deren Finanzierung so unsicher ist, dass die Zusagen Erwartungen wecken dürften, die sich später nicht erfüllen lassen.
Dabei haben die Europäer – ebenso wie China und auch Russland, die beide ihr Engagement auf dem afrikanischen Kontinent ausgebaut haben – längst erkannt, dass die Herausforderungen der Zukunft nur mit und nicht gegen Afrika zu bewältigen sind: die Corona-Pandemie und alle Pandemien, die noch kommen mögen, die Klimakrise, Migrationsbewegungen, geopolitische Krisen wie der Ukrainekrieg.
In Afrika wachsen Mittelschicht und Absatzmärkte, der Kontinent bietet Rohstoffe, die Europa nicht nur für den Ausbau seiner erneuerbaren Energien braucht, und Raum für Investitionen. Europa braucht Afrika. Auch im Lichte dieser Erkenntnis werden Pläne geschrieben, Strategien vorgestellt, Konferenzen abgehalten. Und doch befinden sich die Beziehungen zwischen Afrika und Europa in einer Art Lähmungszustand. Warum?
Aller Rhetorik zum Trotz sieht Europa Afrika noch immer hauptsächlich als Krisen- oder Armutskontinent, die viel bemühte Charakterisierung als „Chancenkontinent“ bleibt oft nur eine hohle Phrase. Der westliche Blick auf Afrika ist nach wie vor stark auf Konflikte, Krisen, Armut und Korruption fokussiert. Und die Aufmerksamkeit für jene Krisen und Konflikte schwindet je nach Nachrichtenlage. Fachleute sehen die Corona-Pandemie schon als verlorene Zeit für die Zusammenarbeit von Afrika und Europa. Nun dürfte der Ukrainekrieg die westliche Aufmerksamkeit bis auf Weiteres zusätzlich binden.
Hinzu kommt: Die Antwort Europas auf die in Afrika wahrgenommenen Krisen ist meist viel Geld und viel Bürokratie – eine Bürokratie, die gerade von kleinen, lokalen Organisationen vor Ort nicht so schnell und flexibel gestemmt werden kann, wie es nötig wäre.
Hinzu kommt: Wo viel Geld ist, ist auch viel Korruption. Ein Teufelskreis. Zumal die Mittel von afrikanischer Seite ohnehin nicht als ausreichend betrachtet werden. Beim jüngsten EU-Afrika-Gipfel wies der Vorsitzende der Afrikanischen Union darauf hin, dass Afrika einen Investitionsbedarf von 130 bis 170 Milliarden Dollar habe – im Jahr.
Mehr als über Geld müssten beide Kontinente über Inhalte sprechen. Die Entwicklung Afrikas kommt von innen, und sie braucht Zeit. Aber sie ist in vollem Gange, wenn auch mit Brüchen und deutlichen regionalen Unterschieden. Das zeigt ein Blick in die Technologie- und Start-up-Szene Kenias, in die Medien- und Filmszene Nigerias – Nollywood-Filme kann man hierzulande auch auf Netflix streamen – oder auf die Erfolge, die Südafrika bei der Herstellung eines mRNA-Impfstoffs feiern konnte. Dem Land ist es zudem gelungen, die Omikron-Variante vergleichsweise schnell zu identifizieren und die Weltgemeinschaft zu warnen.
Was also tun, damit die schon unter Angela Merkel beschworene „Partnerschaft auf Augenhöhe“ einmal Wirklichkeit werden kann? In erster Linie müssen Europa und Afrika stärker auf Kooperationen setzen – auf Handelskooperationen, technologische Kooperationen, abgestimmte Strategien – sowie auf lokale Entwicklungspläne, angefangen bei der Agenda 2063 der Afrikanischen Union.
Die Agenda 2063 ist ambitioniert, sie ist eine Vision, wie der Kontinent in der besten aller Welten aussehen könnte: ein starker und vereinter Akteur in der Weltpolitik, friedlich, sicher und stark, basierend auf nachhaltigem Wachstum. Aber sie kann, ebenso wie regionale Entwicklungsstrategien etwa der Westafrikanischen Wirtschaftsgemeinschaft ECOWAS, Aufschluss darüber geben, was wann wo gebraucht wird. Doch das muss von afrikanischer Seite klar kommuniziert werden. Eine Romantisierung der Zusammenarbeit zwischen Afrika und Europa – in die manch europäischer Politiker gelegentlich verfällt – ist nicht notwendig. Wohl aber ein Mentalitätswandel auf beiden Seiten.