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Beitrag vom 12.12.2018

FAZ

Wo sich der Sonnenaufgang nur erahnen lässt

Südafrika bekommt die Folgen des Klimawandels zu spüren – zu dem das Land mit alten Kohlekraftwerken selbst kräftig beiträgt/Von Claudia Bröll

KAPSTADT, 11. Dezember. Löwen, Büffel, Giraffen und spektakuläre Wasserfälle: Mpumalanga präsentiert sich in Tourismuskatalogen als ein Stück Afrika wie aus dem Bilderbuch. Übersetzt bedeutet der Name der südafrikanischen Provinz „dort, wo die Sonne aufgeht“.

Abseits touristischer Sehenswürdigkeiten jedoch können die Bewohner die Sonne oft nur durch den Smog erahnen. Auf der Hochebene befinden sich das Kohlerevier und das Zentrum der Energieproduktion des Landes mit zwölf Kohlekraftwerken und der größten Kohleverflüssigungsanlage der Welt. Es ist einer der Orte mit der schlimmsten Luftverschmutzung auf der Welt, auch ohne große Autobahnen und Millionenmetropolen.

Karl Jensen kennt die Gegend bestens, wenn auch aus der Luft. „Von Natur ist da nicht mehr viel übrig. Man sieht nur Kohlebergwerke, Kohlehalden, Kraftwerke mit rauchenden Schloten und nicht weit entfernt Siedlungen“, sagt der 75 Jahre alte Pilot der F.A.Z. Er ist für die Nichtregierungsorganisation „The Bateleurs“ im Einsatz, nimmt Umweltschützer und Wissenschaftler zu Informationszwecken mit in die Höhe. „Wenn der Wind ungünstig steht, ist dort unten alles verrußt. Und wenn es windstill ist, durchfliegt man eine gelbe stinkende Dunstschicht.“

Vor der Weltklimakonferenz, die in dieser Woche in Polen zu Ende geht, haben Umweltschützer wegen der schlechten Luft in Mpumalanga wieder Alarm geschlagen. Greenpeace bezeichnete die Provinz als einen „Hotspot der Stickstoffdioxid-Verschmutzung“. Basierend auf Satellitenaufnahmen sei nirgendwo auf der Welt sonst die Konzentration des Gases so hoch. Stickstoffdioxid schädigt nicht nur die Lungen, es fördert auch die Ozonbildung und beeinflusst damit das Klima.

Große Mengen an Feinstaub, Kohlendioxid und Schwefeldioxid kommen hinzu. Wissenschaftler schätzen, dass jedes Jahr mehr als 2000 Menschen in der Region an den Folgen von Lungen- und anderen Erkrankungen sterben. Doch nicht nur die Bewohner von Mpumalanga seien betroffen, Schadstoffe zögen auch in das benachbarte Gauteng, das politische und wirtschaftliche Zentrum Südafrikas.

Neu sind die Erkenntnisse nicht: Für das südafrikanische Umweltministerium ist die Gegend schon seit 2007 eine „Priority Area“. Doch dauerte es fünf Jahre, bis das Ministerium einen 230 Seiten dicken Plan für eine bessere Luftqualität vorlegte. „Der Plan ist detailliert und setzt klare Ziele“, sagt Tim Lloyd vom Centre for Environmental Rights in Kapstadt, „in der Praxis aber hat es kaum Fortschritte gegeben.“

Das liegt daran, dass das Ministerium sowohl dem staatlichen Energieversorger Eskom, dem Betreiber der Kraftwerke, als auch dem Petrochemiekonzern Sasol immer wieder Aufschub gewährt, um die Emissionen wie vorgeschrieben zu senken. Dabei sind die Emissionsstandards in Südafrika ohnehin relativ schwach. Greenpeace zufolge dürfen die dortigen Kohlekraftwerke bis zu zehnmal mehr Stickstoffdioxid ausstoßen als in China.

Dass die Kraftwerke sehr umweltschädlich sind, liegt auch am Alter. Der 1923 gegründete Energieversorger hatte sechs Jahrzehnte lang ein Kraftwerk nach dem anderen gebaut. Dann passierte viele Jahre lang nichts, bis eine Versorgungskrise die Regierung zu Investitionen in Milliardenhöhe zwang. 2004 wurde schließlich der Bau von zwei neuen Kohlekraftwerken namens Medupi und Kusile beschlossen. Die beiden sind allerdings noch nicht komplett fertig und werden immer teurer.

Die Ausstattung der Kraftwerke mit nötigen Feinstaub-Filtern, Entschwefelungsanlagen und anderen Vorkehrungen kostetet enorme Summen, sagt der Energiefachmann Chris Yelland. Daher zögere Eskom solche Vorhaben hinaus, mit dem Argument, die alten Kolosse gingen ohnehin später vom Netz. Aktuell stehen die Chancen für Umrüstungen besonders schlecht, denn der Staatskonzern steckt in solchen Finanznöten, dass er regelmäßig den Strom landesweit abschalten muss – wegen ungeplanter Wartungsarbeiten und zu wenig Kohlenachschub.

Zwar teilte das Umweltministerium unlängst mit, es wolle nicht mehr einen Aufschub nach dem anderen gewähren. Außerdem wolle man ein Expertengremium gründen, das sich mit Entschwefelungsanlagen befasst. Den Umweltschützern aber reicht dies nicht. Sie halten das für „Verzögerungstaktik“. Man brauche keine Fachleute, es sei längst klar, was zu tun sei.
Mehrere Umweltgruppen bereiten nun Klagen vor. Notfalls wollen sie bis vor das Verfassungsgericht ziehen. Oppositionspolitiker sprechen von einer „nationalen Katastrophe“. Vertreter von Eskom verweisen auf leere Kassen und den Strompreis, der ohnehin rapide gestiegen ist. Außerdem verschmutzten nicht nur die Kraftwerke die Luft. Auch das Verfeuern von Holz und Kohle in armen Privathaushalten sei eine beträchtliche Belastung.

Ein kleiner Hoffnungsschimmer besteht darin, dass die alten Kraftwerke tatsächlich irgendwann vom Netz gehen, und neue Kraftwerke – Medupi wird von der Weltbank mit einem Kredit mitfinanziert – die Luft weniger verpesten. Auch scheint die lange gestoppte Vergabe von Aufträgen für erneuerbare Energien wieder in Gang zu kommen. Bis 2030 sollen in Südafrika 45 Prozent der installierten Kapazitäten auf die Kohle und 26 Prozent auf Solar- und Windenergie entfallen.

Für Pilot Jensen in seiner Cessna ist das Zukunftsmusik. „Ich brauche keine Messgeräte, um die Luftverschmutzung hier festzustellen. Ich muss nur aus dem Cockpit schauen.“ Er sei froh, nach ein paar Runden wieder davonfliegen zu können. Das können viele Einwohner am „Ort der aufgehenden Sonne“ nicht.