Beitrag vom 02.12.2020
FAZ Leserbrief
Frauenförderung oder Familienplanung?
Zu „Hinter den Kulissen der Vereinten Nationen“ von Monika Remé (F.A.Z. vom 3. November):
Es ist höchst verdienstvoll und dankenswert, dass die F.A.Z. mit einer Rezension das Thema „Weltbevölkerungsexplosion“ so ausführlich aufgegriffen hat. Der Komplex ist gleichrangig mit dem Weltproblem „ Klimawandel“, obwohl sich die unbestrittene Erwartung, dass die Bevölkerung Afrikas sich in den nächsten 30 Jahren um 1,5 Milliarden Menschen vergrößern wird, auf keiner politischen Tagesordnung findet, außer jetzt bei der F.A.Z. Birkes Buch bietet viel Hintergrund für die heutige Situation, enthält aber auch falsche Behauptungen. So erwähnt er, dass „Verfechter der Geburtenreduktion etwa gleichzeitig erkannt hatten, dass Frauenförderung der Schlüssel zur Senkung der Geburtenrate ist“. Der Bevölkerungsfonds der Vereinten Nationen (UNFPA) verkündet seit Jahren, dass in den Entwicklungsländern 214 Millionen Paare liebend gern verhüten würden, es aber nicht können, weil ihnen die Verhütungsmittel nicht geliefert werden.
Bei diesen 214 Millionen die Entstehung dieses Wunsches als Ergebnis vorausgegangener Frauenförderprogramme zu werten, lässt sich durch nichts begründen. Denn es gibt kein einziges Familienplanungsprogramm, dessen Erfolg auf vorausgegangene „Frauenförderung“ zurückzuführen ist.
Dieses falsche Argument wurde zu Zeiten des Bundesentwicklungsministers Dr. Erhard Eppler erfunden. Das folgt aus einem handschriftlichen Brief, den er mir 2014 geschrieben hat: „Im Ministerium gab es kluge Leute, die mir sagten, wir sollten mehr Geld in die Bildung von Frauen stecken, ohne die helfe auch Familienplanung nicht viel.“ Die „klugen Leute“ bestanden aus einem Ministerialdirigenten, der zugleich der Spitzenkatholik im Ministerium war. Auch hatte UNFPA den Preis UN Population Award schaffen lassen, um mehr Werbung für sich zu machen. Indira Gandhi hat den Preis trotz ihrer „massenhaften Zwangssterilisationen“ als Erste erhalten, weil sie in jener Zeit den mit Abstand berühmtesten Namen hatte; UNFPA wollte durch diese Verleihung bekannter werden.
Das Interessanteste, das sich zwischen 1974 und 1984 in dieser Hinsicht ereignete, hat Birke nicht erwähnt. Auf der Weltbevölkerungskonferenz 1974 in Bukarest hatten alle Entwicklungsländer der Ersten Welt den Krieg erklärt: „Entwicklung ist die beste Pille“ war das Motto. Also: „Ihr wollt uns mit eurer Familienplanung ja nur ausrotten“, war gemeint. Nur zehn Jahre später, auf der Weltbevölkerungskonferenz in Mexiko, sprach kein einziges Entwicklungsland gegen Familienplanung. Ich meine, ein Grund war UNFPAs gute Arbeit in jenen zehn Jahren unter dem Filipino Rafael Salas.
Ferner ist überflüssig, dass Birke „eine ehrliche Diskussion über Bevölkerungspolitik“ fordert, um sie „unter demokratische Kontrolle zu stellen“. Dort steht sie längst, denn der erwähnte Wunsch der 214 Millionen Paare nach Verhütungsmitteln ist „unter demokratischer Kontrolle“ entstanden.
Übrigens hat unser unwilliger Bundesminister Dr. Gerd Müller acht von den 214 Millionen Paaren mit Verhütungsmitteln versorgen lassen. Warum nicht 80 Millionen Paare? Angesichts des Haushalts von zehn Milliarden Euro hätte sich das prioritär leicht schaffen lassen. So sind es nur noch 206 Millionen Paare, die unsere christlichen Geberregierungen bei jedem Liebesakt zittern lassen, ob er wohl zur nächsten unerwünschten Zeugung führt.
Dr. Dieter Ehrhardt, UNFPA Representative (ret.), Zell a.M.