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Beitrag vom 26.01.2018

FAZ

Der Schreckenstermin rückt immer näher

Trotz Rationierungen, Speisekarten mit wasserfreien Gerichten und Kompost-Toiletten geht Kapstadt das Wasser aus.

Von Claudia Bröll

KAPSTADT, 25. Januar. Am Flughafen in Johannesburg werden Passagiere nach Kapstadt auf trockene Zeiten eingestimmt. „Noch einmal geduscht vor dem Abflug?“ steht auf großen Plakaten. Ein Finanzdienstleister wirbt für Zwei-Minuten-Duschlieder zum Herunterladen, die namhafte Künstler für eine Kampagne aufgenommen haben. An ein längeres Duschvergnügen ist in Kapstadt ohnehin nicht zu denken.

Was sich in Johannesburg witzig anhört, schürt gut 1400 Kilometer weiter immer größere Nervosität: Der Küstenstadt, eine der modernsten in Afrika, geht das Wasser aus. Der Schreckenstermin rückt immer näher. Vergangene Woche wurde der 22.April prognostiziert, jetzt gilt schon der 12. April als „Day Zero“ – also der Tag, an dem in großen Teilen der Stadt nur noch tröpfchenweise oder gar kein Wasser mehr aus der Leitung fließen wird. Kapstadt wäre wohl die erste Metropole überhaupt, der ein Wassernotstand dieses Ausmaßes widerfährt.

Niemand weiß, wie das Leben in der Vier-Millionen-Stadt danach weitergeht. Die Szenarien reichen von Zigtausenden Menschen, die geduldig vor den wenigen öffentlichen Wasserstellen auf ihre 25-Liter-Ration pro Tag warten, bis zum völligen Kollaps des Wirtschaftslebens. „Es ist die Rückkehr in mittelalterliche Zeiten, als sich die Bürger über einen Brunnen in der Stadt versorgten“, sagt Anthony Turton von der Universität des Free State. Die Premierministerin des Westkaps, Helen Zille, appellierte an die Landesregierung, den Notstand auszurufen und einen gemeinsamen Krisenplan zu erarbeiten.

Auf einem Sportplatz am Fuß des Tafelbergs lässt sich das erahnen, was den Kapstädtern bevorsteht. „Water Point“ steht auf blauen Bannern, die wie auf einem Musikfestival im Wind wehen. Außen herum ragen reihenweise Metallblöcke mit Wasserschläuchen aus dem Boden. 200 solcher „Water Points“ soll es in der Stadt geben, die jeweils etwa 20000 Bürger versorgen. Sicherheitskräfte sollen darüber wachen, dass sich niemand zu viel abzapft oder zweimal am Tag vorbeikommt.

Doch zahlreiche Fragen sind offen: Wie kann eine vierköpfige Familie ohne Auto 100 Liter Wasser abtransportieren? Was machen ältere und gebrechliche Bürger? Müssen Unternehmen schließen, wenn die Mitarbeiter täglich stundenlang vor den Zapfsäulen Schlange stehen?

Nach den bisherigen Plänen soll im Stadtzentrum weiterhin Wasser aus der Leitung laufen, damit das Wirtschaftsleben nicht zum Erliegen kommt. Auch die informellen Armensiedlungen und lebenswichtige Institutionen wie Krankenhäuser sollen „Day Zero“ entgehen. Zudem schließt die Stadt Kooperationen mit privaten Unternehmen. Der Bierbrauer SAB versprach, immerhin zwölf Millionen Flaschen mit Wasser aus der Newlands-Quelle gratis abzufüllen und zu verteilen. Vor der Quelle stehen die Menschen schon jetzt jeden Tag mit Flaschen und Behältern Schlange.

Kapstadt wird durch sechs Staudämme versorgt, die sich normalerweise während der Regenfälle in den Wintermonaten füllen. Doch in den vergangenen drei Jahren fiel weniger Regen als sonst. Aktuell sind die Seen nur zu 26,9 Prozent gefüllt, der größte, der Theewaterskloof-Damm, sogar nur zu 13,9 Prozent. „Day Zero“ wird ausgerufen, wenn die 13,5-Prozent-Marke erreicht ist. Am fehlenden Regen allein liegt es nicht. Die Bevölkerung ist über die Jahre schnell gewachsen. Investitionen in die Wasserinfrastruktur blieben aus. Auch habe es wegen relativ niedriger Wasserpreise keinen großen Anreiz gegeben, Wasser zu sparen, sagt Claire Pengelly von der Nichtregierungsorganisation Green Cape.

