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Für eine andere Entwicklungspolitik!

Beitrag vom 09.08.2018

FAZ

In Afrika müsste niemand hungern

Die Landwirtschaft in den meisten afrikanischen Ländern ist unproduktiv, weil es den Kleinbauern an Kapital und Wissen fehlt. Wie könnte die Entwicklung angeschoben werden?

ppl. FRANKFURT, 8. August. Fast ein Viertel aller Afrikaner südlich der Sahara sind unterernährt, mehr als 220 Millionen Menschen laut der Welternährungsorganisation FAO. Mehr als die Hälfte der stark wachsenden Bevölkerung in Zentralafrika leidet an Unterernährung, ein Drittel in Ostafrika, weniger in Westafrika. Dabei hätte die Landwirtschaft auf dem afrikanischen Kontinent Potential. Es gibt enorm große, teils unerschlossene fruchtbare Flächen und überwiegend günstige klimatische Bedingungen für reiche Ernten, sogar mehrmals im Jahr. Doch die Erträge bleiben mickrig.

Nur ein bis zwei Tonnen Getreide erzielen die afrikanischen Bauern je Hektar. In Europa, Amerika und Asien hat sich der Ertrag sei den sechziger Jahren auf mehr als 4 Tonnen je Hektar verdoppelt. Der Grund für die Misere in Afrika: die extrem geringe Produktivität der Kleinbauern, die 80 Prozent der Landwirtschaftsbetriebe ausmachen. Nur in Südafrika, Sambia, in Zimbabwe oder Kenia gibt es Farmer mit großen Flächen, oft Nachfahren weißer Siedler; sonst überwiegen kleine Subsistenzlandwirte.

Auf nur wenigen Hektar Acker bauen die Familien Maniok, Yams, Hirse, Reis oder Mais an. Sie haben keine Maschinen, höchstens einen Ochsen als Zugtier für den Pflug. Bewässerung gibt es nicht. Ein erheblicher Teil der Ernte wird von Schädlingen gefressen oder verschimmelt mangels Kühllagerräumen. Die Wege sind schlecht, nur ein kleiner Teil der Ernte wird auf lokalen Märkten angeboten. Überregionaler Verkauf ist kaum möglich. Anderswo halten nomadisierende Hirten kleine Kuhherden. Die unproduktive Landwirtschaft reicht mehr schlecht als recht zum Überleben.

„Das Problem ist extrem drängend, denn die Bevölkerung Afrikas wächst so schnell“, erklärt Reiner Klingholz, Chef des Berlin-Instituts für Bevölkerung und Entwicklung. Innerhalb der nächsten dreißig Jahre soll die Zahl der Menschen auf dem Schwarzen Kontinent sich mehr als verdoppeln, von derzeit gut einer Milliarde auf mehr als 2 Milliarden. Noch immer bekommen afrikanische Frauen im Durchschnitt gut 5 Kinder; deutlich mehr auf dem Land als in den Städten. Ein großer Teil der jungen afrikanischen Bevölkerung ist arbeitslos oder unterbeschäftigt. „Die Schere zwischen dem knappen Job-Angebot und der Bevölkerungszunahme geht immer weiter auf“, warnt er.

Der Landwirtschaft käme eine Schlüsselposition zu für die Entwicklung, denn höhere Produktivität und Einkommen der Bauern würden zu sinkenden Kinderzahlen und besseren Berufsperspektiven führen, wie das Berlin-Institut in einer aktuellen Studie*) ausführt, die an diesem Donnerstag veröffentlicht wird. „Die Zeit drängt sehr“, sagt Klingholz. Subsahara-Afrika könne von den Erfolgen anderer Weltregionen lernen, wo es gelungen ist, die Landwirtschaft so zu modernisieren, dass die Versorgung der Bevölkerung mit hochwertigen Lebensmitteln mehr als gesichert ist. Allerdings müsse Afrika darauf achten, nicht die Fehler zu wiederholen, die man in Europa und anderswo bei der Intensivierung der Landwirtschaft gemacht hat: Durch zu hohen Dünger- und Pestizideinsatz wird das Grundwasser gefährdet, und die Artenvielfalt geht bei übermäßiger Monokultur verloren.

