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Für eine andere Entwicklungspolitik!

Beitrag vom 29.04.2020

Tagesschau

Neue Kriterien festgelegt

Mehr Entwicklungshilfe für weniger Länder

Die Entwicklungszusammenarbeit wird neu gedacht. Minister Müller will weg von der Gießkannenpolitik, gutes Regieren soll belohnt werden. Für etwa 25 Staaten fallen die meisten Programme weg.

Von Georg Schwarte, ARD-Hauptstadtstudio Berlin

Entwicklungsminister Gerd Müller macht ernst. Die deutsche Entwicklungshilfe richtet sich künftig nach neuen Kriterien aus. Menschenrechte sind eines davon, sagte der Minister dem ARD-Hauptstadtstudio.

Wer demnächst bilateraler deutscher Partner sein will, der sollte folgendes wissen: "Wir fordern gezielte Anstrengungen und Erfolge der Regierungen bei Good Governance, Einhaltung der Menschenrechte, der Gleichberechtigung von Frau und Mann und Erfolge im Kampf gegen Korruption.

Das bedeutet auch: Wer diesen Weg nicht mitgeht, kann nicht mehr mit unbedingter deutscher Unterstützung rechnen."

Entsetzt im Regierungsflugzeug

Beispiel Myanmar. Viele werfen dem Land Völkermord an der muslimischen Rohingya-Minderheit vor. Myanmar ignoriere die Weltgemeinschaft, sagt Müller: "Die Regierung Myanmars ist nicht reformorientiert und verletzt die Menschenrechte."

Hunderttausende Rohingya hausen in einem der größten Flüchtlingslager im Nachbarland Bangladesch. Müller war im Februar vor Ort und kündigte damals - entsetzt von den Eindrücken - noch im Regierungsflugzeug auf dem Weiterflug an, alle künftigen Projekte mit Myanmar auf Eis zu legen.

Jetzt ist Myanmar ganz von der Liste der bilateralen Partner gestrichen. "Ich habe die brutalen Verhältnisse im Flüchtlingslager gesehen und die Regierung Myanmars aufgefordert, zu handeln," so Müller. Es sei nichts geschehen.

Myanmar und rund 25 andere Staaten - von Nepal bis Liberia, von Sri Lanka bis Kuba - sind von der Liste der bilateralen deutschen Partner verschwunden. Bisher kooperierte Deutschland mit 85 Nationen. Wenn der verkündete Umbau in zwei bis vier Jahren endgültig umgesetzt ist, will man mit weniger Partnern intensiver arbeiten.

Kritik an Müller-Plänen

Das katholische Hilfswerk Misereor erklärte, in der neuen Liste sei der Anteil der am wenigsten entwickelten Länder geschrumpft. Es sei zu befürchten, dass gerade die Zielgruppen zurückgelassen würden, die bereits jetzt die geringsten Chancen hätten, sich aus eigener Kraft aus Armut und Marginalisierung zu befreien, sagte Geschäftsführer Martin Bröckelmann-Simon.

Der entwicklungspolitische Dachverband Venro zeigte sich ebenfalls besorgt. "Die geplante Fokussierung auf Partnerländer, die schon auf einem guten Weg sind, darf auf keinen Fall dazu führen, die Länder und Menschen aus dem Blick zu verlieren, die in besonderer Weise auf Unterstützung angewiesen sind", erklärte der Venro-Vorsitzende Bernd Bornhorst.

Lob vom Koalitionspartner SPD

Sascha Raabe, SPD-Obmann im Entwicklungsausschuss, sagt, es gehe hier nicht um Entwicklungshilfe nur bei Wohlverhalten: "Das ist im Interesse der ärmsten Menschen und hat nichts mit erhobenem Zeigefinger oder Neokolonialismus zu tun. Wir wollen mit den Menschen zusammenarbeiten, aber nicht mit korrupten Regierungen."

Honduras beispielsweise garantierte zuletzt korrupten Politikern, die Entwicklungsgelder veruntreuten, Straffreiheit. Auch Honduras sei künftig kein Partner mehr, sagte Raabe dem ARD-Hauptstadtstudio.

Sorge um Mittelamerika

Der Grüne Uwe Kekeritz allerdings kritisiert, dass viele mittelamerikanische Staaten wegfallen. Also Länder wie Guatemala: "Nachdem zuletzt die Trump-Regierung insbesondere mittelamerikanischen Staaten die Unterstützung gestrichen hatte, werden die jetzt auch von Deutschland fallen gelassen. Das sehe ich als sehr problematisch an."

"Wir erfüllen alle gegebenen Zusagen"

Es ist jedenfalls die größte Strukturreform in der deutschen Entwicklungshilfe seit zwölf Jahren. Müller sagt: Mit keinem Land beende man jede Zusammenarbeit, man ändere lediglich Qualität und Form.

Soll heißen: Wo Deutschland sich zurückzieht, sollen europäische Partner, Hilfsorganisationen oder auch Stiftungen wie die Melinda-und-Bill-Gates-Stiftung unterstützt werden, sagt Müller: "Wir hinterlassen nirgendwo Investitionsruinen und erfüllen die gegeben Verträge und Zusagen."

Klimapolitik, Digitalisierung - und Migration?

Deutsche Schwerpunktthemen sind künftig Klimapolitik, Digitalisierung und nachhaltiges Wirtschaften. Aus der Gesundheitspolitik wird sich Deutschland übrigens - anders als ursprünglich geplant - wegen der Corona-Pandemie in keinem der 85 Partnerländer zurückziehen.

Von den Grünen kommt trotzdem Kritik. Sie sprechen von "interessengeleiteter deutscher Entwicklungsarbeit". Kekeritz sagte: "An der Länderauswahl wird ganz klar deutlich, dass ein Hauptmotiv die Migrationskontrolle und die Grenzsicherung in Afrika sein soll."

Müller verteidigt die Reform. Sein Motto: Weg von der Gießkanne. Konzentration auf die Entwicklungsländer, in denen deutsches Engagement einen Unterschied mache.