Beitrag vom 07.11.2018
General-Anzeiger, Bonn
Leserbrief zum GA-Artikel “Das Dilemma der Entwicklungshilfe” vom 1.11.2018 (Seite 6)
Die schwierige Vereinbarkeit kultureller Unterschiede in der Entwicklungshilfe
Angesprochen werden im oben genannten, umfangreichen Beitrag einige wichtigen Aspekte, leider nur unzureichend Reflexion und Selbstkritik der für die Entwicklungspolitik verantwortlichen Politiker und Experten. Der verstorbene, renommierte afro-karibische Poet und Politiker Aime Cesaire meinte einmal: “Der Westen denkt nur in wirtschaftlichen, technischen und politischen Kategorien.” Diese Aussage trifft meines Erachtens den Kern des Dilemmas. Der afrikanische Kontinent, dessen Bevölkerung laut UN bis 2050 um das Doppelte auf 2,5 Milliarden anwachsen wird, steht vor immensen Herausforderungen.
Afrika allein für seine Misere verantwortlich zu machen, wäre allerdings zu kurz gegriffen. Mit gewaltigen Problemen sind die industrialisierten Geberländer ebenfalls konfrontiert, deren Lebensweise zunehmend auf dem Prüfstand steht. Zerstörer der globalen Lebensgrundlagen sind nicht die wirtschaftlich schwachen Länder.
Die Frage stellt sich, ob es klug und im eigenen Interesse ist, wenn die Industrienationen afrikanischen Gesellschaften ihr Lebensmodell weiterhin aufdrängen. Prof. Lepenies (Philosoph, Soziolog) hierzu: “Die Industriegesellschaften, die sich traditionell als Belehrungsgesellschaften verstehen, müssen zu Lerngesellschaften werden.” Mit anderen Worten: Hinhören, sich zurücknehmen und Bewusstseinsschärfung wären zielführender. Entwicklung kann nur von innen erfolgen, was genauso für die Überflussgesellschaften gilt.
Eine Hilfspolitik, die Defizite wie Missachtung afrikanischer Stimmen sowie die kulturelle Dimension ausblendet, ist unglaubwürdig. Wann endlich erfolgt ein offener, ehrlicher Diskurs zusammen mit anerkannten afrikanischen Führern über die schwierige Vereinbarkeit sozio-kultureller Unterschiede, haben sie doch fundamentalen Einfluss auf die Wirksamkeit der Hilfsbemühungen. Nach fünf Dekaden ernüchternder Hilfsbilanz sollte es möglich sein, das Tabuthema in die Debatten einzubringen.
Waren die Gründe zu Beginn der Entwicklungspolitik nachvollziehbar, so sehe ich die Tabuisierung heute als folgenschweres Versäumnis.
Einen Ansatz zu finden, der kulturübergreifend wirkt, wäre die eigentliche Herausforderung für beide Seiten - und eine Alternative zum kolonialen Vorgehen Chinas auf unserem Nachbarkontinent. Ich befürchte allerdings, dass die Gier nach Märkten, Ressourcen und Wohlstand - einhergehend mit dem Verhindern von Migration - das politische wie wirtschaftliche Leitbild bleiben wird.
Möglicherweise mit allen Konsequenzen.
Jürgen Haushalter
Meckenheim