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Beitrag vom 29.07.2021

FAZ

Zweifelhafter Maßstab für Afrika

Die Einreise wird einfacher – allerdings nur auf dem Papier. Gibt es eine „Stigmatisierung“?
Von Christian Geinitz, Claudia Bröll

Kelly Dido war reisebereit: Die 31 Jahre alte Südafrikanerin hatte im Mai ein Jobangebot für das Kommunikationsteam eines Unternehmens in Düsseldorf bekommen. Sie gab ihre Arbeitsstelle in Kapstadt auf, kündigte ihrem Vermieter. Nie hätte sie vermutet, dass sie mehrere Monate später immer noch am Kap der Guten Hoffnung sitzen und von ihrem Job in Deutschland nur träumen könnte.

Die Südafrikanerin gehört zu einer Gruppe, die jetzt gegen ein seit Januar geltendes Beförderungsverbot für Nichtdeutsche aus Virusvariantenländern aufbegehrt. Südafrika und acht weitere afrikanische Länder befinden sich seit mehr als einem halben Jahr auf der Liste der Virusvariantengebiete des Robert Koch-Instituts (RKI), für die besonders strikte Einreisebestimmungen gelten. In dieser Woche sind zwar Lockerungen in Kraft getreten. Demnach müssen vollständig geimpfte Reiserückkehrer aus Virusvariantengebieten nicht mehr 14 Tage lang in Quarantäne, ohne die Möglichkeit, die Quarantäne mit einem negativen Test zu verkürzen. Doch das Beförderungsverbot für Nichtdeutsche bleibt bestehen.

„Warum darf eine vollständig geimpfte Person mit einem deutschen Pass einreisen, ein ebenso geimpfter Südafrikaner nicht?“, fragt Matthias Boddenberg, Geschäftsführer der Deutschen Industrie- und Handelskammer für das südliche Afrika. Viele Südafrikaner hätten wie Kelly Dido eine Arbeitsstelle oder einen Studienplatz in Deutschland erhalten. Trotzdem dürfen sie nicht einreisen. Deutsche Unternehmen wiederum könnten lokale Mitarbeiter nicht zu Schulungen schicken. „Es wird großer Schaden angerichtet, in wirtschaftlicher, aber auch in zwischenmenschlicher Hinsicht“, sagt Boddenberg.

Auf dem Kontinent regt sich aber auch grundsätzliche Kritik an der Einstufung von neun Ländern als Virusvariantengebiete. Nur zwei nichtafrikanische Länder – Brasilien und Uruguay – stehen auf der Liste. Während Länder wie Großbritannien, Indien oder Nepal kurzzeitig dort landeten und dann wieder heruntergestuft wurden, gibt es bei den afrikanischen Virusvariantengebieten keinerlei Bewegung.

Die afrikanischen Länder würden gegenüber anderen Regionen ungleich behandelt, teilte die Arbeitsgemeinschaft Südliches und Östliches Afrika (ASA) mit, ein Verein zur Förderung des Tourismus in Afrika. Die Einstufung als Virusvariantenland sei eine Stigmatisierung. Andere Länder würden nicht mehr als Variantengebiet eingestuft, weil sich die dort dominante Delta-Variante mittlerweile auch in Deutschland ausbreite. Das Gleiche müsse auch für das südliche Afrika gelten. „Ich kann keinem Kunden erklären, warum die Reise nach Indien oder nach Großbritannien plötzlich sicher ist, nach Südafrika aber nicht“, sagte ASA-Vorstandsmitglied Jörg Ehrlich. Eine Herabstufung auf Hochinzidenz- oder Risikogebiete würde bereits viele Vorteile bringen.

Nach einer Studie des World Travel and Tourism Council ist der internationale Tourismus in Südafrika – dem am stärksten von der Corona-Pandemie getroffenen Land – um 66 Prozent im vergangenen Jahr zurückgegangen, auf dem gesamten Kontinent etwa um die Hälfte. Millionen Arbeitsplätze hängen vom Tourismus ab, die Beschäftigten ernähren meist große Familien.

