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Beitrag vom 29.05.2019

FAZ

Sudan

Die gestohlene Revolution

Seit Baschirs Sturz wird in Sudan um die Zukunft des Landes gerungen. Ein Streik soll jetzt die Militärs unter Druck setzen – aber die Opposition ist uneins. Von Thilo Thielke

KHARTUM, 28. Mai
Es ist acht Uhr morgens, und langsam beginnt sich der Demonstrationsplatz zu füllen. Vor dem Al-Moallem-Krankenhaus, ganz in der Nähe, hat sich ein Protestzug gebildet und marschiert in Richtung Armeehauptquartier. Es sind junge Ärzte, Pfleger, Pharmazeuten. Sie halten Schilder in die Höhe und rufen: „Wir wollen eine zivile Regierung.“ Im Hospital ist nur eine Notbesetzung geblieben. Vor einigen Wochen noch wurden hier die Opfer der Armeegewalt versorgt; rund 90 Menschen sollen durch Sicherheitskräfte ihr Leben verloren haben, seit die Proteste gegen das Regime im Dezember begannen. Doch heute ist es ruhig.

Außerhalb der Demonstrationszone dösen ein paar Milizionäre in ihren Pick-ups vor sich hin. Die Läufe der auf die Ladeflächen montierten Maschinengewehre ragen in die Höhe. Nicht weit davon entfernt kontrollieren junge Revolutionäre jeden, der sich nähert, nach Waffen. Seit dem Morgen herrscht Generalstreik in Khartum. Eine gespenstische Stille liegt über der Stadt. Nur vor dem belagerten Stützpunkt des Militärs, wo seit Wochen protestiert wird, herrscht wieder einmal Trubel. „Wir werden nicht nachlassen“, sagt der 28 Jahre alte Pharmazeut Aimmer Kamel, „wir dürfen uns unsere Revolution nicht vom Militär stehlen lassen – im Moment befinden wir uns in einer entscheidenden Phase.“

Vor einigen Tagen wurden die Gespräche zwischen der Militärjunta und den Vertretern der Regimegegner wieder einmal unterbrochen. Nun wagt die oppositionelle „Allianz für Freiheit und Wandel“ die Kraftprobe. Zwei Tage lang sollen alle „öffentlichen und privaten Einrichtungen und Unternehmen“ bestreikt werden.
Eigentlich hatten sich der Militärrat und die Demonstranten schon auf eine gemischte Übergangsregierung und ein Parlament geeinigt, das zu zwei Dritteln von der Opposition besetzt werden sollte. In drei Jahren sollte dann gewählt werden. Doch dann scheiterten die Gespräche an der Frage, wer den Übergangsrat leiten soll – ein Militär oder ein Zivilist.

„Wir haben Angst, dass die Gewalt wieder eskalieren wird“, sagt nun Sabah Elnour Ebeidalla von der Protestbewegung. Schon am 21. Dezember hatte sich die 32 Jahre alte Übersetzerin den Demonstranten angeschlossen. Kurz zuvor waren in der Stadt Atbara Sudanesen auf die Straße gegangen, um gegen die Erhöhung der Brotpreise zu demonstrieren. Schnell weitete sich der Protest auf das ganze Land aus, und schnell ging es um mehr als die teuren Lebensmittel in dem verarmten Staat im Nordosten Afrikas. Seit 1989 hatte der Islamist Omar al Baschir das Land mit eiserner Faust regiert. Für die Greuel, bei denen in Darfur zwischen 300000 und 600000 Menschen ums Leben gekommen sein sollen, wird er vom Internationalen Strafgerichtshof per Haftbefehl gesucht. „Das Volk will den Sturz des Regimes“ wurde zur Parole der Oppositionellen und: „Freiheit, Frieden, Gerechtigkeit.“

Sabah Elnour demonstrierte auch am 6. April vor dem Armeehauptquartier, als plötzlich Uniformierte in die Menge schossen. In Panik suchten die Baschir-Gegner Deckung – und fanden sie schließlich im Gebäude der Marine, deren Angehörige den Demonstranten im letzten Moment die Tür öffneten. Nach offiziellen Angaben kamen an jenem Tag sieben Menschen ums Leben, nach denen von Regimegegnern zwanzig. Als Baschir fünf Tage später schließlich vom Militär entmachtet wurde, keimte deshalb Hoffnung auf.

