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Für eine andere Entwicklungspolitik!

Beitrag vom 23.11.2020

NZZ

Lobbyisten mit Heiligenschein – warum sich Journalisten so gerne von NGO einspannen lassen

Unabhängige Medien wahren Distanz zu allen politischen Akteuren, selbst wenn es um eine vermeintlich gute Sache geht. So lautet die Theorie – bis bestimmte NGO ins Spiel kommen.

Lucien Scherrer

Vor Lobbyisten und PR-Menschen gilt es sich in acht zu nehmen. Das wussten kritische Journalisten schon in den 1970er Jahren. Nachzulesen ist das im Buch «Die unheimlichen Patrioten», das eine ganze Generation von Journalisten inspiriert hat – legt es doch die Netzwerke offen, mit denen bürgerliche und rechte Kreise den öffentlichen Diskurs zu dominieren versuchten.

Glaubt man den Autoren Jürg Frischknecht, Peter Niggli, Ueli Haldimann und Peter Haffner, waren die Meinungsmacher überall am Werk: Sie jubelten den Zeitungen als Korrespondentenberichte getarnte Kommentare unter oder belieferten sie gleich mit selbstverfassten Reportagen, über angeblich unbedenkliche Atommülldeponien und Ähnliches.

Besonders schlimm trieben es ihrer Meinung nach die «rechten Polit-Jungtürken» der PR-Agentur Farner, deren Gründer einst gesagt haben soll, mit einer Million Franken könne er einen Kartoffelsack in einen Bundesrat verwandeln. «Farner», so witzeln die Autoren, «tut Gutes für die notleidende Presse und stellt den Zeitungen fixfertige Zeitungsseiten zur Verfügung». Nur: Wer hinter dem atomfreundlichen Artikel stehe, erfahre die Leserschaft nirgends.

Gute PR, schlechte PR

So weit die Lage 1979. Der Filz aus Staat, Verwaltung, Medien und Politik existiert 40 Jahre später zwar immer noch, aber er ist bunter geworden. Zum Beispiel gibt es ihn nun in Rot und Grün. Dies auch, weil die ehemaligen Rebellen Karriere gemacht haben. Jene von Ueli Haldimann führte bis an die Spitze der SRG. Peter Niggli leitet heute das parastaatliche Hilfswerk Helvetas, zuvor war er grüner Politiker und Chef des Hilfswerks Alliance Sud.

Bemerkenswert ist, dass Interessengruppen wie Alliance Sud heute eine ähnliche Rolle spielen für die «notleidende Presse» wie einst Farners PR-Füchse. Denn während sonst jedem Volontär eingeschärft wird, er dürfe sich ja nicht – wie es im Jargon heisst – von PR-Fuzzis instrumentalisieren lassen, gilt PR-Arbeit von Hilfswerken und anderen Nichtregierungsorganisationen (NGO) oft als unbedenklich.

Mehr noch: Wenn sich eine NGO offiziell dem Kampf für die Umwelt, die Dritte Welt oder die Armen verschrieben hat, sind journalistische Prinzipien wie Distanz nicht mehr so wichtig. Offensichtlich wurde das einmal mehr während der gegenwärtigen Abstimmungskampagne für die Konzernverantwortungsinitiative, die vornehmlich von links-grünen NGO geschickt beworben wird.

Gemäss einem Strategiepapier, das der «Tages-Anzeiger» im Juni veröffentlichte, war es die erklärte Absicht der Initianten, ausgewählten Journalisten fixfertige Fälle zuzuspielen. Ein Beispiel dafür war auch in den Tamedia-Titeln selber zu finden. So erfuhren die Leser im selben Monat, dass es aufgrund von NGO-Studien «dringend klare Gesetze für multinationale Unternehmen braucht». Quelle dieser Aussage war ein Sprecher der NGO Public Eye, die im Artikel mehrfach zitiert wurde, ohne jeden Widerspruch.

Einige Wochen später berichtete das Schweizer Radio und Fernsehen (SRF) über eine Studie des Hilfswerks Swissaid, wonach Schweizer Firmen in dreckige Goldgeschäfte verwickelt seien. Eine Firma wird mehrmals namentlich genannt, hat aber keine Möglichkeit, sich zu äussern. Dafür zitiert der Redaktor ausführlich aus der Studie. Und er erklärt, wo Swissaid den grössten «Handlungsbedarf» ortet. Dass es für die Vorwürfe keine eindeutigen Beweise gibt, erfährt man erst am Schluss.

