Beitrag vom 24.04.2021
Spiegel
Kolonialismus in der Wissenschaft
»Die Projektlenker der Malaria-Initiative sitzen alle in Ländern, die nicht einmal Malaria haben«
Die US-Regierung will zeigen, wie sehr ihr Afrika am Herzen liegt. 30 Millionen Dollar zusätzlich sollen in den Kampf gegen Malaria fließen – doch statt Lob erntet Joe Biden Kolonialismusvorwürfe.
Ein Interview von Heiner Hoffmann, Nairobi
Der Kampf gegen Malaria ist in den USA Chefsache, zumindest dem Namen nach. Die »US President's Malaria Initiative« ist fast schon eine Institution in den Vereinigten Staaten. Sie besteht seit immerhin 15 Jahren und hat sich dem Kampf gegen Malaria verschrieben. US-Präsident Joe Biden wollte der Initiative nun neuen Schwung geben und hat 30 Millionen Dollar (circa 25 Millionen Euro) für Forschungsprojekte rund um die Tropenkrankheit lockergemacht.
Doch kurz nach der Verkündung des Geldsegens hagelte es Kritik, vor allem aus Afrika. Denn um die Initiative zu planen und zu steuern, wurde ein Konsortium aus insgesamt acht Projektpartnern auserkoren. Das Problem: Kein Einziger davon sitzt auf dem afrikanischen Kontinent, sondern alle stammen aus dem globalen Norden. Forschung über Afrika ohne Afrikaner, zumindest auf der unmittelbaren Entscheidungsebene. Zwar will man mit Partnern vor Ort zusammenarbeiten, doch im steuernden Konsortium sind die nicht vertreten.
Mehrere afrikanische und afrikanischstämmige Wissenschaftler sind dagegen Sturm gelaufen – zunächst auf Twitter, dann in einem offenen Brief in der renommierten Wissenschaftszeitschrift »Nature Medicine«.
Übel stößt ihnen auch der Name der Forschungsinitiative auf: INFORM. Denn der scheint sogar aus Afrika geklaut – in Kenia läuft seit vielen Jahren unter eben jenem Namen ein erfolgreiches Forschungsprojekt mit dem gleichen Ansatz. Die nigerianisch-amerikanische Wissenschaftlerin Ngozi Erondu hat dort mitgearbeitet und gehört zu den Initiatoren des Protestes.
SPIEGEL: 30 Millionen US-Dollar für Forschung zu Malaria klingt ja erst mal nach einer guten Sache. Was ist das Problem?
Erondu: Ich habe beim kenianischen INFORM-Projekt mitgearbeitet. Ich weiß also, wer es erfunden hat. Deswegen hat es mich echt umgehauen, dass sie sogar so dreist waren, den Namen zu klauen. Das konnte ich einfach nicht auf sich beruhen lassen. Also habe ich im Februar einen Tweet verfasst und einige afrikanische Forscher, die ich kenne, darin markiert. Später haben wir dann noch einen offenen Brief in »Nature Medicine« verfasst. Ich muss sagen, das hat doch für ordentlich Wirbel gesorgt.
SPIEGEL: Inwiefern?
Erondu: Die »US President's Malaria Initiative« hat ein Statement verfasst, wonach wir mit unserer Kritik einen berechtigten Punkt aufgreifen. Sie haben angekündigt, lokale Partner stärker einzubinden. Künftige Initiativen sollen offen kommentiert werden können. Viele andere Organisationen haben auf Social Media gepostet, dass wir ein echtes Problem angesprochen haben.
SPIEGEL: Sind Sie nun zufrieden?
Erondu: Nein, nicht wirklich. Die afrikanischen Institutionen werden wohl immer noch Juniorpartner sein, und so wird das kolonialistische System von Wissenschaft und Forschung fortgesetzt. Sie sollten zumindest einige afrikanische Partner auf die Entscheidungsebene dazu holen, wenn sie schon keine westlichen Organisationen ersetzen können.
SPIEGEL: Wo liegt denn das Problem, wenn nur nichtafrikanische Organisationen entscheiden?