Schon heute leiden weite Teile Afrikas unter einer gefährlichen Erosion und Degradierung der Böden. Die eher grobkörnige Erde ist durch Überbeanspruchung schnell ausgelaugt, Regen wäscht die Nährstoffe aus, der Wind bläst die dünne Humusschicht davon. Mehr als ein Viertel der Landfläche Subsahara-Afrikas, gar zwei Drittel der Ackerböden, sind ernsthaft gefährdet. Fast 200 Millionen Menschen sind davon betroffen. Erschwerend kommt der Klimawandel hinzu. Häufigere Trockenheit und Dürre bringt Ernteausfälle, denn Bewässerungssysteme sind rar. Was Afrika bislang kaum erfasst hat, ist die sogenannte „Grüne Revolution“. Mit verbessertem Saatgut, effizienter Düngung und Bewässerung hat man in asiatischen und anderen Entwicklungsländern seit den sechziger Jahren die Ernten in die Höhe getrieben.

Afrika hat bislang keine „Grüne Revolution“ erlebt. „Man müsste Wissen transferieren und investieren“, fordert Klingholz. Doch ein simples Kopieren der europäischen oder amerikanischen Landwirtschaft mit hohem Einsatz von Energie und Chemikalien geht nicht. Vielmehr sollte Afrika eine schonende, klimafreundliche Intensivierung der Landwirtschaft anstreben. Eine Mischwirtschaft aus Ackerbau und Viehhaltung kann helfen, den Nährstoffkreislauf zu schließen und Mineraldünger einzusparen, wenn der Kot des Viehs als Dünger dient.

Neue Technologie könnte auch beitragen, Ressourcen zu sparen. Etwa durch intelligente Bewässerungssysteme oder Methoden der Einsaat in kleinen Dosen. In Niger, Mali und Burkina Faso wurden Zehntausende Kleinbauern in Techniken der „konservierenden Einsaat“ geschult, die so ihre Hirse-Ernten teils verdoppeln konnten. Und afrikanische Ingenieure, etwa in Äthiopien an einem Forschungsinstitut, haben kleinere, einfache und billige Feldmaschinen entwickelt. Den Kleinbauern fehlt Zugang zur Finanzierung, dabei können Mikrokredite helfen. Auch die Gründung von Genossenschaften kann ein Weg sein, damit Kleinbauern die Produktion und den Verkauf professionalisieren.

„Es gibt nicht eine große Lösung für alle Probleme der afrikanischen Landwirtschaft, aber sehr viele Ideen und innovative Konzepte“, sagt Sabine Sütterlin vom Berlin-Institut. Ihre Studie nennt zahlreiche Beispiele. Beispielsweise erfahren Kleinbauern in Kenia über Apps auf ihren Mobiltelefonen wichtige Informationen über die Preise und die Nachfrage auf regionalen Märkten. Oft sind es recht einfache unternehmerische Initiativen, die einen großen Unterschied machen. In der tansanischen Metropole Daressalam hat ein Student eine kleine Firma gegründet, die aus den Bioabfällen der Stadt Kompost als organischen Dünger herstellt. Im Senegal, wo etwa 3,5 Millionen Menschen als Hirten leben, hat ein junger Veterinärmediziner namens Bagoré Bathily eine Molkerei gegründet, die Milch einsammelt, in einer Fabrik verarbeitet und verkauft. Außerdem hat er eine leistungsfähigere Rinderrasse eingeführt. In der Folge haben die Hirten ihre Produktion deutlich erhöht. Sie können nun besser davon leben, müssen nicht mehr als Nomaden herumziehen, ihre Kinder besuchen Schulen. „Bessere Bildung ist der Schlüssel dafür, dass die Geburtenraten sinken“, betont Demograph Klingholz.

Den afrikanischen Regierungen ist bewusst, dass sie die Landwirtschaft modernisieren müssten. Doch es geschieht zu wenig. Im Jahr 2003 hatten sich die Staaten der Afrikanischen Union verpflichtet, 10 Prozent ihrer Budgets jährlich in den Agrarsektor zu stecken, doch nur vier Länder haben diese Marke nach den Daten bis 2015 erreicht. Darunter Malawi, das verbessertes Saatgut und Dünger importiert und es mit Hilfe von Gutscheinen an die Bauern verteilt. Sie konnten ihre Maisproduktion so in kurzer Zeit verdoppeln. Auch in Äthiopien ist die Landwirtschaftspolitik sehr engagiert, betont Sütterlin. In vielen anderen Ländern aber mangelt es an politischer Initiative. „Alles ist sehr schwerfällig, bis die Regierungen handeln“, sagt sie.

Strukturell kommt ein großes Investitionshemmnis hinzu: In fast keinem afrikanischen Land existieren gesicherte individuelle Eigentumsrechte an Land, was zu häufigen Rechtsstreits führt und private Investoren abschreckt. Dass nach Zimbabwe nun auch Südafrika die entschädigungslose Enteignung weißer Farmer erwägt, muss als Menetekel gelten.

*)
https://www.berlin-institut.org/fileadmin/user_upload/Nahrung_Jobs_Nach…