Die Botschaft zwischen den Zeilen ist klar: Um diesen bösen Firmen das Handwerk zu legen, braucht es jetzt radikale Massnahmen. Über die Qualität der Studien ist damit nichts gesagt. Aber wenn ein SRF-Bundeshausredaktor wie letzte Woche in einer Push-Nachricht ganz offen erklärt, die Initianten hätten «bessere Argumente», ist klar, wo die Sympathien liegen.

Caritas oder die Kunst des Forderns

Die Symbiose zwischen NGO und Medienvertretern ist nicht nur vor wichtigen Abstimmungen zu beobachten, und sie funktioniert nach einem einfachen Muster: Eine NGO liefert vorproduzierte Bausteine aus Zitaten, passenden Fakten und den «richtigen» politischen Folgerungen, publiziert wird das Ganze als journalistischer Beitrag. Auf diese Weise sind schon Hunderte Zeitungsartikel entstanden.

Wie das geht, zeigt das Hilfswerk Caritas. Diese zu über 40 Prozent vom Staat finanzierte Organisation ist personell und ideologisch eng mit SP, Grünen und anderen linken Gruppen verbunden. In den Leitungsgremien sitzen Politiker wie Hugo Fasel (csp., Fraktion Grüne) und Ada Marra (sp.); passend dazu klagen in den Caritas-Schriften Autoren wie Cédric Wermuth (sp.), Ueli Mäder (ehemals poch) oder Min Li Marti (sp.) über «Neoliberalismus» und «Sozialabbau».

Ihre finanziellen Mittel nutzt die Caritas für ein permanentes Lobbying in den Medien – für mehr Entwicklungshilfe, mehr Sozialleistungen und andere Ansprüche an den Staat, wie sie auch SP und Grüne fordern. Die Resonanz auf diese Kampagnen ist eindrücklich, wie ein Blick in die Schweizerische Mediendatenbank zeigt.

Dort finden sich unter dem Stichwort «Caritas fordert» über 500 Artikel, von denen hier nur einige Überschriften zitiert seien: Caritas fordert bezahlbaren Wohnraum, Caritas fordert ein garantiertes Grundeinkommen für alle, Caritas fordert mehr Geld fürs Klima, Caritas fordert Ergänzungsleistungen für Familien, Caritas fordert mehr Geld für Sozialpolitik, Caritas fordert mehr finanzielle Ressourcen, oder, ganz einfach: Caritas fordert mehr Geld.

Verlässliche Caritas-Multiplikatoren sind die Agentur SDA und das öffentlichrechtliche SRF. Dort sind die, wie es heisst, «Anwälte der Armen» um den «engagierten Sozialpolitiker» Hugo Fasel regelmässig zu Gast. Mit Fragen wie «Was wäre noch zu tun?» oder «Wird in der Entwicklungshilfe nicht am falschen Ort gespart?» halten die Journalisten dann jenen Kreislauf von Forderungen und noch mehr Forderungen im Gang, der zu den oben zitierten Schlagzeilen führt.

Problematisch ist, dass diese sehr ideologisch motivierten Verlautbarungen meist widerspruchslos zitiert werden, als ginge es um wissenschaftliche Befunde oder unbestrittene Tatsachen. So behauptet die Caritas via «Blick», SRF und andere Medien regelmässig, in der reichen Schweiz würden mehr als eine Million Menschen in Armut leben, um ihre Forderungen zu rechtfertigen.

Diese Zahl basiert jedoch auf äusserst grosszügigen Definitionen des Begriffs «Armut». Das Bundesamt für Statistik zum Beispiel geht von 660 000 Armen aus. Und auch diese Schätzung basiert auf letztlich willkürlichen Grenzwerten. Die «Sonntags-Zeitung» bezeichnete die Armutsberechnungen der Caritas denn auch einmal als «Unfug», «Angstmacherei» und «Politpropaganda». Doch solche Stimmen sind rar.

«Sehnsucht nach Heilsbringern»

Vielmehr ist die Nähe zwischen NGO und Medien so gross, dass sie manchmal selbst bei NGO-Vertretern für Irritationen sorgt. «Viele Medienschaffende», so kritisierte der Aktivist Oliver Classen kürzlich in der «Medienwoche», hätten den NGO einen «Heiligenschein» aufgesetzt, «aus Naivität oder der Sehnsucht nach Heilsbringern». Da Journalisten häufig mit den Zielen von NGO sympathisierten, verhielten sie sich oft unkritisch.

Classen muss es wissen: Er ist Mediensprecher der NGO Public Eye, die den Abstimmungskampf für die Konzernverantwortungsinitiative koordiniert. Tatsächlich braucht es sehr viel, bis die «Heilsbringer» hinterfragt und kritisiert werden, zum Beispiel einen internen Missbrauchsskandal wie beim Hilfswerk Oxfam.

