Beitrag vom 29.04.2020
FAZ
Arbeitskräfte aus Afrika
Sachverständigenrat schlägt temporäre EU-Visa vor
bub. BERLIN. Der Sachverständigenrat für Integration und Migration fordert, reguläre Wege für die Migration aus Afrika zu schaffen. „Migrationspolitik ist mehr als Grenzkontrolle“, sagte Petra Bendel, die Vorsitzende des Rates, bei der Vorstellung des Jahresgutachtens am Dienstag. Deutschland solle
die EU-Ratspräsidentschaft im zweiten Halbjahr nutzen, um nach neuen Formen der Kooperation mit afrikanischen Staaten zu suchen, um die gefährlichen Wege irregulärer Migration nach Europa einzudämmen.
Der Sachverständigenrat schlägt ein temporäres Arbeitsvisum gegen „Kaution“ als neuen Weg nach Europa vor. Statt hohe Summen an Schleppernetzwerke zu zahlen, sollten Migranten die Möglichkeit erhalten, bei einem europäischen Staat ihrer Wahl einen Geldbetrag zu hinterlegen, um im Gegenzug einen temporären Aufenthaltstitel zur Erwerbstätigkeit zu bekommen, heißt es im Bericht des unabhängigen und interdisziplinär besetzten Expertengremiums. Wenn sie anschließend fristgerecht ausreisen, sollen die Migranten das Geld zurückerhalten. Sollten sie Europa nicht wieder verlassen, wären sie nach dem Vorschlag trotzdem ausreisepflichtig, bekämen das Geld aber nicht zurück. Mit einem solchen Visum könnten auch Arbeitnehmer ohne formale Qualifikation, für die das Fachkräfteeinwanderungsgesetz keine Möglichkeiten bietet, einreisen.
Der Sachverständigenrat sieht die Chance, dass auch die Herkunftsländer profitieren, wenn die Migranten nach ihrem Aufenthalt in Europa zurückkehren. Sie könnten die Ersparnisse und neugewonnenen Kontakte nutzen, um im Heimatland eine Firma zu gründen, in den Arbeitsmarkt einzusteigen oder in die Landwirtschaft zu investieren, sagt der Wirtschaftsfachmann Panu Poutvaara. Im Unterschied zum Gastarbeiter-Modell soll es nach den Vorstellungen des Sachverständigenrats durchaus die Möglichkeit geben, dass die Migranten mehrfach ein- und wieder ausreisen. Für die Zeit in Deutschland hätten die Migranten keinen Anspruch auf Sozialleistungen, sofern sie nicht schon Beiträge eingezahlt haben. Sie müssten ihren Lebensunterhalt selbst finanzieren und eine Krankenversicherung abschließen. Für den Familiennachzug soll sich an den derzeitigen Regelungen nichts ändern: Wer nur ein temporäres Visum hat, muss allein bleiben. Erlangt ein Migrant aber einen dauerhaften Aufenthaltstitel, etwa über das Fachkräfteeinwanderungsgesetz, darf er die Familie nachholen.
Der Sachverständigenrat will den Vorschlag eher als Debattenbeitrag verstanden wissen; weder zur Dauer des Visums noch zur Höhe der Kaution gibt es konkrete Angaben. Man habe bewusst keinen konkreten Gesetzentwurf formuliert, sagte Daniel Thym, Rechtswissenschaftler und Vizepräsident des Sachverständigenrats. In der deutschen Bevölkerung sei sicher auch noch Überzeugungsarbeit zu leisten, meint die Soziologin Claudia Diehl. Der Sachverständigenrat appelliert an die Bundesregierung, darauf hinzuwirken, dass das Fachkräfteeinwanderungsgesetz auch in afrikanischen Ländern Wirkung entfaltet. Außerdem solle Deutschland Ausbildungspartnerschaften mit afrikanischen Ländern abschließen.