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Beitrag vom 17.02.2022

FAZ

EU-AFRIKA-GIPFEL:

Ärger über das Vorgehen Europas

VON CLAUDIA BRÖLL, KAPSTADT

Eigentlich beginnt das Gipfeltreffen europäischer und afrikanischer Regierungschefs an diesem Donnerstag in Brüssel. EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen und der senegalesische Präsident Macky Sall, der derzeitige Vorsitzende der Afrikanischen Union, haben aber schon vor einigen Tagen beide auf einem Treffen in Dakar wortreich bekundet, an einem Strang zu ziehen.

„Europa und Afrika haben ein Interesse zusammenzuarbeiten“, sagte Sall. Er hoffe auf eine „erneuerte, modernisierte und handlungsfreudigere Partnerschaft“. Seine europäische Amtskollegin sprach von „der gemeinsamen Vision, einen Raum der Stabilität und des Wohlstands zu schaffen“. Zur Bekräftigung kündigte von der Leyen ein Investitionspaket über 150 Milliarden Euro für den Ausbau von Infrastruktur in Afrika an. Europa sei „Afrikas verlässlichster und bei weitem wichtigster Investitionspartner“.

Den Kontinent für künftige Pandemien rüsten

Die Charme-Offensive hat gute Gründe. Abseits diplomatischer Bekundungen haben die Beziehungen zwischen den beiden benachbarten Kontinenten zuletzt gelitten. Politische Beobachter bezeichneten es als ein „Signal“, dass Berichten zufolge der südafrikanische Präsident Cyril Ramaphosa nicht persönlich in Brüssel anwesend sein wird. Auch die Präsidenten von Kenia und Nigeria werden wohl fernbleiben.

Das Horten von Impfstoffen reicher Länder zu Beginn der Corona-Pandemie und die abrupten Reisebeschränkungen mehrerer europäischer Länder, nachdem südafrikanische Wissenschaftler die Omikron-Variante identifiziert hatten, hat in Afrika viel Ärger ausgelöst. In seltener Deutlichkeit hatte Ramaphosa im Dezember seiner Wut freien Lauf gelassen, als er von „Impfstoff-Apartheid“ gesprochen und den europäischen Ländern „herablassendes Verhalten“ vorgeworfen hatte.

Weiterhin sind beide Seiten in der heiklen Frage des Patentschutzes auf Covid-Impfstoffe noch nicht aufeinander zugegangen. Während afrikanische Länder auf eine temporäre Aufhebung pochen, damit Impfstoffe in Afrika nicht nur abgefüllt und verpackt werden, stößt eine Lockerung bei einigen europäischen Ländern auf Widerstand. Auch die jüngsten Versprechen, Millionen Impfstoffe an Afrika zu spenden, werden dort wohl nur auf ein müdes Schulterzucken stoßen. Aktuell ist der Mangel an Impfstoffen kein Thema mehr. Während eines Besuchs des Chefs der Weltgesundheitsorganisation, Tedros Adhanom Ghebreyesus, in Kapstadt in der vergangenen Woche hieß es, dass es jetzt darum gehe, den Kontinent für künftige Pandemien zu rüsten.

Auch in der Klimapolitik zeigen sich Differenzen. So erinnerte Senegals Präsident schon vor dem Gipfel daran, die Entwicklungsziele Afrikas im Blick zu behalten. „Wir sollten Afrika keine Ungerechtigkeiten aufbürden, indem wir keine fossilen Brennstoffe mehr fördern, denn das wäre für afrikanische Länder ein großes Problem.“ Gemeinsam mit Europa müsse man eine „klimafreundliche Strategie“ finden, die gleichzeitig die Bedürfnisse des Kontinents berücksichtige. Senegal und andere afrikanische Länder treiben derzeit große Erdgasprojekte voran, um die Industrialisierung voranzutreiben und mehr Menschen mit Strom zu versorgen. Weniger als die Hälfte der afrikanischen Bevölkerung war nach Weltbank-Angaben 2019 an ein Stromnetz angeschlossen.

Global-Gateway-Initiative der EU

„Der EU-AU-Gipfel wird ein Schlaglicht darauf werfen, wie sehr die Pandemie die Beziehungen zwischen der EU und Afrika belastet hat“, sagt Aleix Montana von dem Analyseinstitut Verisk Maplecroft. Der Ärger über das Vorgehen Europas während der Pandemie werde vermutlich die Ankündigungen zu Investitionen, Schuldenfinanzierung, Migration, Energiewende und Sicherheitsinitiativen überschatten. Die Abwesenheit wichtiger afrikanischer Politiker würde die Glaubwürdigkeit des Gipfels untergraben.

