Beitrag vom 27.01.2017
Thuner Tagblatt
Das Dilemma der Entwicklungshelfer
Die Deza verschliesse sich einer Neuausrichtung hin auf Migrationsländer, klagen bürgerliche Politiker. Damit schneide sie sich ins eigene Fleisch. Doch die Deza sitzt auf einem Pulverfass. Sie weiss: Entwicklungshilfe verstärkt die Migration eher.
Christoph Aebischer
Am Freitag holt Manuel Sager, Chef der Direktion für Entwicklung und Zusammenarbeit (Deza), zur Rechtfertigung aus. Vor den Medien will er darlegen, wie effizient Schweizer Entwicklungshilfe ist. Deza-Kritiker SVP-Nationalrat Thomas Aeschi (ZG) begrüsst das zwar. Den Kurs der SVP werde dies aber kaum beeinflussen: «Die SVP wird beim Budget 2018 angesichts der knappen Ressourcen bei der Entwicklungszusammenarbeit das massive Wachstum zu bremsen versuchen», sagt er.
Elisabeth Schneider-Schneiter, CVP-Nationalrätin (BL), beobachtet den wachsenden Widerstand gegen die Entwicklungshilfe mit Sorge. Vergangenen September stimmte das nationale Parlament den elf Milliarden Franken für die internationale Zusammenarbeit in den Jahren 2017 bis 2020 (60 Prozent davon für Entwicklungshilfe, siehe Box) zwar zu, für kommende Budgetdebatten stehen die Vorzeichen allerdings weniger gut. Der Deza scheine dies zu entgehen: «Es fehlt ihr an politischem Bewusstsein», wirft die Nationalrätin der Direktion vor. Man erkenne die Zeichen der Zeit nicht und beharre «festgefahren» auf dem bisherigen Kurs.
Spielball der Interessen
In der Entwicklungshilfe engagierte Nichtregierungsorganisationen (NGOs), die mit der Deza zusammenarbeiten und deren Programme vom Bund mitfinanziert werden, sehen das anders. Etwa Mark Herkenrath, er arbeitet für Alliance Sud, der gemeinsamen Plattform verschiedener NGOs. Er stellt fest, dass der Druck sehr wohl Auswirkungen habe. In der Deza litten viele unter der Dauerkritik. Die Bearbeitung von Kürzungsanträgen aus der Politik absorbiere viel Energie, hört er von Deza-Mitarbeitenden. Einige Forderungen seien zudem höchst widersprüchlich und verhinderten einen kohärenten Kurs.
Elisabeth Schneider-Schneiter, CVP-Nationalrätin (BL), beobachtet den wachsenden Widerstand gegen die Entwicklungshilfe mit Sorge.
Der Druck stammt laut Herkenrath längst nicht nur von externer Seite. Die 2008 eingeleitete stärkere Einbindung ins Eidgenössische Departement für auswärtige Angelegenheiten (EDA) wirke nach. Die Einflussnahme der Bundesverwaltung kann laut Herkenrath diplomatische Motive haben, etwa die Aussicht auf ein Freihandelsabkommen oder wie aktuell in Eritrea im Nordosten Afrikas die Migrationsproblematik betreffen. Dort unterstützt der Bund Bestrebungen der EU, die illegale Migration in Zusammenarbeit mit der dortigen Regierung einzuschränken.
An Migration orientieren
Die vermehrte Ausrichtung auf die Migration ist Schneider-Schneiter recht. Sie verlangte im Parlament schon bei den Diskussionen um den Rahmenkredit eine Neuausrichtung der internationalen Zusammenarbeit – unter diesem Begriff wird auch die Entwicklungshilfe subsummiert. Schneider-Schneiter scheiterte jedoch.
Sie möchte das Engagement der Schweiz auf Migrationsländer in Afrika fokussieren. Damit soll der Zustrom an Wirtschaftsflüchtlingen eingedämmt werden. Mit einer Verstärkung der Berufsbildung sollen junge Menschen in ihrer Heimat eine Perspektive erhalten. Statt alles staatlich zu organisieren, will Schneider-Schneiter Kooperationen mit der Privatwirtschaft fördern. Leider sehe sie nur zaghafte Anzeichen für ein Umdenken.
Aeschis Urteil ist ungeschminkter: «Die linke Führung des Staatssekretariats für Migration ignoriert die Forderungen bürgerlicher Parlamentarier konsequent. Auch bei der Eritrea-Politik ist kein Kurswechsel in Sicht.»
