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Für eine andere Entwicklungspolitik!

Beitrag vom 19.04.2020

FAS

Kann uns Afrika helfen?

Einwanderer aus Afrika sollen unsere Wirtschaft auf Trab bringen. Ein Blick auf das Bildungsniveau weckt Zweifel. Von Philip Plickert

Die Vor­stel­lung ei­ner Mas­sen­mi­gra­ti­on aus Afri­ka nach Eu­ro­pa weckt in der deut­schen Öf­fent­lich­keit nicht ge­ra­de über­all Be­geis­te­rung. Um­fra­gen zei­gen, dass die meis­ten Bür­ger kei­ne Wie­der­ho­lung der gro­ßen Flücht­lings- und Mi­gran­ten­wel­le von 2015 wün­schen. Doch nach Ein­schät­zung ei­ni­ger For­scher und Or­ga­ni­sa­tio­nen, die sich mit dem The­ma be­schäf­ti­gen, wird der Mi­gra­ti­ons­druck wie­der zu­neh­men – vor al­lem aus Afri­ka. Es sei so­gar „un­aus­weich­lich“, dass sich ei­ne Si­tua­ti­on wie 2015 wie­der­ho­le und es zu wei­te­ren Mi­gra­ti­ons­wel­len kom­me, sag­te jüngst Mau­re­en Achi­eng der F.A.Z. Sie lei­tet das Bü­ro der UN-Or­ga­ni­sa­ti­on für Mi­gra­ti­on (IOM) bei der Afri­ka­ni­schen Uni­on in Ad­dis Abe­ba.

Ge­mein­sam mit der UN-Or­ga­ni­sa­ti­on hat ein Ber­li­ner Thinktank na­mens Glo­bal Per­spec­tives In­itia­ti­ve (GPI) ein auf­schluss­rei­ches Stra­te­gie­pa­pier mit dem Ti­tel „Jobs und Mi­gra­ti­on Ei­ne afri­ka­ni­sche Per­spek­ti­ve“ her­aus­ge­bracht. Die Au­to­ren for­dern, „drin­gend“ mehr le­ga­le We­ge für afri­ka­ni­sche Mi­gran­ten nach Deutsch­land und Eu­ro­pa zu öff­nen. Deutsch­land ha­be sich da­zu als Un­ter­zeich­ner des glo­ba­len Mi­gra­ti­ons­pakts (Glo­bal Com­pact for Safe, Or­der­ly and Re­gu­lar Mi­gra­ti­on) ver­pflich­tet.

Wie im Mi­gra­ti­ons­pakt do­mi­niert auch in dem Stra­te­gie­pa­pier ei­ne Sicht auf Mi­gra­ti­on, die fast nur Vor­tei­le be­schreibt. Dass bei Mas­sen­mi­gra­ti­on aus un­ter­ent­wi­ckel­ten Län­dern in hoch­ent­wi­ckel­te Län­der auch Span­nun­gen, Kon­flik­te und Kos­ten ent­ste­hen, wird ab­ge­tan, dies be­ru­he nur auf „Fehl­wahr­neh­mun­gen“. Gleich in der Ein­lei­tung heißt es: „Mi­gra­ti­on ist Teil der mensch­li­chen Ge­schich­te seit tau­sen­den Jah­ren, mit er­wie­se­nen po­si­ti­ven Ef­fek­ten.“ Das klingt un­dif­fe­ren­ziert, wenn man sich an die Epo­che der Völ­ker­wan­de­rung in der Spät­an­ti­ke er­in­nert, die zum Zu­sam­men­bruch des Rö­mi­schen Reichs bei­trug, wie der Alt­his­to­ri­ker Alex­an­der De­man­dt her­vor­hob. Der Bon­ner Po­li­tik­wis­sen­schaft­ler und Zeit­ge­schicht­ler Hans-Pe­ter Schwarz nann­te sein Buch über die Mi­gra­ti­ons­kri­se von 2015 ex­pli­zit „Die neue Völ­ker­wan­de­rung“.

