Beitrag vom 16.04.2020
FAZ
Wie hilft man den ärmsten Staaten?
Die Industrieländer verhandeln über mögliche Schuldenerlasse und Stundungen im großen Stil.
Von Winand von Petersdorff, Washington, Manfred Schäfers, Berlin
Entwicklungs- und Schwellenländer sind auf die Hilfen der Weltgemeinschaft angewiesen, um ihre Bevölkerungen vor existentiellen Bedrohungen zu bewahren und ihre Volkswirtschaften zu stabilisieren. Diese Einsicht setzt sich zunehmend in reichen Ländern durch. Bundeskanzlerin Angela Merkel gehört zu den Unterzeichnern eines in der „Financial Times“ veröffentlichten offenen Briefes, dem zufolge ein globaler Sieg über die Coronavirus-Pandemie nur möglich ist, wenn Afrika mit Zuschüssen und Schuldendienst-Stundungen geholfen wird.
Arme Länder leiden unter einem dramatischen Kapitalabfluss im Volumen von 100 Milliarden Dollar seit Beginn der Krise. Der für viele Länder wichtige Tourismus ist zum Erliegen gekommen, der Absturz der Rohstoffpreise schadet vielen Ländern. Zudem gehen die für viele Familien in den Entwicklungsländern bedeutenden Heimatüberweisungen der Auswanderer deutlich zurück. Dazu trifft die Pandemie auf fragile Gesundheitssysteme. Tatsächlich werden Hilfsgelder inzwischen in großer Geschwindigkeit lockergemacht.
Die Weltbank stellt in den kommenden 15 Monaten 160 Milliarden Dollar für Hilfsprojekte zur Stützung von Gesundheits- und Sozialsystemen bereit. Der IWF hat den 25 ärmsten Ländern die an ihn zu leistenden Schuldendienste bis zum Ende des Jahres erlassen. Für diese Zahlungen springen reiche Länder ein, die einen entsprechenden Fonds füllen. Zu den großen Geberländern gehören Kuweit und Großbritannien, aber auch Deutschland steht offenbar bereit. Der IWF arbeitet zudem in großem Tempo Kreditanträge von mehr als 90 Ländern ab.
In einem weiteren Schritt haben sich die sieben größten Industrienationen (G 7) unter Moderation des amerikanischen Finanzministers Steven Mnuchin im Prinzip auf ein Schuldenmoratorium für arme Länder verständigt. Die G-20-Länder haben noch am Mittwoch diesem Moratorium zugestimmt. Das heißt, China und andere wichtige Gläubiger sind ebenfalls im Boot. Die Stundung betrifft bilaterale Kredite, die die 76 ärmsten Staaten, vor allem in Afrika, bei den reicheren Ländern haben.
Ohne die Stundung hätten die Länder bis Jahresende 18 Milliarden Dollar nur für Zinsen zahlen müssen, rechnet der deutsche Entwicklungsminister Gerd Müller (CSU) vor. IWF und Weltbank haben die Entscheidung in einer gemeinsamen Erklärung gelobt. Sie würden alles tun, um die Schuldeninitiative, die einen Beitrag zur Rettung von Millionen Menschen leiste, zu unterstützen. Minister Müller fürchtet allerdings, dass das Moratorium allein nicht ausreichen wird. „Die ärmsten Länder brauchen jetzt jede Unterstützung, um sich der Pandemie entgegenzustemmen“, sagte der CSU-Politiker der F.A.Z.
Nur ein Sieg in Afrika werde die Pandemie überall beenden. „Die armen Länder haben kaum Reserven oder Möglichkeiten, selbst schnell an Gelder zur Stabilisierung zu kommen“, betonte der deutsche Minister. Zu der Gesundheitskrise kämen Liquiditätsprobleme. In den vergangenen Jahren habe sich der Gläubigerkreis der armen Länder stark verändert, was die Einigung auf einen etwaigen Schuldenschnitt erschwere. Zu klassischen Geberländern, die im Pariser Club vertreten sind, gesellen sich China, arabische Länder und Indien, dazu kommen zunehmend private Investoren.
Nach Ansicht von Müller wird das Aussetzen des Schuldendienstes kaum ausreichen, auch wenn man damit wertvolle Zeit gewinnen kann. Zu viele Entwicklungsländer seien schon mit Verschuldungsproblemen in die Krise gegangen. „Ich befürchte, dass drei Viertel dieser Länder mehr Hilfe brauchen. Deswegen rechne ich damit, dass wir in einem zweiten Schritt an Schuldenerlassen für die ärmsten 47 Länder, die sogenannten „Least Developed Countries“, nicht vorbeikommen“, hob er hervor. Voraussetzungen für Schuldenerleichterungen sind nach seinen Worten, dass alle großen Gläubiger mitmachen, allen voran China. Zudem seien eine faire Lastenteilung und Transparenz gefordert. „Leichtsinnige oder gar korrupte Verschuldung darf nicht belohnt werden.“ Die Entwicklungsländer müssten sich verpflichten, eingesparte Zinsen in die Gesundheitssysteme und die soziale Sicherung zu investieren.
Das alles werde aber nicht ausreichen, um die Entwicklungsländer im Kampf gegen Corona zu stabilisieren, betonte Müller. „Wir müssen gleichzeitig daran arbeiten, dass in diesen Ländern wieder investiert wird und wir den Handel mit ihnen auf eine faire Grundlage stellen.“