Beitrag vom 26.04.2021
FAZ
Vater, Sohn und Staat
Mahamat Idriss Déby folgt im Tschad seinem getöteten Vater als Präsident nach. Dessen Partner in Europa haben hohe Erwartungen
Von Claudia Bröll, Kapstadt
Mahamat Idriss Déby ist 37 Jahre alt, ein Vier-Sterne-General und hat nach gewaltsamen Umständen gerade die Staatsführung im Tschad übernommen. Die Geschichte in dem zentralafrikanischen Land scheint sich zu wiederholen. Fast genauso alt und ebenfalls militärisch gestählt war Débys Vater, Idriss Déby, als er sich 1990 an die Macht putschte. In der vergangenen Woche ist er als amtierender Staatspräsident nach offiziellen Angaben im Kampf gegen Rebellen auf dem Schlachtfeld gefallen. Die schnelle Amtsübernahme, die von der Opposition als „Putsch“ und als „monarchisch“ gegeißelt wird, bedeutet jedoch weder für das Land noch für die Afrika-Politik westlicher Regierungen Kontinuität. Der ums Leben gekommene Déby ist deren wichtigster Verbündeter gewesen, um Unruhen und Terror in der Sahel-Region zu bekämpfen. Der plötzliche Tod des seit 31 Jahren regierenden Präsidenten bedeutet noch größere Instabilität. Der riesige zentralafrikanische Staat wird seit seiner Unabhängigkeit vor sechzig Jahren von Bürgerkriegen und Konflikten erschüttert.
Idriss Déby hatte das Land mit eiserner Hand regiert. Unzählige Kritiker, Oppositionspolitiker und Journalisten wurden während seiner Amtszeit inhaftiert oder ins Exil getrieben. Kritiker warfen ihm vor, sich für Menschenrechte und die Demokratie genauso wenig zu interessieren wie für das Wohl der Bevölkerung. In Ranglisten über Entwicklungsindikatoren wie Bildung, Gesundheit oder Lebenserwartung liegt der Tschad weit hinten. Nach Angaben der Weltbank erlebt ein Fünftel der tschadischen Kinder den fünften Geburtstag nicht. Kritik erntete Déby auch dafür, wie er die reichen Ölvorkommen im Land nutzte. Die Einnahmen kamen fast ausschließlich einer Elite und dem Militär zugute.
Doch die tschadischen Streitkräfte sind als unerschrockene Truppe bekannt, die sich auch in die gefährlichsten Regionen wagt. In der Region ist sie mit Abstand am besten ausgerüstet. Débys turbantragende Männer schlugen einst die Kämpfer von Libyens Muammar al-Gaddafi in einer Wüstenschlacht, zogen gegen Boko-Haram in Nigeria und Al-Qaida in Mali zu Felde. Westliche Länder hätten mit Déby jemanden gefunden, der „für sie die Drecksarbeit erledigt“, sagte vor einigen Jahren der Oppositionspolitiker und zweimalige Präsidentschaftskandidat Saleh Kebzabo. „Danach machen sie die Augen zu.“ Die französische Militäroperation Barkhane, die seit 2014 den islamistischen Terror in den fünf Ländern der Sahel-Zone – Burkina Faso, Tschad, Mali, Mauretanien und Niger – bekämpft, hat ihr Hauptquartier in der Hauptstadt N’Djamena. Das Land liegt zudem strategisch günstig, umgeben von Libyen im Norden, Sudan im Osten, der Zentralafrikanischen Republik im Süden und im Westen Kamerun, dem nördlichen Teil Nigerias und Niger.