Ganz an­ders der Te­nor des Stra­te­gie­pa­piers. Die Au­to­ren des Pa­piers wer­ben für Mi­gra­ti­on als „Win-Win-Si­tua­ti­on“. Wäh­rend Afri­kas Be­völ­ke­rung sehr stark wach­se, ha­be Eu­ro­pa mit sei­nen al­tern­den und schrump­fen­den Ge­sell­schaf­ten ei­nen zu­neh­men­den Be­darf an Ar­beits­kräf­ten. Auch Ar­min La­schet, der CDU-Mi­nis­ter­prä­si­dent von Nord­rhein-West­fa­len, der ein Vor­wort für die Bro­schü­re ge­schrie­ben hat, be­zeich­net es als „Tat­sa­che, dass wir Ein­wan­de­rung brau­chen“. Er fügt hin­zu: „Un­ter den afri­ka­ni­schen Im­mi­gran­ten sind vie­le, die Fä­hig­kei­ten ha­ben, die wir un­be­dingt brau­chen.“

Ob Afri­ka wirk­lich das gro­ße Re­ser­voir an Fach­kräf­ten be­sitzt, die der deut­sche Ar­beits­markt be­nö­tigt, hat der Öko­nom An­dre­as Back­haus in ei­ner Stu­die für das Me­dam Pro­jekt (Mer­ca­tor Dia­lo­gue on Asyl­um and Mi­gra­ti­on) un­ter­sucht, die das Kie­ler In­sti­tut für Welt­wirt­schaft vor kur­zem her­aus­ge­bracht hat. Ein gro­ßes Pro­blem ist der Man­gel an ver­läss­li­chen Da­ten. Zwar hat die Al­pha­be­ti­sie­rung in Afri­ka in der jun­gen Ge­ne­ra­ti­on gro­ße Fort­schrit­te ge­macht, so dass nun die gro­ße Mehr­heit le­sen und schrei­ben kann, doch Aus­maß und Qua­li­tät der (Aus-)Bil­dung sind nur schwer ver­gleich­bar mit eu­ro­päi­schen Stan­dards. Back­haus nutzt ei­ne gro­ße Be­fra­gung der Welt­bank na­mens STEP, die auch zwei afri­ka­ni­sche Län­der, näm­lich Gha­na und Ke­nia, um­fasst. Da­zu muss man sa­gen, dass die­se bei­den Län­der in der obe­ren Hälf­te des Wohl­stands- und Ent­wick­lungs­ran­kings in Afri­ka lie­gen. Au­ßer­dem wur­den in der Um­fra­ge nur Stadt­be­woh­ner, nicht die länd­li­che Be­völ­ke­rung be­fragt, de­ren Bil­dungs­ni­veau mut­maß­lich ge­rin­ger ist.

Selbst bei die­ser Po­si­tiv­aus­wahl sind die Er­geb­nis­se je­doch er­nüch­ternd. Ver­gleicht man die Al­pha­be­ti­sie­rungs- und Qua­li­fi­zie­rungs­ni­veaus, lie­gen gro­ße Tei­le der Be­frag­ten in Gha­na und Ke­nia auf den un­ters­ten Stu­fen. Nur ein klei­ner Teil er­reicht Ni­veaus, die ver­gleich­bar sind mit dem nied­rigs­ten Seg­ment der Ar­beit­neh­mer in Deutsch­land, Frank­reich oder Groß­bri­tan­ni­en. Die eu­ro­päi­schen Län­der müss­ten al­so afri­ka­ni­sche Ar­beits­kräf­te vom al­le­r­obers­ten En­de der Bil­dungs­ska­la re­kru­tie­ren, um eu­ro­päi­schen An­for­de­run­gen zu ent­spre­chen, schreibt Back­haus. Das wür­de je­doch ei­nen „Brain­d­rain“ aus Afri­ka ris­kie­ren, der die dor­ti­gen Ent­wick­lungs­mög­lich­kei­ten be­schä­digt. Tat­säch­lich muss man fra­gen, mit wel­chem Recht die Eu­ro­pä­er er­war­ten, die Eli­te der afri­ka­ni­schen Qua­li­fi­zier­ten ab­zu­wer­ben, die in ih­ren ei­ge­nen Län­dern beim Auf­bau der Wirt­schaft und Staa­ten hel­fen könn­ten.

