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Beitrag vom 24.10.2019

FAZ

Millionen Zimbabwern droht die Hungersnot
Sozialistische Misswirtschaft, Korruption – und jetzt auch noch eine schwere Dürre / Regierung beklagt ausländische Sanktionen

tht./ppl. KAPSTADT/LONDON, 23. Oktober. Jetzt wird auch noch das Wasser knapp. Gerade einmal zwei Stunden am Tag haben die meisten Stadtteile in Zimbabwes Hauptstadt Harare derzeit noch fließendes Wasser. In einigen Gegenden der Zwei-Millionen-Stadt kommt gar nichts mehr aus dem Hahn. Vor Bohrlöchern versammeln sich die Menschen mit Plastikkanistern, manche schon um vier Uhr morgens. Wegen einer Dürre sinkt seit Monaten der Wasserspiegel. Die jahrzehntelange Misswirtschaft hat zudem dazu geführt, dass die Infrastruktur weitgehend zusammengebrochen ist. Es gibt nicht einmal mehr die für die Wasseraufbereitung erforderlichen Chemikalien.

Schon warnen Mitarbeiter der Vereinten Nationen vor einer Hungersnot in jenem Land, das einst als Brotkorb des südlichen Afrikas galt und von Tansanias einstigem Präsidenten Julius Nyerere als „Juwel“ bezeichnet wurde, ehe es von dem Sozialisten Robert Mugabe ruiniert wurde. Fast vierzig Jahre herrschte „Comrade Bob“ über das ehemalige Rhodesien, als Diktator enteignete er die weißen Farmer und stürzte das Land in Hungersnöte. Im November 2017 wurde Mugabe entmachtet, vor rund einem Monat starb er im Alter von 95 Jahren. Nun herrscht sein ehemaliger Kampfgefährte Emmerson Mnangagwa, der als Geheimdienstminister für Tausende Morde in Mugabes Zeit verantwortlich war. Die wirtschaftlichen Probleme sind geblieben, teils hat sich die Lage noch verschärft. Rund 5,5 Millionen Menschen werden nach Schätzungen von Hilfsorganisationen zum Jahreswechsel nicht mehr genug Essen haben. Schon jetzt seien von dem Mangel rund 3,5 Millionen Menschen betroffen – fast jeder vierte Einwohner des Landes. Die Regierung selbst gibt an, dass mehr als 900000 Tonnen Getreide fehlen und jeder Dritte bald nicht mehr genügend Nahrung haben wird. Rund eine Million Tonnen Mais, schätzt das Welternährungsprogramm, benötigt Zimbabwe, um das Schlimmste zu überstehen. 700000 Tonnen soll Tansania mit der Eisenbahn liefern.

Wie der Pleitestaat aus dem Süden den Import bezahlen will, ist unklar. Im Frühjahr schon bat Harare die Welt um 613 Millionen Dollar Hilfe. „Die Regierung hat nicht genügend ausländische Devisen, um für Nahrungsmittelimporte zu bezahlen“, erklärt der südafrikanische Ökonom und Zimbabwe-Kenner Jee-A Van der Linde von NKC African Economics. Um die großen Defizite im Staatshaushalt zu stopfen, hat die Regierung die Notenbank kräftig Geld drucken lassen, dadurch ist aber die Inflation wieder außer Kontrolle geraten. Kaum ein Tag vergeht derzeit ohne neue Schreckensmeldungen. So berichtete das Finanzministerium in Harare, die Wirtschaftsleistung werde in diesem Jahr voraussichtlich um 6 Prozent sinken. Dabei war das Land schon vorher bitterarm. Nach Schätzungen des Internationalen Währungsfonds (IWF) beträgt das durchschnittliche Monatseinkommen zwischen Victoriafällen im Nordwesten und Gonarezhou-Nationalpark im Südosten weniger als hundert Dollar im Monat.