Die afrikanischen Länder waren nach Entdeckung der Beta-Variante in Südafrika Anfang dieses Jahres als Variantengebiet eingestuft worden. Nach RKI-Angaben gilt sonst nur noch die Gamma-Mutation aus Lateinamerika als Variante. Nicht berücksichtigt ist aber die Delta-Form, die mittlerweile auch in Afrika auf dem Vormarsch sei, wie der Virologe Wolfgang Preiser von der Universität Stellenbosch sagt. In Südafrika wurden von Anfang Juli bis heute 160 Virussequenzen analysiert, von denen nur 8 zur Beta- und 122 zur Delta-Variante gehören. Die Beta-Variante sei zwar ansteckender als das ursprüngliche Virus, jedoch weniger als die Delta-Variante, und alle in Deutschland zugelassenen Impfstoffe böten Schutz zumindest gegen schwere Erkrankung und Tod. Es sei nur eine Frage von Tagen oder wenigen Wochen, bis Delta Beta in Südafrika komplett verdrängt habe.

Die geänderte Corona-Einreiseverordnung, die am Mittwoch in Kraft trat, wird von vielen als erster Schritt in die richtige Richtung bezeichnet. Allerdings hat sie zu neuen Verwirrungen geführt. Etwa zu der Frage, ob und wie lange geimpfte Personen aus Gebieten wie Südafrika in Quarantäne müssen, wenn sie nach Deutschland einreisen. Unverändert geblieben ist die Regelung, dass sie trotz Impfung bei der Einreise in jedem Falle einen negativen Corona-Test vorzulegen haben. Und dass sie sich dann, wie es im Amtsdeutsch heißt, vierzehn Tage lang „absondern“ müssen. Nicht nur zehn Tage, wie das bei den einfachen und Hochrisikogebieten der Fall ist.

Bis Dienstag galt zudem, dass sich die Quarantäne für Einreisende aus Variantengebieten nicht verkürzen ließ, egal ob sie genesen, geimpft oder getestet waren – wiederum im Unterschied zu den anderen Gebieten, wo das möglich ist. Seit Mittwoch ist die Corona-Einreiseverordnung in dieser Frage aber laxer, wie das Bundesgesundheitsministerium unter Jens Spahn (CDU) klarstellt. Von sofort an können vollständig Geimpfte aus Variantenregionen ihre Quarantäne genauso abkürzen oder ganz aufheben, wie wenn sie aus einfachen oder Hochrisikogebieten kämen. Voraussetzung ist, dass sie den deutschen Gesundheitsbehörden eine Bestätigung über die vollständige Impfung zuschicken. „Die Absonderung endet mit Übermittlung des Impfnachweises“, sagt ein Ministeriumssprecher. Das genutzte Vakzin müsse allerdings gegen die im Herkunftsland festgestellte Mutante effektiv und vom Robert Koch-Institut (RKI) im Internet solchermaßen ausgewiesen sein. Allerdings gibt es dabei einen gewaltigen Haken: Die Wirksamkeit der Präparate gegen die Beta-Variante ist umstritten – und weder das Gesundheitsministerium noch das RKI sahen sich am Mittwoch in der Lage, die genannte Liste der zugelassenen Impfstoffe zur Verfügung zu stellen. Insofern gilt auf dem Papier zwar eine Erleichterung, in der Realität wissen aber selbst vollständig immunisierte Reisende aus Afrika nicht, ob und für welche Dauer sie in Deutschland in „Absonderung“ müssen. Diese Unsicherheit für Geschäftsleute und potentielle deutsche Afrika-Urlauber ist gewaltig, sodass an Entspannung im Reiseverkehr und an eine wirtschaftliche Belebung vorerst nicht zu denken ist.

Derzeit würden die Entwicklungen in den afrikanischen Ländern in Deutschland kaum wahrgenommen, stellt Robert Kappel, Ökonom und emeritierter Professor an der Universität Leipzig, fest. Dies erkläre den Verbleib der neun afrikanischen Länder auf der Virusvariantenliste. Insbesondere die katastrophalen wirtschaftlichen Folgen der Pandemie auf dem Kontinent befänden sich in Deutschland nicht auf der Agenda.