Sol­che Fra­gen streift das GPI-Stra­te­gie­pa­pier „Jobs and Mi­gra­ti­on“ nicht ein­mal, dort fin­det man ei­nen be­müht op­ti­mis­ti­schen Ton. Die enor­me Be­völ­ke­rungs­zu­nah­me in Afri­ka um mehr als ei­ne Mil­li­ar­de in den nächs­ten drei­ßig Jah­ren und der „Youth Bul­ge“ (Ju­gend­über­schuss) wer­den als Chan­ce für ei­ne „de­mo­gra­phi­sche Di­vi­den­de“ be­schrie­ben. Das könn­te aber nur ge­lin­gen, wenn die Ge­bur­ten­ra­ten nach­hal­tig sin­ken. Bis­lang tun sie das nur quä­lend lang­sam.

Noch im­mer be­kom­men afri­ka­ni­sche Frau­en im Durch­schnitt 4,4 Kin­der – et­wa dop­pelt so vie­le wie der Welt­durch­schnitt, wie zwei For­scher des Af­ri­can In­sti­tu­te for De­ve­lop­ment Po­li­cy schrei­ben. Für die auf die Ar­beits­märk­te drän­gen­de Ju­gend müss­ten et­wa 18 Mil­lio­nen zu­sätz­li­che Stel­len – je­des Jahr – ge­schaf­fen wer­den. In der Wirk­lich­keit ent­ste­hen nur 3 Mil­lio­nen Ar­beits­plät­ze. Der Groß­teil der Ju­gend ist un- oder un­ter­be­schäf­tigt, sie schla­gen sich mit Hilfs­jobs durch. Kein Wun­der, dass laut Um­fra­gen vie­le ans Aus­wan­dern den­ken.

Die bis­he­ri­ge afri­ka­ni­sche Mi­gra­ti­on blieb größ­ten­teils in­ner­halb des Kon­ti­nents. Nach Eu­ro­pa sind laut UN-Zah­len bis­lang et­was mehr als 10 Mil­lio­nen Ein­wan­de­rer aus Afri­ka ge­kom­men, knapp die Hälf­te da­von aus Sub­sa­ha­ra-Afri­ka. In der GPI-Bro­schü­re ver­wei­sen zwei For­sche­rin­nen der Mo Ibra­him Stif­tung dar­auf, dass es in jüngs­ter Zeit gar kei­nen „kri­ti­schen An­stieg“ der glo­ba­len Wan­de­rungs­be­we­gun­gen ge­be. Der An­teil der glo­ba­len Mi­gran­ten re­la­tiv zur Welt­be­völ­ke­rung lag 1990 bei 2,9 Pro­zent, 2017 bei 3,4 Pro­zent. Mi­gran­ten aus Län­dern Afri­kas stell­ten nur ein Sieb­tel der glo­ba­len Mi­gra­ti­on dar. Al­ler­dings ist das Po­ten­ti­al für ei­ne künf­ti­ge Mi­gra­ti­on gi­gan­tisch. Was fehlt, sind be­ruf­li­che Qua­li­fi­ka­tio­nen. Die Idee, dass afri­ka­ni­sche Zu­wan­de­rer in Eu­ro­pa die Fach­kräf­te­lü­cken fül­len könn­ten, klingt dann doch ge­fähr­lich na­iv.

GPI Po­li­cy Pa­per: Jobs and Mi­gra­ti­on.

An Af­ri­can Per­spec­tive, März 2020

An­dre­as Back­haus: Skills in Af­ri­can La­bor

Mar­kets and Im­pli­ca­ti­ons for Mi­gra­ti­on to Eu­ro­pe,

Kiel Working Pa­per, April 2020