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Beitrag vom 02.09.2019

NZZ

Demografie

Wenn jedes Jahr 87 Millionen Kinder in die Armut geboren werden

Kinder sind in zunehmendem Masse von extremer Armut betroffen. Das gilt insbesondere für Afrika, wo bald über die Hälfte aller extrem Armen minderjährig sein wird. Für die Zukunft des Kontinents verheisst das wenig Gutes.

Fabian Urech

Im Jahr 2030 werden weltweit erstmals mehr Kinder und Jugendliche in extremer Armut leben als Erwachsene. Über 90 Prozent von ihnen stammen aus Subsahara-Afrika. Zu diesem Schluss kommt eine neue Studie das Overseas Development Institute (ODI).

Der britische Think-Tank kommt in seinen Berechnungen zum Schluss, dass in elf Jahren insgesamt 330 Millionen Minderjährige unter der von der Weltbank definierten Armutsgrenze von 1,90 Dollar pro Tag leben werden. 305 Millionen von ihnen werden junge Afrikanerinnen und Afrikaner sein. Laut den Prognosen der Studie werden in den subsaharischen Ländern bis 2030 zudem jedes Jahr 87 Millionen Kinder in die Armut geboren.

Wenig Hoffnung auf baldige Besserung

Diese erschreckenden Zahlen bestätigen, dass extreme Armut zunehmend zu einem rein afrikanischen Phänomen wird. Bereits heute leben 70 Prozent der Allerärmsten in Afrika. In den kommenden Jahren dürfte dieser Anteil weiter zunehmen. Zugleich ist die Studie ein weiterer Beleg dafür, dass die Afrika-Euphorie, die noch vor wenigen Jahren etwa unter Ökonomen en vogue war, in den meisten Fällen mehr mit Wunschdenken als mit realen Gegebenheiten zu tun hatte.

Nimmt man die Zahlen der ODI-Studie als Indikator für die künftige Entwicklung des Kontinents, spricht zudem wenig dafür, dass sich daran so bald etwas ändern wird.

Dass es gerade die jüngsten Afrikanerinnen und Afrikaner sind, die in zunehmendem Mass von extremer Armut betroffen sind, verheisst nichts Gutes für die Zukunft. Es ist hinlänglich bekannt, dass armutsbetroffene Kinder ein Leben lang unter diesem «Startnachteil» leiden. Studien haben beispielsweise gezeigt, dass Kinder, die in extremer Armut aufwachsen, weniger oft und weniger lang in die Schule gehen. Einen Zusammenhang existiert auch zwischen Kinderarmut und körperlicher Unterentwicklung, die sich im Extremfall auch auf die kognitive Entwicklung auswirkt.

Rasches Bevölkerungswachstum als Herausforderung

Blickt man auf die wirtschaftlichen Wachstumsraten vieler Länder Subsahara-Afrikas, scheint die sich ausbreitende Kinderarmut auf den ersten Blick überraschend. Unter den zehn am schnellsten wachsenden Volkswirtschaften befinden sich 2019 – wie bereits in den Vorjahren – sechs Länder aus dieser Region. Rund zwanzig Länder aus dem subsaharischen Afrika weisen laut dem Internationalen Währungsfonds ein Wirtschaftswachstum von über fünf Prozent aus. Im regionalen Schnitt beträgt dieses immerhin noch 3,3 Prozent.

Anders als etwa in vielen asiatischen Ländern gelingt es in Afrika aber nur unzureichend, das Wachstum der Gesamtwirtschaft in eine Verringerung der Armut umzumünzen. Während in Entwicklungsländern ausserhalb des Kontinents laut einer neuen Weltbank-Studie ein Wirtschaftswachstum von einem Prozent zu einem Rückgang der extremen Armut um zwei Prozent führt, liegt diese «Konversionsrate» in Subsahara-Afrika lediglich bei 0,7 Prozent.

Das hängt unter anderem damit zusammen, dass die Bevölkerung in Afrika so rasch wächst wie in keiner anderen Weltregion. Laut der Uno soll sich die Gesamtbevölkerung aller Länder Subsahara-Afrikas in den nächsten dreissig Jahren verdoppelt. Im Jahr 2050 wird es demnach eine Milliarde Afrikanerinnen und Afrikaner mehr geben als heute. Das heisst nun nicht, dass damit die Gesamtzahl der Armen in der Region automatisch auch substanziell ansteigen wird. Doch es macht die Aufgabe, die extreme Armut auf dem Kontinent zu eliminieren, deutlich schwieriger.