Über die Frage, ob Déby tatsächlich von Rebellen getötet wurde, wird viel spekuliert. Zwar hatte sich der Präsident, der als Erster den militärischen Rang eines Feldmarschalls erhalten hatte, schon früher Soldaten auf dem Kampffeld angeschlossen, beispielsweise im vergangenen Jahr gegen Boko Haram. Er galt als exzellenter Kämpfer und Stratege. Es war daher nicht ungewöhnlich, dass er kurz nach der Verkündung seiner abermaligen Wiederwahl als Präsident zuerst an die Front zum Truppenbesuch eilte, statt zunächst eine Siegesrede vor seinen Anhängern zu halten.
Doch wie der Informationsdienst „Africa Intelligence“ schreibt, gibt es Quellen, die von Schüssen während eines Treffens des Präsidenten mit seinen Generälen etwas entfernt von der Front berichten. Der Präsident sei in die Hüfte geschossen worden, wenige Stunden später sei er gestorben. Angeblich wurden weitere Offiziere und Leibwächter während des Treffens getötet. Andere halten es für möglich, dass innerfamiliäre Fehden und Machtkämpfe zu seinem Tod geführt hatten. Spekulationen, die Tage Débys seien gezählt, gibt es schon lange. Wie die Mitglieder der politischen Elite, der Opposition und auch der Rebellengruppen zueinander in Beziehung stehen, ist von außen kaum zu durchschauen. Oft sind die Angehörigen verfeindeter Gruppen miteinander verwandt.
Was Déby junior, der während der Trauerfeier am Freitag im Kampfanzug in der ersten Reihe saß, womöglich anders macht, muss sich zeigen. Er führt eine Militärregierung, kündigte aber demokratische Wahlen in 18 Monaten an. „Der Militärrat hat keine Ambitionen, das Land allein zu führen“, sagte er in einer Rede. Die Verfassung sei durch eine neue „Charta“ ersetzt worden. Gemäß der Verfassung hätte der Parlamentspräsident oder der Vizepräsident das Amt übernehmen müssen. Spätestens neunzig Tage danach hätten Neuwahlen stattfinden müssen.
Die Hauptaufgabe des neuen Präsidenten besteht jetzt darin, die Rebellengruppe „Front für Wandel und Eintracht in Tschad“ (FACT) zurückzudrängen. Sie ist an der nördlichen Grenze zu Libyen stationiert, gilt als gut ausgerüstet und hat eine starke Basis in Libyen. Am Wahltag am 11. April hatten die FACT-Kämpfer einen Grenzposten angegriffen und waren schnell Hunderte Kilometer bis kurz vor die Hauptstadt vorgerückt. Es kam zu Gefechten mit der Armee. Die britische Regierung forderte ihre Bürger auf, das Land zu verlassen. Auch die amerikanische Regierung zog Botschaftsmitarbeiter ab. Die Sorge ist groß, dass sich die Unruhen in die Region ausweiten.
Der junge Déby ist als Soldat zwar auch angesehen, aber er ist keine Persönlichkeit, wie es zuletzt sein Vater war. Dieser wurde nicht nur von westlichen Regierungen geschätzt, sondern spielte auch eine wichtige Rolle als Vermittler in der Region. Frankreichs Staatspräsident Emmanuel Macron, der zu der Trauerfeier angereist war, versprach Unterstützung, um das „Versprechen eines friedlichen Tschads“ aufrechtzuerhalten, forderte aber auch einen „demokratischen Übergang“. Die amerikanische Regierung teilte mit, die Entwicklung genau zu verfolgen und sich ebenfalls für einen „friedlichen, demokratischen Übergang zu einer Zivilregierung“ einzusetzen.
Von einer Demokratie war der teils in der Wüste liegende Staat allerdings auch unter Débys Vater weit entfernt. Vor den jüngsten Präsidentschaftswahlen, die von den wichtigen Oppositionsparteien boykottiert wurden, zeigte er sich siegessicher, verkündete, auch diese Wahl wie die vorigen zu gewinnen. Eine Verfassungsänderung 2018 hätte ihm ermöglicht, bis 2033 – insgesamt 43 Jahre – an der Macht zu bleiben.