Beitrag vom 12.06.2019
FAZ Mali
Vom Kampf um Ressourcen zum Kampf des Glaubens
In Mali nutzen Dschihadisten traditionelle Konflikte zwischen Nomaden und Sesshaften aus/Von
Thilo Thielke
KAPSTADT, 11. Juni. Das Massaker war gut vorbereitet. Zunächst legten die Angreifer Feuer, dann schossen sie auf die Flüchtenden. Beim Angriff auf das Dogon-Dorf Sobane Da sind in Zentral-Mali am Sonntag zahlreiche Menschen getötet worden. Erste Berichte sprachen von beinahe hundert Toten, am Dienstag wurde die Opferzahl von den Behörden in der Regionalhauptstadt Mopti mit mindestens 35 angegeben. Die malische Regierung sprach von „einem mörderischen Angriff auf ein friedliches Dorf“ und machte „bewaffnete Männer, vermutlich Terroristen“, für den Überfall verantwortlich. Am Montagabend verurteilte Präsident Ibrahim Boubacar Keïta das Blutbad auf Twitter und rief die Bürger seines Landes auf, Verantwortung und Bürgersinn zu zeigen und die Gewaltspirale zu beenden.
Ob das gelingt, ist fraglich: Im flächenmäßig zweitgrößten Staat der Sahelzone eskaliert die Gewalt. Erst am Freitag hatte die Mission der Vereinten Nationen mitgeteilt, seit Anfang des Jahres seien allein in Zentral-Mali mindestens 250 Zivilisten durch Gewalt getötet worden. „Die Schwelle des Unerträglichen ist erreicht: Es ist Zeit für einen landesweiten Aufschrei“, so der Leiter der UN-Friedensmission Minusma, Mahamat Saleh Annadif.
„In dieser Region verschärft sich insbesondere der Konflikt zwischen den Völkern der Pheul und der Dogon“, sagt Thomas Schiller, der Vertreter der Konrad-Adenauer-Stiftung in der Hauptstadt Bamako; „angeheizt wird der Konflikt durch den wachsenden Einfluss von Islamisten, die der Terrororganisation Al Qaida nahestehen.“
Es ist möglich, dass es sich bei dem Massaker vom Wochenende um einen Racheakt handelt. Das Dorf Sobane Da wird von der Dogon-Miliz Dan-Na-Ambassagou kontrolliert. Viele ihrer Kämpfer stammen aus der Gegend. Erst im März soll diese Miliz ein Pheul-Dorf überfallen und dabei mindestens 157 Menschen getötet haben. Milizenchef Youssouf Toloba bestreitet das – allerdings drohten damals etliche Pheul-Führer mit Vergeltungsaktionen. In einer Stellungnahme zu dem Überfall gibt sich die Dan-Na-Ambassagou kämpferisch. Sie betrachte den „barbarischen und unedlen Angriff“ als „Kriegserklärung“ und fordere den Staat sowie die internationale Gemeinschaft auf, alle Kräfte zu mobilisieren, um die Sicherheit der Dogon zu garantieren. Nie werde man zulassen, dass das Dogonland zur Kolonie werde und die Dogon zu Sklaven.
Schon vor geraumer Zeit ist der Tourismus in der Region zum Erliegen gekommen. Lange Zeit war er die Haupteinnahmequelle der Dogon, eines Volkes, das in bizarren, in den Fels geschlagenen Dörfern lebt. Seit 1989 gehören die „Felsen von Bandiagara“ zum Weltkulturerbe der Unesco. Das Dogon-Volk soll rund 350000 Menschen umfassen. Lange Zeit widersetzten sie sich allen Missionierungsversuchen. Allerdings schätzt Thomas Schiller, dass „die große Mehrheit der Dogon mittlerweile muslimisch ist“. Andere hängen dem katholischen Glauben an.
Anders als die Dogon leben die Pheul vorwiegend von der Viehzucht. „Die gegenwärtigen Auseinandersetzungen sind auch ein Kampf um die knapper werdenden Ressourcen“, sagt Schiller. Islamisten würden nun allerdings in zunehmendem Maße versuchen, diese traditionellen Konflikte auszunutzen. Seit langem agieren muslimische Terroristen im Norden des Landes, das einmal als afrikanische Musterdemokratie galt. Nach der französischen Intervention 2013 zogen sich viele Dschihadisten in die Wüste zurück und terrorisieren seitdem die Bevölkerung mit Überfällen und Entführungen. Mittlerweile rückt der Krieg immer weiter nach Süden.