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Für eine andere Entwicklungspolitik!

Beitrag vom 14.09.2021

NZZ

Wie ein Kardinal und ein Imam gemeinsam den Frieden nach Zentralafrika bringen wollen

Seit Jahren herrscht in der Republik Zentralafrika ein blutiger Krieg, oft kämpfen Christen und Muslime gegeneinander. Die ranghöchsten Würdenträger der beiden Religionen wollen das ändern: Seite an Seite machen sie sich stark für ein friedliches Zusammenleben.

Fabian Urech

Wie bewahrt man die Hoffnung in einem Land, in dem die Menschen im Schnitt nur 50 Jahre alt werden, in dem jedes zweite Kind unterernährt ist und in dem seit Jahren Krieg herrscht?

«Das Leiden zu sehen, die Armut, die Verzweiflung – ja, das ist sehr schwierig», sagt Dieudonné Nzapalainga. Aber Hoffnung, so fährt der Kardinal fort, die gebe es überall. «Manchmal sieht man sie nicht sofort, man muss sie suchen, und bei der Suche hilft der Glaube. Er ist wie eine Brille, mit der man besser sieht.»

«Wie eine Spezialbrille», ergänzt Abdoulaye Ouasselegue. Der Imam lächelt, dann richtet er sich an den Journalisten: «Sie ist sehr nützlich. Wenn Sie wollen, können wir Ihnen eine hierlassen.» Die beiden Männer lachen.

«Lassen Sie niemanden sagen, dass dies ein religiöser Krieg sei»

Ein Kardinal und ein Imam, die wie alte Freunde wirken – das mag in Zürich, wo das hier dokumentierte Gespräch kürzlich stattfand, nicht ungewöhnlich erscheinen. In der Republik Zentralafrika aber, wo Nzapalainga und Ouasselegue herkommen, wirkt diese Eintracht angesichts der jüngsten Geschichte erstaunlich.

Seit Ende 2012 herrscht in dem rohstoffreichen Binnenland ein blutiger Krieg, der oft entlang religiöser Linien verläuft. Muslimisch dominierte Rebellen kämpfen gegen christlich geprägte Milizen und Bürgerwehren, immer wieder kommt es zu schweren Gefechten, Plünderungen, Vergewaltigungen. Tausende sind der Gewalt zum Opfer gefallen, 700 000 Menschen wurden in dem Land mit rund 4 Millionen Einwohnern vertrieben.

Weil sich Muslime und Christen gegenseitig bekämpfen, ist in Berichten über Zentralafrika immer wieder von einem Religionskrieg die Rede. Selbst die Uno hat den Konflikt schon als solchen bezeichnet.

Die Realität aber ist komplexer, vielschichtiger – und Nzapalainga und Ouasselegue sind der vielleicht deutlichste Beleg dafür. Nur wenige Tage nachdem Ende 2012 im Norden des Landes die ersten Gefechte begonnen hatten, schlossen sich der Bischof von Bangui sowie der Imam – damals noch Ouasselegues Vorgänger – zusammen, um gemeinsam zum Frieden aufzurufen.

Ihre Botschaft: Wir lassen nicht zu, dass der Islam und das Christentum instrumentalisiert werden, um politische Ziele zu erreichen, um zu plündern, um die Bodenschätze des Landes zu kontrollieren. «Wir Religionsführer sagen Nein! Lassen Sie niemanden sagen, dass dies ein religiöser Krieg sei», stand in ihrer gemeinsamen Erklärung.

Zwei Männer, eine Mission: Frieden stiften

Dass sich der Bischof, der später zum Kardinal ernannt wurde, und der Präsident des Islamischen Rates gemeinsam so rasch gegen die Gewalt aussprachen, hatte nicht nur hohen Symbolcharakter. Manche in Zentralafrika sind überzeugt, dass die Intervention der Religionsführer damals einen Völkermord verhinderte.

Zum Krieg aber kam es dennoch. «Es ist ein Krieg, der getrieben ist von der Armut, vom Kampf um die politische Macht und um die Kontrolle der Bodenschätze», sagt Ouasselegue. «Und es geht um Tribalismus und um schlechte Regierungsführung», ergänzt Nzapalainga. «Die Kumulierung all dieser Probleme führt zu enormer Frustration, die sich manchmal in Gewalt entlädt», so der Kardinal. «Mit der religiösen Zugehörigkeit hat das nichts zu tun.»