Erondu: Zunächst mal zahlt die Initiative Verwaltungskosten an alle diese westlichen Organisationen – Geld, das nicht in die Projektarbeit vor Ort fließt. In der Vergangenheit sind bis zu 60 Prozent von Forschungsbudgets in Bürokosten von westlichen Einrichtungen geflossen. Dazu kommt: Wenn man afrikanische Partner auf die Entscheidungsebene holt, werden die geplanten Aktivitäten ganz anders aussehen. Denn wenn ein Programm Kapazitäten vor Ort aufbauen will, dann sollen doch bitte die Länder, die man unterstützten will, sagen, was genau sie brauchen. Und nicht die Leute aus dem Westen. Die Projektlenker der Malaria-Initiative sitzen alle in Ländern, die nicht einmal Malaria haben. Gleichzeitig hat so gut wie jedes betroffene afrikanische Land ein bestehendes Forschungsprogramm, aber kein Geld. Es geht hier nur um Machtverhältnisse.
SPIEGEL: Steckt also Absicht dahinter?
Erondu: Ich sage nicht, dass die afrikanischen Länder sich nicht auch selbst mehr anstrengen sollten, da geht auch vieles schief. Aber wenn es schon mal Hilfe gibt, muss die Frage sein: Wie setzen wir sie effektiv ein? Momentan bestätigen eigentlich alle, dass das nicht der Fall ist. Weniger als ein Prozent der Hilfe aus Übersee wird derzeit für lokale Forschungsaktivitäten ausgegeben. Viele Mitarbeiter dieser westlichen Organisationen erkennen das auch, aber die Entscheidungsträger denken anders, da gibt es eine große Diskrepanz. Deswegen ändert sich auch nichts. Wenn sie über den Kampf gegen Krankheiten in Afrika sprechen, sitzt oft höchstens ein Afrikaner mit im Raum.
SPIEGEL: Sie nennen es Wissenschaftskolonialismus. Warum?
Erondu: Wie gesagt: Es dient dem Zweck, die Machtverhältnisse zu sichern. Um das zu ändern, muss man das ganze koloniale Erbe infrage stellen, die Wissenschaft ist ja nur ein Nebenprodukt der Gesellschaft. Die Vorurteile sind allgegenwärtig, die Leute sagen immer noch: Die Afrikaner schaffen das gar nicht allein, sie haben dafür nicht die Kapazitäten. Ich würde fragen: Warum haben es all die Nichtregierungsorganisationen in den vergangenen Jahrzehnten nicht geschafft, diese Kapazitäten aufzubauen? Wenn ihnen das nicht gelungen ist, sollten sie verschwinden.
SPIEGEL: Aber einige afrikanische Wissenschaftler sagen auch: Wir sollten nicht immer auf den Westen schauen, sondern uns um uns selbst kümmern. Ist das nicht ein berechtigtes Argument?
Erondu: Ja, es sollte einen gut überlegten Weg geben, die internationale Hilfsindustrie zu beenden, aber das geht nicht über Nacht. Ich wünschte, die afrikanische Bevölkerung würde ihre Regierungen stärker dazu auffordern, Geld für die öffentliche Gesundheit auszugeben. Aber im Moment sehe ich noch keinen Weg, die internationale Hilfe zu stoppen. Das Problem ist: Wir praktizieren immer noch Fallschirmwissenschaft, das habe ich in der Vergangenheit auch gemacht. Ich bin während des Ebola-Ausbruchs nach Guinea geflogen, um zu helfen. Doch eigentlich sollten die Guineer selbst auf solche Epidemien reagieren. Denn wenn die Westler kommen, übernehmen sie einfach das Ruder und bauen Parallelstrukturen auf, statt die bestehenden zu unterstützen. Aber warum sollten die Ausländer die Standards bestimmen? Sie kennen ja nicht einmal die Realitäten vor Ort. Sie sollten den örtlichen Wissenschaftlern die Entscheidungen überlassen. Ich hoffe, dass eines Tages gar keine Ressourcen von außen mehr nötig sind.
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Zur Person Ngozi Erondu
Ngozi Erondu hat als Epidemiologin mit zahlreichen afrikanischen und asiatischen Regierungen zusammengearbeitet, um Infektionsausbrüche besser kontrollieren zu können. Sie war unter anderem während der Ebola-Epidemie in Guinea im Einsatz. Die nigerianisch-amerikanische Wissenschaftlerin ist Stipendiatin des O'Neill-Instituts in Georgetown und Fellow am Chatham House mit Sitz in London.