Beitrag vom 13.11.2018
FAZ
Niger
Container für die Deutschen, Lastwagen für die Einheimischen
Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen besucht die Bundeswehrsoldaten in Mali – wie viel diese dort überhaupt ausrichten können, ist unklar/Von Peter Carstens
BAMAKO, 12. November. Die Frage muss erlaubt sein: Warum Mali – wieso sind tief in Afrika inzwischen fast ebenso viele Bundeswehrsoldaten stationiert wie in Afghanistan? Und was kann Deutschland mit 1000 Soldatinnen und Soldaten dort ausrichten in einer komplizierten Mixtur aus einheimischem Staatsversagen, bürgerkriegsähnlichen Stammeskonflikten und ausländischen Terrormilizen? Wenig, muss die Antwort lauten. Aber dann doch eine ganze Menge, wenn es mit größeren und erfahreneren Einflussmächten in der Region, allen voran den Franzosen, zusammenwirkt.
Deutsche Entwicklungshelfer sind seit Jahrzehnten in Bamako tätig gewesen, auch in Mopti und in Timbuktu. Als der „Islamische Staat“ (IS) vor einigen Jahren seine Tentakel in den Norden Malis ausstreckte und sich als Profiteur einer Tuareg-Rebellion festzusetzen begann, geriet die kleine malische Armee in Panik und floh vor den Gotteskriegern. Dem lieblichen Bamako, bis dahin ein Ort postkolonialer Friedfertigkeit, drohte die Invasion. Und damals waren es zuerst französische Expeditionstruppen, die dort in Aktion traten und dem IS Einhalt geboten. Die Europäische Union, an deren Stränden alsbald weitere Flüchtlingsscharen anlanden sollten, sah dabei lange zu. Auch der Bundesregierung wäre es 2012 kaum in den Sinn gekommen, deutsche Fallschirmjäger nach Gao zu schicken.
Deutschland, seit langem in dieser bitterarmen Region als Entwicklungshelfer engagiert, erklärte sich aber immerhin bereit, der demoralisierten malischen Armee durch Ausbildung und logistische Unterstützung neues Selbstvertrauen zu geben. Inzwischen haben in einer erweiterten Trainingsmission der Europäer rund 12000 Armeeangehörige ihre Einsatzbereitschaft verbessert und bekommen ihren Sold. Wichtiger noch war ein Friedensplan, der Tuareg und Zentralregierung an den Verhandlungstisch brachte. Blieb und bleibt das IS-Problem. Nach den schweren IS-Terroranschlägen in Paris verstärkte Frankreich sein Engagement massiv, in Syrien, aber auch in Mali. Fragende Blicke richtete Paris abermals auf Berlin: Wollt ihr uns nicht vielleicht doch helfen? Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen wollte. Sie sah und sieht eine Pflicht zur deutsch-französischen Zusammenarbeit, nicht nur an Feiertagen und beim Schüleraustausch.
Und so war es keineswegs ein Zufall, dass die deutsche Ministerin am Montag ihre französische Kollegin Florence Parly in Mali traf, wo im Camp der Europäer ein Kommandowechsel anstand, der den protokollarischen Hintergrund ihrer Reise bildete – Deutschland übernimmt nun das Kommando der Mission. Deutsche und französische Soldaten sind in Mali inzwischen gemeinsam mit kleineren und größeren Kontingenten aus der halben Welt und ganz Europa engagiert. Von Armenien über Burkina Faso, von Norwegen bis Kanada und Togo sind drei Dutzend Staaten vertreten, sogar Mexiko und Neuseeland tauchen bei der UN-Mission in Mali auf.
Das deutsche Engagement hat in den vergangenen Jahren rund 2,3 Milliarden Euro gekostet, Geld für Entwicklungsprojekte und deutsche Militärpräsenz. Doch die Fortschritte sind recht überschaubar. In Bamako heißt es unter Experten, Fortschritte beim Friedensprozess auszumachen sei äußerst schwierig. Auch die Sicherheitslage gilt als „komplex“. Mit Anerkennung wird vermerkt, dass sich vereinzelt das malische Militär wieder in den Norden wage, wo unterschiedliche Rebellengruppen das Sagen haben. Von der französischen Armee wird berichtet, sie agiere gemeinsam mit dem malischen Militär. Nach einem langen Wahlkampf hat es Premierminister Boubèye Maïga allerdings nicht eilig, den monatelang ausgesetzten Friedensprozess wiederzubeleben. Auch weiß niemand genau, ob die malische Armee inzwischen auf eigenen Beinen stehen kann und welche Kampfkraft eine Truppe hat, die vor einiger Zeit aus Staaten der Sahel-Region gebildet wurde, darunter Mauretanien, Tschad, Burkina Faso und Niger.
Es habe, heißt es, erste gemeinsame Trainings gegeben. Was immer das bedeutet. Klarer sind die Summen, die von den Gebern für diese afrikanische Streitmacht aufgebracht werden sollen: 415 Millionen Euro, vor allem für Fahrzeuge und Waffen. Von der Leyen jedenfalls hatte es sich bei ihrer Reise nach Mali zur Aufgabe gemacht, beim Premierminister auf ein wenig mehr Tempo zu dringen, an eigene Verantwortung zu erinnern und herauszufinden, ob die hochspezialisierte deutsche Aufklärung eigentlich von den militärischen Partnern sinnvoll genutzt werden kann. Denn der Preis, den Deutschland in der Region zahlt, bemisst sich nicht nur in Euro und Tausenden Einsatzstunden der Bundeswehrsoldaten bei extremer Hitze. Nein, auch die Besatzung des Tiger-Hubschraubers, der dort aus noch immer unklaren Gründen im vorigen Jahr abgestützt war, erinnert daran, dass der deutsche und europäische Einsatz einen hohen Preis haben kann und hat.
Man kann darüber streiten, ob Deutschlands Sicherheit auch am Niger-Fluss verteidigt wird. Gewiss ist aber, dass ein Misserfolg oder Abbruch der Mission die Franzosen allein zurücklassen würde. Außerdem bringt es der Einsatz mit sich, dass Deutschland auch dort tief im afrikanischen Kontinent Hilfe zur Bekämpfung von Fluchtursachen leistet. Ein wichtiges Land ist in diesem Zusammenhang das flächenmäßig riesige Niger, wo die Bundeswehr in der Nähe der Hauptstadt das Luftdrehkreuz für die Versorgung der Mali-Mission betreibt und mit dem dortigen Präsidenten gemeinsame Pläne vorantreibt. Der gilt als seinem Wort treu und umsetzungsstark, was über die Regierenden in Mali nicht uneingeschränkt gesagt wird. Von der Leyen besuchte auf ihrer Reise für wenige Stunden den Stützpunkt und übergab den derzeit rund 70 deutschen Soldaten ein soeben fertiggestelltes Terrain mit Containern und festen Einrichtungen, welche vorhergehende Provisorien ablösen. Für die Streitkräfte von Niger brachte sie 53 brandneue, schwere Lastwagen mit. Die Ausbildung der Fahrer und Mechaniker gehört zum Gesamtpaket. Angehörige der deutschen Spezialkräfte beteiligen sich zudem an der landesweiten Ertüchtigung von Elitesoldaten des Landes; sie tun das in einem angestimmten Ausbildungszyklus gemeinsam mit befreundeten Nato- und EU-Ländern. Auf diese Weise soll mittelfristig die Grenze zwischen Mali und Niger sicherer werden, was wiederum auch der Bundeswehr in Mali zugutekäme.