Nicht alle in Zentralafrika stimmen mit dieser Analyse überein, das ist den beiden Würdenträgern bewusst. Vielmehr ist genau dies der Grund, weshalb die Zusammenarbeit zwischen dem Imam und dem Kardinal seit 2012 anhält. Im Rahmen einer interreligiösen Plattform, der auch die protestantische Kirche angehört, reisen die Würdenträger seither regelmässig gemeinsam durch das Land. Oft sprechen sie zuerst separat mit den Angehörigen ihrer Glaubensgruppe, danach führen sie die Menschen zusammen.

Das stärke das Verständnis füreinander, sagt Ouasselegue. Oft zeige es den Menschen, dass sie gar nicht so verschieden seien. Offensichtlich werde das insbesondere dann, wenn er und der Imam zusammen vor die Leute träten, sagt der Kardinal. «Wenn wir beide reden, hören die Christen plötzlich, was im Koran steht, und die Muslime hören, was in der Bibel steht. Und dann merken sie manchmal, wie viel Gemeinsames die beiden Religionen haben.»

Eine schwierige Mission

Dieses Werben um ein friedliches Miteinander setzt viel Mut voraus. Der Dokumentarfilm «Siriri» («Frieden» in der Lokalsprache Sango), der seit einigen Tagen in den hiesigen Kinos zu sehen ist, zeigt dies eindrücklich. Der Schweizer Filmemacher Manuel von Stürler hat Nzapalainga und Ouasselegues Vorgänger, der vergangenes Jahr verstorben ist, während einiger Wochen begleitet.

Der Film zeigt, mit welchen Entbehrungen das Engagement der beiden Männer verbunden ist: lange Reisen durch ein kriegsversehrtes, bitterarmes Land, Gespräche mit traumatisierten Menschen, dazu die Gefahr vor Entführungen oder Anschlägen – nicht selten werden die Religionsführer von bewaffneten Personenschützern begleitet, beide haben schon Todesdrohungen erhalten.

Klar wird im Dokumentarfilm auch, dass es für viele Muslime und Christen nicht einfach ist, die Forderung nach Frieden, Vergebung und einem besseren Zusammenleben zu verdauen. Nach so viel Gewalt und so vielen Schmähungen fällt es manchen Menschen offenbar schwer, die gemeinsame Basis der Religionen zu finden, die ihnen der Imam und der Kardinal vorleben.

Der Dialog ist nur der Anfang

Nzapalainga und Ouasselegue machen sich denn auch nicht die Illusion, dass ihr Engagement allein diesen Konflikt zu beenden vermag. «Was wir tun, ist ein Anfang», sagt der Kardinal. «Wir können dafür sorgen, dass dieses Land stehen bleibt, dass es nicht zusammenfällt», ergänzt der Imam. «Das allein genügt aber nicht.»

Was es darüber hinaus brauche für den Frieden in ihrer Heimat, darüber sind sich Nzapalainga und Ouasselegue weitgehend einig: einen kompetenten Staat, bessere Perspektiven für die Menschen, weniger Armut und – als «stärkste Waffe» überhaupt – mehr Bildung.

Schliesslich sei aber auch die internationale Gemeinschaft gefragt, sie trage eine Mitverantwortung für diesen Konflikt. Die Blauhelme vor Ort, die zu passiv seien. Und jene, die an den reichen Rohstoffvorkommen des Landes viel Geld verdienten, oft auf Kosten der Bevölkerung. «Wenn etwa die Schweiz unser Gold kauft, darf sie nicht die Augen davor verschliessen, wer bei uns unter diesem Geschäft leidet», sagt Nzapalainga.

Ein Vorbild für die Welt?

Zum Schluss bleibt die Frage, weshalb eine Zusammenarbeit zwischen christlichen und islamischen Würdenträgern eine Rarität bleibe, nicht nur in Afrika, sondern weltweit. Oder anders gefragt: Wieso macht das zentralafrikanische Modell nicht auch anderswo Schule?

Nzapalainga, ganz der Diplomat, antwortet indirekt: Die Arbeit sei fordernd, man müsse beizeiten auch gegen sich selbst ankämpfen, um das Gegenüber nicht als Feind zu sehen. «Für uns heisst das auch: Wir lassen die Diskussionen über religiöse Dogmen beiseite, konzentrieren uns auf Gemeinsamkeiten – und davon gibt es viele.»

Ouasselegues Antwort ist direkter, eher Appell als Analyse. «Wir religiösen Führer haben eine grosse Verantwortung», sagt der Imam. Er verstehe die gemeinsame Arbeit auch als Aufruf an andere: «Es ist an uns, unserer Glaubensgemeinschaft zu zeigen, dass die anderen nicht unsere Gegner sind, sondern unsere Brüder.»