Zwar tauchte schon vor Jahren immer wieder der Vorschlag auf, Meerwasserentsalzungsanlagen zu bauen. Doch das Risiko einer Jahrhundertdürre erschien damals gering, die Kosten enorm hoch. Andere Aufgaben hielt man für dringlicher. So hat die Stadt erst vor kurzem eilig sieben Projekte lanciert, um zusätzliche Wasserquellen zu erschließen: drei Entsalzungsanlagen, drei Grundwasserbohrungen und eine Anlage zum Wasserrecycling. Sechs davon hinken dem Zeitplan hinterher. Weitere Projekte würden je nach Bedarf angegangen, heißt es.

Die Quittung für das lange Zögern kommt jetzt: Viele Kapstädter spülen ihre Toilette nur noch einmal am Tag. Geduscht wird in großen Eimern, um das wertvolle Nass für die Toilette oder den Garten zu verwenden. Rasensprengen und Autowaschen sind verboten. Hotels haben die Stöpsel in den Badewannen entfernt. Immerhin ist der Wasserverbrauch aktuell mit rund 600 Millionen Liter am Tag nur noch etwa halb so hoch wie Anfang 2016. Doch auch das reicht nicht. Um „Day Zero“ hinauszuzögern, müsste er nochmals sinken, auf 450 Millionen Liter. Von kommender Woche an gelten nun Restriktionen der Stufe 6b. Jeder Bürger darf maximal 50 Liter am Tag verbrauchen, das entspricht einer Waschmaschinenladung oder 5,5 Toilettenspülungen. Wer sich nicht daran hält, hat drastische Strafen zu befürchten. Bisher verbrauchen aber nur 40 Prozent der Bevölkerung weniger oder genauso viel Wasser wie erlaubt. Jede Woche installiert die Stadt daher rund 2500 Messgeräte in den Haushalten. Sie schaltet die Wasserzufuhr ab, sobald die Höchstgrenze erreicht ist.
Erstaunlicherweise ist eine allgemeine Panik in der Bevölkerung bisher ausgeblieben – obwohl täglich neue bedrohliche Statistiken auftauchen. Das Vertrauen in die in Kapstadt regierende Partei Democratic Alliance aber hat schwer gelitten. In der vergangenen Woche entzog die Partei der Bürgermeisterin Patricia de Lille die Zuständigkeit für das Wassermanagement.

Doch Südafrikaner sind pragmatisch und an Eigeninitiative gewöhnt. In sozialen Medien gibt es viele Vorschläge zum Wassersparen und Überlebensstrategien: von Schmutzwasser-Recycling bis zu Camping-Duschen und Kompost-Toiletten. Hinweise, wo es noch günstig Wassertanks zu kaufen gibt, werden wie wertvolle Geheimtipps gehandelt. Um mit gutem Vorbild voranzugehen, lässt Zille die Öffentlichkeit über Twitter an den eigenen Wassersparaktionen teilnehmen: Da sind Fotos ihrer Füße im Eimer zu sehen und Bilder einer Tomate, die die Premierministerin mit wenig Wasser in einer Tasse wäscht.

So grotesk sich einige Vorschläge anhören – es geht um jeden Tropfen. „Besonders Unternehmer können mit kleinen Änderungen viel Wasser sparen“, sagt Pengelly. So bieten einige Restaurants neuerdings „wasserfreie“Gerichte auf der Speisekarte an: keine Nudeln, stattdessen gedünstete Gemüsesorten, die auch mit Meerwasser gedeihen. Kellner nutzen geschmolzene Eiswürfel zum Bodenwischen, einige Coffeeshops servieren Kaffee nur noch in Wegwerfbechern. Finanzstärkere Unternehmen wappnen sich im größeren Stil für die Krise. Der Krankenhausbetreiber Netcare beispielsweise installiert für eine neue Klinik eine eigene Meerwasserentsalzungsanlage.
Wasser sparen, vorsorgen und auf Regen warten – mehr bleibt den Kapstädtern nicht, um in letzter Minute doch noch den Ernstfall am Kap der Guten Hoffnung zu verhindern. Ein charismatischer Priester lud über die sozialen Medien zu einem Massengebet ein. Fünf Millionen Menschen wollte er dazu bewegen. „Wenn wir alle zusammen beten, wird Gott die Wasserschleusen öffnen und unsere Speicherseen füllen“, schrieb er. Am Donnerstag, einen Tag später, strahlte wieder die Sonne vom tiefblauen Himmel.