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Beitrag vom 10.08.2021

NZZ

200 Säcke für knapp 50 Millionen Franken:
Riesenfund von Pangolinschuppen in Nigeria

Nigeria befindet sich im Zentrum des illegalen
Schuppentierhandels. In Lagos beschlagnahmten die Behörden
jüngst grosse Mengen an Pangolinschuppen, die nach Asien
hätten exportiert werden sollen. Die Suche nach
Bandenmitgliedern läuft.

Sarah Fluck, Kampala

Auf den ersten Blick schien es, als seien die 196 prallvollen
weissen Plastiksäcke gefüllt mit verdorrtem Laub. Doch
während des Briefings der nigerianischen Zollbeamten
wurde klar: Hier werden gerade Millionen von
beschlagnahmten Schuppen des am häufigsten illegal
gewilderten Säugetiers der Welt präsentiert – des
Pangolins. Gefunden hat die Zollverwaltung die rund 17
Tonnen Schuppen Ende Juli bei einer Razzia in einem
Lagerhaus in Lekki, in der Nähe der wichtigsten
nigerianischen Häfen in Lagos. Dort sind die Beamten
ebenfalls auf 60 Kilo Pangolinkrallen und 870 Kilo
Elefantenstosszähne gestossen, wie der Direktor der
Zollverwaltung, Hameed Ali, am vergangenen Mittwoch
mitteilte. Er schätzte den Schwarzmarktwert des Fundes
auf umgerechnet rund 48 Millionen Franken. Die
Beschlagnahmung der Pangolinschuppen gilt als die seit
2019 weltweit neuntgrösste und als die drittgrösste in
Nigeria im selben Zeitraum.

Ali gab an, dass der Zoll im Zuge der Ermittlungen
intensiv mit britischen, amerikanischen und deutschen
Beamten sowie mit internationalen Organisationen
zusammengearbeitet habe. Dies habe schliesslich zu der
Verhaftung von drei ausländischen Staatsangehörigen
geführt. Einen vierten, den Ali als Drahtzieher der
Operation bezeichnete, würde man derzeit
weiterverfolgen. Die Behörden waren überzeugt, dass die
Festgenommenen Verbindungsglieder zu einer Bande
seien, zu denen auch der Vermieter des Lagerhauses
gehören soll.

Für die in den Niederlanden ansässige Wildlife Justice
Commission (WJC), die die nigerianischen Behörden bei
der Razzia ebenfalls unterstützte, zeigt die
Beschlagnahmung vor allem eines: Der Handel mit
Pangolinschuppen hat sich durch die Corona-Pandemie
nicht verlangsamt, wie vermutet worden war. Stattdessen
scheinen jene, die mit Wildtierprodukten handeln, in der
Zwischenzeit ihre Lagerbestände aufgestockt zu haben.
Sie würden wohl darauf warten, dass sie den Transport
wieder aufnehmen könnten, um die Ware endlich
abzusetzen, sagte Sarah Stoner von WJC gegenüber
amerikanischen Medien.

Nigeria hat sich bereits seit längerem zu einer
Drehscheibe für Banden entwickelt, um die afrikanischen
Schuppentiere von hier aus nach Asien zu verschicken.
Nach Angaben der Environmental Investigation Agency
(EIA) haben Nigeria und Kongo-Kinshasa 2014 Länder wie
Kenya und Tansania als Hauptumschlagplatz für den
Handel mit Wildtieren in Afrika abgelöst. Für diese
Entwicklung werden etwa unsichere Grenzen, laxe
Strafverfolgung, Korruption und der einfache Zugang zu
grossen Häfen verantwortlich gemacht. Beobachter wie
die WJC merken an, dass die asiatischen Arten von
Pangolinen in den letzten Jahren beinahe vollständig
dezimiert wurden. Somit blieben einzig die vier
afrikanischen Arten, um die starke Nachfrage, die
insbesondere von Verbrauchern aus China und Vietnam
kommt, zu befriedigen.

Die nigerianischen Behörden betonten am Mittwoch
ihrerseits, dass sie den Kampf gegen Wilderei und den
Wildhandel nicht aufgegeben haben: «Die Nachfrage
kommt nicht aus Nigeria, die Quelle ist nicht in Nigeria,
und die Beteiligten sind grösstenteils nicht einmal
Nigerianer», sagte Joseph Attah, Sprecher der Zollbehörde.
«Nigeria wird einzig als Transitstrecke benutzt.» Man
wolle nun alles tun, um nicht wieder zu einem
Knotenpunkt zu werden. Diese Aussage stützt, dass die
nigerianischen Behörden bereits im vergangenen Jahr 9,5
Tonnen Wildtierteile sicherten, im Januar dieses Jahres
weitere 8,8 Tonnen.

Schuppen als Heilmittel

Die schüchternen, nachtaktiven Pangoline sind einfach zu
jagen, da sie sich bei Gefahr zu einer Kugel
zusammenrollen, um nicht verzehrt zu werden. Wilderer
können sie in diesen Momenten problemlos aufsammeln
und etwa in einen Sack packen. Die Tiere werden in West-
und Zentralafrika sowie von gewissen indigenen Völkern
in Südasien als Buschfleisch verzehrt. Teile des Tieres,
etwa die Krallen, finden in Ländern wie Südafrika, Ghana
und Nigeria in der traditionellen Medizin Verwendung.
Zudem gilt das Fleisch in Vietnam und China als
Delikatesse.

Doch es ist die Nachfrage nach ihren Schuppen, die dazu
führt, dass Pangoline vom Aussterben bedroht werden.
Diese Schuppen, die ausschliesslich aus Keratin bestehen,
finden sich getrocknet, gemahlen und als Pillen abgefüllt
auf Medizinmärkten in ganz Asien. Dort gelten sie als
weitreichendes traditionelles Heilmittel – etwa für
Arthritis, Rheuma oder gar zur Unterstützung von
Müttern während der Stillzeit.