Spitzenwerte erreicht Zimbabwe derzeit nur bei der Inflation, die wohl schon mehr als 150 Prozent in diesem Jahr beträgt, wie NKC African Economics schätzt; nach Berechnungen des amerikanischen Ökonomen Steve Hanke sind es sogar mehr als 280 Prozent. Die Strompreise wurden gerade um 320 Prozent angehoben, und ständig steigen auch die Benzinpreise, die mit zeitweise umgerechnet 3,30 Dollar je Liter zu den höchsten der Welt zählten; für die meisten Zimbabwer ist Benzin kaum noch bezahlbar. Wöchentlich steigen auch die Preise für Zucker, Speiseöl und Mais. Bestimmte Arzneimittel sind seit Monaten nicht mehr zu finden; HIV-Infizierte können ihre Medikamente nicht mehr nehmen. Selbst für Brot müssen die Menschen anstehen. Schon lässt die rasende Inflation böse Erinnerungen an jene Hyperinflation wach werden, die vor gut zehn Jahren zum Zusammenbruch der Währung führte. Unter den derzeitigen Bedingungen könnten Staatsbeschäftigte nicht mehr ihrer Arbeit nachgehen, erklärte vergangene Woche der Apex-Rat, der vierzehn Gewerkschaften des öffentlichen Diensts vertritt. Mit Streik habe das nichts zu tun, versicherte der stellvertretende Vorsitzende Thomas Muzondo, es lohne sich schlicht nicht mehr zu arbeiten. Derzeit bekommen die Angestellten ihre Gehälter in der Landeswährung Zimbabwe-Dollar ausgezahlt, doch damit können sie kaum etwas anfangen.

Nicht für alle Probleme kann die Regierung verantwortlich gemacht werden. Im März verwüstete der Zyklon Idai die gesamte Region. Im Osten Zimbabwes soll er 340 Menschenleben gefordert, große Flächen Ackerland und unzählige Straßen und Brücken zerstört haben. Im August erreichte dann die Dürre ihren Höhepunkt. Da die Flüsse austrocknen, sind auch Teile der Stromversorgung durch Wasserkraftwerke lahmgelegt. Korruption und Misswirtschaft verschärfen die Lage – insbesondere die Kommandowirtschaft im Agrarsektor. Über die Jahre sind zudem Hunderte Millionen Dollar im Diamantengeschäft von der Clique um Mugabe abgezweigt worden, gegenwärtig bereichern sich Politiker am Ölgeschäft.

Ende September kritisierte der IWF die Regierung Mnangagwa wegen der Auszahlung einer großen Summe an die Ölfirma Sakunda Holdings, die der Regierungspartei Zanu-PF nahesteht. Nach Presseberichten ist Mnangagwa selbst finanziell in Ölprojekte von Zuva Petroleum involviert. Sakunda Holdings bekam für angebliche Leistungen für ein Agrarprogramm in diesem Jahr 366 Millionen Dollar in staatlichen Anleihen ausgezahlt; das hat die Währung weiter geschwächt. Der IWF beobachtet die Lage in Zimbabwe, was eine Vorstufe für ein Hilfsprogramm sein könnte.

Präsident Mnangagwa und seine Spießgesellen haben für die Misere indes schon einen Verantwortlichen ausgemacht: das kapitalistische Ausland. Die Regierung zielt auf Sanktionen der Europäischen Union und Amerikas. Es bestehen tatsächlich Sanktionen der EU, die beispielsweise Auslandsguthaben von Regierungsmitgliedern eingefroren hat und sie mit Einreiseverboten belegt; außerdem gibt es ein Waffenembargo. Wegen der Unterdrückung der Opposition haben im März auch die Vereinigten Staaten die schon gegen Mugabe eingeführten Sanktionen verlängert – unter anderem besteht ein Einreiseverbot gegen Präsident Mnangagwa. Für diesen Freitag hat die Regierung zu einem Marsch gegen die Sanktionen aufgerufen.