Beitrag vom 22.11.2020
FAZ
„Mehr Markt“ reicht für Kooperation mit Afrika nicht aus
Entwicklungsmodelle, die einseitig auf Wirtschaftswachstum setzen, sind veraltet.
Von Anna-Katharina Hornidge, Christine Hackenesch
Wie kann internationale Politik aussehen, die ökonomisch, sozial und ökologisch nachhaltige Entwicklung im Sinne eines globalen Gemeinwohls fördert? Andreas Freytag und Stefan Liebing argumentierten vor einigen Tagen an dieser Stelle, zeitgemäße Kooperation mit Afrika müsse auf privatwirtschaftliche Investitionen, Marktprinzipien bei der Projektauswahl sowie auf Wettbewerb der Partnerländer um internationale Investitionen setzen. Paternalismus in der Entwicklungspolitik solle durch Prinzipien des Wettbewerbs und der sozialen Marktwirtschaft ersetzt werden (siehe F.A.Z. vom 30. Oktober).
Privatwirtschaftliche Investitionen und eine bessere Verknüpfung von Privatsektor und entwicklungsorientierter Politik sind in der Tat zwingend notwendig, um nachhaltigen Wohlstand zu schaffen. Angesichts der gesundheitlichen und sozioökonomischen Herausforderungen der Covid-19-Pandemie, Klimawandel und Ressourcendegradation, sowie demographischem Wandel in Europa und Afrika reicht mehr Markt in der Entwicklungspolitik für ein zukunftsfähiges Kooperationsmodell jedoch nicht aus. Gegenseitige Verflechtungen und Abhängigkeiten gehen uns in direkter Nachbarschaft gemeinsam etwas an. Kooperation mit Afrika muss zu einer transformativen Partnerschaft weiterentwickelt werden. Es bedarf eines Perspektivwechsels – Altbundespräsident Horst Köhler spricht von ,Haltung‘ – und neuartiger Kooperationsstrukturen.
Warum ein Perspektivwechsel? Die Zusammenarbeit mit Afrika ist seit Jahrzehnten von der einseitigen Wahrnehmung geprägt, dass die Probleme in Afrika liegen und Europa mit Wissen, Technologien und Finanzen zu ihrer Lösung beiträgt. Diese eindimensionale Sichtweise trägt nicht. Zu groß ist die Schnittmenge an globalen Problemen, die Europa, Afrika und andere nur gemeinsam bearbeiten können. Herkömmliche Entwicklungsmodelle, die einseitig auf Wirtschaftswachstum setzen, sind veraltet. Stattdessen stehen die Schaffung nachhaltiger Arbeitsplätze, gesellschaftlicher Zusammenhalt und ökologische Verträglichkeit im Vordergrund. Die Europäische Union hat sich das ambitionierte Ziel gesetzt, 2050 klimaneutral zu wirtschaften. Die Afrikanische Union zielt in ihrer Agenda 2063 darauf ab, Zugang zu Energie auszubauen, und diskutiert, welche Rolle dabei erneuerbare Energien spielen können. Den Suchprozess zur Ausgestaltung zentraler Transformationsfelder müssen europäische und afrikanische Partner gemeinsam organisieren. Transregionale Wertschöpfungsketten müssen gemeinsam umstrukturiert werden.
Zwei Beispiele: Um die Energiewende in Europa zu schaffen, muss künftig voraussichtlich ein Teil der erneuerbaren Energien importiert werden. Grüner Wasserstoff aus afrikanischen Ländern kann hier eine wichtige Rolle spielen. Ähnlich sieht es in der Elektromobilität in Europa aus: Sie ist abhängig von Kobalt, das weitestgehend im Rohzustand aus der Demokratischen Republik Kongo importiert wird. Mit dem Ausbau von Elektromobilität nimmt die Nachfrage an Kobaltimporten weiter zu. Diese Abhängigkeiten gilt es strategisch zu nutzen. Im ausgewogenen Interesse beider Seiten.
Das bedeutet beispielsweise, dass beim Kobaltabbau nicht nur die Einhaltung von Menschenrechts- und Sozialstandards garantiert, sondern auch der Anteil an lokaler Wertschöpfung erhöht wird. Beim grünen Wasserstoff bedeutet dies, dass europäische und afrikanische Partner gemeinsam Technologieentwicklung voranbringen, zunächst in den Energiezugang in Afrika investieren, bevor nach Europa exportiert wird. Davon könnten Wirtschaftsakteure und Gesellschaften auf beiden Kontinenten profitieren. Dies setzt vertieften Austausch in Bildung, Wissenschaft und Technologie als Grundlage gemeinsamer Lösungsentwicklung voraus.
Das Ziel einer transformativen Partnerschaft muss sein, zusammen mit afrikanischen Partnern ambitionierte Zukunftsentwürfe zu entwickeln, die sich an den Reformerfordernissen in zentralen Handlungsfeldern in Afrika und Europa gleichermaßen orientieren. Dafür müssen Reformvorhaben im engen Austausch von Privatsektor, Politik, Wissenschaft und Zivilgesellschaft beider Kontinente erarbeitet werden. So hat die EU-Kommission seit 2018 beispielsweise eine Reihe von „Task Forces“ zu nachhaltigen Investitionen in Energie, Landwirtschaft, Transport und Digitalisierung eingerichtet. Für eine transformative Partnerschaft sollte dieser Ansatz unter Einbezug der Wirtschaftsförderung strategisch ausgebaut und systematisiert werden.
Gemeinsame Interessen und gegenseitige Abhängigkeiten stellen die strategische Grundlage für transformative, partnerschaftliche Kooperation mit Afrika dar. Es geht nicht um eine einseitige Fokussierung – weder auf afrikanische noch europäische Herausforderungen. Marktbasierter Wettbewerb steht hier – so zeigen uns die Covid-19-Pandemie, der Klimawandel oder die Friedensförderung im Sahel – nicht über, sondern neben staatlicher Steuerung und kluger Regierungsführung.
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Anna-Katharina Hornidge ist Direktorin des Deutschen Instituts für Entwicklungspolitik (DIE). Christine Hackenesch ist Regionalkoordinatorin für die Arbeit zu internationaler Zusammenarbeit mit Afrika am DIE.