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Für eine andere Entwicklungspolitik!

Beitrag vom 25.10.2021

NZZ

Die Benin-Bronzen sind zu Instrumenten der Scheinheiligkeit geworden

Philipp Meier

Deutschland übt sich in Gewissensberuhigung, und Nigeria gefällt sich in seiner Opferhaltung. Für die Kunstwerke aus dem Königreich Benin selber interessiert sich hingegen niemand wirklich.

Deutschland will die Benin-Bronzen an Nigeria zurückgeben. Vom juristischen Standpunkt aus gesehen ist das sicher richtig. Immerhin geht es dabei um rechtswidrig erworbene, durch Raub, Plünderung und kriegerische Handlungen illegal entwendete Objekte. Es stellt sich allerdings die Frage, warum gerade jetzt die Einsicht gereift ist, Gerechtigkeit widerfahren zu lassen.

Die Debatte ist gut fünfzig Jahre alt, und immer hat man Argumente gefunden, den Rückgabeforderungen nicht zu entsprechen. Widerstand kam lange von Museumsvertretern. Diese begründeten ihren Standpunkt unter anderem damit, es gehe bei den Restitutionsansprüchen lediglich um Kulturnationalismus von Entwicklungsländern und gar nicht um die Kunst selber.

Geht es aber jetzt um die Kunstwerke selber? Diese haben eine lange Geschichte. Und darin hat sich ihre symbolische Bedeutung je nach Zeitumständen immer wieder einmal gewandelt.

Vorzeigeobjekte

Eine neue Funktion haben jetzt die Benin-Bronzen für Deutschland erhalten. Sie sind zum Vorzeigeobjekt von Kulturstaatsministerin Monika Grütters geworden, die beschlossen hat, sich der historischen und moralischen Verantwortung zu stellen und Deutschlands koloniale Vergangenheit aufzuarbeiten. Obwohl das Königreich Benin gar nicht zur kolonialen Vergangenheit Deutschlands gehört, sind die Benin-Bronzen nun in den Dienst der deutschen Gewissensberuhigung getreten.

Um die eigentlichen Kunstwerke geht es auch Nigeria nicht wirklich. Die Bronzen sind zu Instrumenten von Identitätsaktivisten geworden. Die heutige Generation weiss angeblich über den Beutezug der Briten bestens Bescheid. Viele sehen die Kunstobjekte als kulturelles Erbe. Andere betrachten sie als die Seele Nigerias oder sehen sie als Symbole eines kolonialen Traumas. Man gefällt sich dabei in der Opferrolle. Für die Benin-Bronzen als Zeugnisse von Menschenopfern hingegen ist man blind. In Nigeria wird dieser historische Kontext weitgehend ausgeblendet.

Machtinsignien

Die Benin-Bronzen fanden Verwendung in sakralen Opferhandlungen, bei welchen Kriegsgefangene auf Ahnenaltären hingerichtet wurden. Das Königreich Benin trieb überdies Handel mit Sklaven im Tausch gegen die begehrten Metalllegierungen für den Guss der Kultobjekte. Belegt sind diese Tatsachen nicht nur von britischen Militärärzten, sondern auch von lokalen Historikern.

In den Benin-Bronzen wurden die Taten der Könige, die Kriege gegen die Nachbarvölker und die sakralen Rituale verewigt, da eine Schriftsprache unbekannt war. Die Bronzen waren vor allem Insignien der Macht in Gestalt von Königs-Gedenkköpfen, von abgeschlagenen und in Bronze nachgebildeten Trophäenköpfen besiegter Rivalen sowie von Reliefplatten mit heroisch-kriegerischen und kultischen Darstellungen.

Im Königreich Benin dienten diese Werke nie dem ästhetischen Genuss nach westlicher Vorstellung. Diese Funktion erhielten sie erst, nachdem 1879 britische Truppen in einer Vergeltungsaktion das Königreich Benin erobert hatten. Die Rede ist auch von einer Strafexpedition: Der königliche Palast wurde geplündert und Tausende von Kunstobjekten entwendet.

Von den Plünderern kaum gewürdigt, wurde die kunsthandwerklich hohe Qualität der Benin-Bronzen schliesslich von Experten erkannt und wertgeschätzt. Ein Grossteil der Artefakte kam über Londoner Auktionen in europäische Museen. Zu schöner und vor allem auch wertvoller Kunst wurden sie erst in den Augen westlicher Betrachter.