Auf der anderen Seite stoßen die verstärkten Bemühungen Europas, die Produktion von Impfstoffen auf dem Kontinent auszuweiten, auf viel positive Resonanz. Die EU unterstützt nicht nur den Aufbau von Produktionsstätten, sondern beispielsweise auch den Aufbau eines neuen Technologie-Transfer-Zentrums in Kapstadt zur Entwicklung von Vakzinen beruhend auf der mRNA-Technologie. In dieser Woche gaben die EU und die Gates-Stiftung zudem bekannt, mehr als 100 Millionen Euro über fünf Jahre in eine Afrikanische Arzneimittelbehörde zu investieren.

Auch das 150-Milliarden-Dollar-Paket wird grundsätzlich befürwortet. Es ist Teil der Global-Gateway-Initiative der EU, die weithin als Reaktion auf Chinas „Neue Seidenstraßen Initiative“ betrachtet wird. Bis 2027 will die EU bis zu 300 Milliarden Euro für Infrastrukturprojekte rund um den Erdball auftreiben, die Hälfte davon ist für Afrika vorgesehen, wo insbesondere China über die Jahre hinweg erheblich an Einfluss gewonnen hat. Auch Russland versucht, sich nicht nur militärisch verstärkt auf dem Kontinent zu engagieren.

Gedämpfte Erwartungen

Die Global-Gateway-Initiative werde in Afrika im Allgemeinen positiv gesehen, sagt Cobus van Staden, Afrika-China-Experte am South African Institute of International Affairs (SAIIA). Allerdings werde sie nicht als Ersatz für das chinesische Engagement gesehen. „Der Bedarf an Investitionen in die Infrastruktur ist so groß, dass aus afrikanischer Sicht alle nachhaltigen Finanzzuflüsse willkommen sind und sich nicht gegenseitig verdrängen sollten.“ China habe Afrika von 2007 bis 2020 zweieinhalb Mal so viel Infrastrukturfinanzierung zur Verfügung gestellt wie alle anderen bilateralen Geldgeber zusammen. Europäische multilaterale Banken spielten bisher eine geringere Rolle, auch im Vergleich zur Afrikanischen Entwicklungsbank. „Die Global Gateway Initiative der EU wird hilfreich sein, aber sie wird das Bild in Afrika nicht grundlegend verändern.“

Vor dem Gipfel gibt es vor allem im südlichen Afrika auch Befürchtungen, dass am Ende ganz andere Themen im Mittelpunkt stehen. Analysten des südafrikanischen Instituts Pangea-Risk schätzen, dass der Gipfel von der Sicherheitslage im Sahel nach dem angekündigten Abschied der Franzosen aus Mali dominiert wird. Sowohl die EU wie die AU haben die jüngsten Staatsstreiche in Mali, Burkina Faso, Guinea und Sudan scharf verurteilt. Die AU hob die Mitgliedschaften der Länder vorübergehend auf.

Es ist das sechste Gipfeltreffen der EU und der AU. Eigentlich sollte es im November 2020 stattfinden, wurde aber wegen der Corona-Pandemie verschoben. Nach den Erfahrungen mit den vorherigen Treffen sind die Erwartungen auf afrikanischer Seite nun eher gedämpft. „Am Ende des Gipfels wird es wieder eine gemeinsame Erklärung geben“, sagt Carlos Lopes, Entwicklungsökonom aus Guinea-Bissau und Professor an der Universität von Kapstadt. Die Details einer neuen Zusammenarbeit aber seien weiterhin unklar. Niemand wisse beispielsweise, woher die 150 Milliarden Euro stammen sollen, und ob es sich um neue Investitionszusagen handle. Es gebe auch keinen Mechanismus, um zu überprüfen, wie die Versprechen nach den Gipfeltreffen letztlich umgesetzt werden. „Auf dem vorigen EU-AU-Gipfel in Abidjan wurde ein großer Paradigmen-Wechsel angekündigt. Wer spricht heute noch davon? Jetzt haben wir einen neuen Plan, der für Schlagzeilen sorgt. Vor dem nächsten Gipfel wird es einen weiteren geben.“