Selbst eine Organisation wie Extinction Rebellion (XR), die im Namen der Klimarettung gegen die angeblich von Eliten beherrschte Demokratie agitiert, darf mit viel medialem Wohlwollen rechnen. «Gesetze brechen für den Klimaschutz», titelte die Tamedia-Presse ehrfürchtig, nachdem XR-Aktivisten die Limmat grün eingefärbt hatten. Das Extremismus-Thema handelten die Journalistinnen ab, indem sie einen Aktivisten verkünden liessen, nicht XR sei radikal, sondern der Rest der Welt.

Die Nähe zwischen NGO und Medien ist nicht nur ideologisch, sondern auch personell bedingt. Eine XR-Aktivistin, die 2021 für den deutschen Bundestag kandidiert, war früher für verschiedene Medien tätig, darunter den «Spiegel». Der Leiter Asylbereich der Schweizerischen Flüchtlingshilfe war früher Journalist bei Tamedia, wo er Kommentare für eine Ausweitung des Asylrechts und des Anspruchs auf Sozialhilfe verfasste.

Das Schweizer «Campaign Camp», das Kampagnen für links-grüne NGO und Parteien entwickelt, arbeitet mit Reporterinnen der «Republik» zusammen. Der Medienverantwortliche von Alliance Sud war früher Journalist bei SRF, nun lässt er sich in SRF-Sendungen wie «Musik für einen Gast» selber befragen. Daneben sitzt er im Vorstand des Vereins «real 21» – ein Projekt, welches das enge Verhältnis zwischen NGO, Staat und Journalismus anschaulich verkörpert.

Auch wer «im Interesse der Menschen» handelt, kann irren

Getragen wird «real 21» von Alliance Sud und der wichtigsten Journalistenschule der Schweiz, dem MAZ in Luzern. Die Rechnung für «real 21» übernimmt die eidgenössische Direktion für Entwicklungshilfe und Zusammenarbeit (Deza), die sich wiederum als Sponsor und Auftraggeber für Hilfswerke wie Caritas und Alliance Sud betätigt.

Das Ziel des Vereins ist es, «fundierte» Auslandsberichterstattung zu fördern, welche die etablierten Medien angeblich vernachlässigen. Pro Jahr werden jeweils mehrere zehntausend Franken für Förderprojekte und Preise ausgeschüttet. Laut der MAZ-Direktorin Martina Fehr ist eine unabhängige Berichterstattung garantiert, weil die Jurys ganz oder mehrheitlich von Journalisten besetzt sind. Gefragt sei denn auch kein «Kampagnenjournalismus», sondern seriöse Recherche.

Das hindert «real 21» allerdings nicht daran, Werbespots für Alliance Sud zu verbreiten. Denn auf der Website des Vereins wird das Hilfswerk unter dem Titel «Alliance Sud – Politik für eine gerechte Welt» vorgestellt. Die journalistische Frage, ob die politischen Rezepte von Alliance Sud die Welt wirklich gerechter machen, ist damit bereits beantwortet. Und man fragt sich, ob ein Artikel über die Nutzlosigkeit von staatlicher Entwicklungshilfe jemals Chancen auf Fördergelder der Deza hätte.

Slogans wie «Politik für eine gerechte Welt» weisen denn auch auf ein grundsätzliches Problem hin. Nüchtern betrachtet sind NGO ganz normale politische Akteure, die zum Teil Hunderte Millionen Franken umsetzen (wie Greenpeace), mit manchmal zweifelhaften Partnern kooperieren (etwa im Nahen Osten) und eine nicht zu unterschätzende Macht besitzen. Die setzen sie nicht immer ganz uneigennützig ein, und sie können irren, wie alle anderen auch.

Um sich unangreifbar zu machen, behaupten NGO-Vertreter jedoch unentwegt, sie würden universelle Ziele verfolgen, gegen die doch kein anständiger Mensch etwas haben könne. In dieser Logik ist auch mediales Lobbying von NGO im «Interesse der Menschen», weshalb man, wie es der Sprecher von Alliance Sud einmal ausdrückte, besser von «Service public» rede. Andere NGO-Vertreter betonen, sie hätten doch die gleichen Interessen wie Journalisten.

Das ist zwar nicht ganz falsch, denn manche NGO-Aktivisten sind ausgezeichnete Rechercheure, die wie Journalisten Missstände und Machenschaften aufdecken. Wenn aber jegliche NGO-Propaganda journalistischer «Service public» sein soll und Journalisten das auch noch glauben, kann man die Berichterstattung gleich den Aktivisten überlassen. So, wie man sie in den 1970er Jahren Farners «Jungtürken» überlassen hat.