Doch die Machtverhältnisse in Sudan sind kompliziert. Neben den regulären Streitkräften hatte Baschir eine mittlerweile 30000 Mann starke Miliz geschaffen, die den Namen Rapid Support Forces trägt und deren Kern aus ehemaligen Mitgliedern der Dschandschawid-Milizen besteht – jenen Einheiten, die einst zur Eindämmung von Aufständen gebildet wurden und die vorwiegend bei der Rebellion in Darfur zum Einsatz kamen. Ihr Anführer Mohammed Hamdan Daglo ist stellvertretender Leiter des Militärrats, scheint aber der eigentlich starke Mann der Junta zu sein. Längst hat er seine Truppen aus der Provinz in die Hauptstadt verlegt. In den letzten Tagen vor Baschirs Sturz waren es seine Einheiten, die am brutalsten gegen die Demonstranten vorgingen. Teile der Armee schlossen sich in jenen Tagen der Opposition an und stellten sich schützend zwischen Daglos Männer und die Demonstranten.

„Daglo ist gefährlich“, sagt Sabah Elnour, „ungebildet und verroht.“ Sie glaubt nicht, dass der ehemalige Dschandschawid-Führer eine zivile Regierung akzeptieren wird. „Daglo will selbst Präsident werden; er versucht sich im Moment in die richtige Position zu bringen“, ist sie sicher und befürchtet einen blutigen Konflikt zwischen der Armee und Daglos Paramilitärs. Einem Bericht der in Frankreich erscheinenden Online-Zeitung „Sudan Tribune“ zufolge gibt es bereits erste Anzeichen, die auf einen Bruch zwischen der Armee und Daglos Rapid Support Forces hindeuten. So habe Daglo Intriganten beschuldigt, einen Keil zwischen die verschiedenen bewaffneten Gruppen zu treiben. Zudem würden auf den Straßen Khartums in letzter Zeit immer mehr Soldaten der Armee aufmarschieren.

Doch nicht nur in der Militärjunta scheint Uneinigkeit zu herrschen, auch innerhalb der Opposition zeigen sich Risse. So hatte am Sonntag die Umma-Partei erklären lassen, sie unterstütze den Generalstreik nicht. Dieser sei „eine Waffe, die man nur benutzen sollte, wenn alle zustimmen“. Die National Umma Party ist die größte Oppositionspartei in Sudan. Angeführt wird sie von dem 83 Jahre alten Sadiq al Mahdi, einem Urenkel jenes „von Gott Geleiteten“, der 1881 einen Aufstand gegen die britische Kolonialmacht anführte. Zweimal war Sadiq al Mahdi Premierminister Sudans. Es war Omar al Baschir, der ihn 1989 aus dem Amt putschte. Bislang hat al Mahdi alle Ambitionen, noch einmal Regierungschef zu werden, von sich gewiesen.
Auf der Straße vor dem Armeehauptquartier herrscht trotz der ungewissen Zukunft Optimismus. „Wir sind so weit gekommen, wir dürfen uns jetzt nur nicht einschüchtern lassen“, sagt die 27 Jahre alte Lehrerin Kousir Fadiallah Kaleah. Auch sie hat die Arbeit niedergelegt – wie Tausende weitere Menschen an diesem Tag. Sie will so lange streiken, bis Sudan eine zivile Regierung hat. „Die letzten Monate haben uns gezeigt, wie stark wir sind – stärker als alle Kanonen der Welt“