Falsches Rezept
Das könnte durchaus System haben. Unter Spezialisten ist es nämlich längst ausgemacht, dass Entwicklungshilfe kein taugliches Instrument zur Verhinderung von Migration ist. Eine OECD-Studie kam bereits 2007 zum Schluss: Wenig deute darauf hin, dass wirtschaftliches Wachstum und sinkende Armut den Anreiz zur Auswanderung mildern würden. «In vielen Fällen hat steigendes Einkommen die Auswanderung noch beflügelt.»
Beschrieben wurde dieser Zusammenhang, der als sogenannter Migrationsbuckel bekannt wurde, schon Mitte der 90er-Jahre. Während die ärmste Bevölkerung kaum migriert, nimmt die Bereitschaft bei besseren Lebensumständen zu, vorerst vom Land in die Stadt und dann ins Ausland. Erst in einem späteren Stadium klingt die Welle ab. Allerdings nur bei einer guten Entwicklung des Staatswesens hin zu einem Rechtsstaat, in dem sich Einsatz auszahlt.
Studie unterstellt Taktik
Herkenrath von Alliance Sud – offenbar unbeirrt ob solcher Fakten – redet weiter dem politischen Mainstream das Wort, also einer Fokussierung auf Afrika. Er mahnt aber zu Geduld. Der Ausstieg aus Engagements in Asien und Südamerika sei absehbar. Die seit Jahren vorangetriebenen Projekte könnten jedoch nicht von heute auf morgen gestoppt werden. Damit würde das Erreichte gefährdet. Zudem drohe mit zu vielen Wechseln eine Verzettelung. Herkenrath bricht eine Lanze für die öffentliche Entwicklungszusammenarbeit der Schweiz: «Schon heute engagiert sie sich in fragilen Staaten und versucht, dort Inseln der Stabilität zu erhalten.» Das machten nur wenige, weil Rückschläge unvermeidlich seien.
Eine 2012 publizierte Studie des unabhängigen Thinktanks Foraus vermutet hinter solcher Rhetorik eine gute Portion Opportunismus. Dem Sinn nach funktioniert dies etwa so: Der Kampf gegen den Glauben, dass Entwicklungshilfe zur Migrationsvermeidung taugt, scheint aussichtslos. Also nutzt man ihn lieber für eigene Zwecke. Zuoberst auf der Agenda dürfte momentan stehen, Budgetkürzungen abzuwenden.
Deza bleibt stumm
Was die Deza dazu findet, ist nicht zu erfahren. Sie beantwortet laut der EDA-Pressestelle vor der heutigen Medienkonferenz keine Fragen. Die umfangreiche Botschaft des Bundesrats zum 2016 genehmigten Rahmenkredit rückt als Hauptziel der internationalen Zusammenarbeit zwar die Reduktion der Armut in den Fokus. Ein Zusammenhang zur Migration wird aber ebenfalls hergestellt: «Die Schweiz begegnet den aktuellen Notlagen und trägt dazu bei, Krisen, Konflikte, Klimawandel, Armut und Ungleichheiten, fehlende wirtschaftliche Perspektiven zu mindern und entsprechenden Fluchtbewegungen vorzubeugen.» Aktuell ist die Schweiz in rund siebzig Ländern aktiv.
Schneider-Schneiter glaubt an die Wirksamkeit der Entwicklungszusammenarbeit. Hinter den Kulissen setzt sie sich weiterhin für einen Kurswechsel ein. Ihre Enttäuschung über den Deza-Direktor Sager kann sie nicht verbergen: Sager handle «mutlos» und «ohne Visionen». «Er zeigt zu wenig Bereitschaft, die aktuellen Herausforderungen anzugehen.» Sager müsste interne Veränderungen angehen und es ihrer Meinung nach mit Seilschaften jahrzehntealter Programme aufnehmen. Die Notwendigkeit begründet sie politisch: Nur wenn die Schweiz selber auch einen Nutzen von den investierten Milliarden sehe, bleibe die politische Bereitschaft bestehen, die internationale Zusammenarbeit finanziell im heutigen Rahmen mitzutragen.
Zynische Rechnung
Aeschis SVP wird sie damit nicht an Bord holen. Aeschi legt die Latte dazu unerreichbar hoch: Abgesehen von der humanitären Hilfe, die bei Krisen Menschen in Not hilft, fehle der Leistungsausweis. Umdenken würde er erst, «wenn ein Zusammenhang spürbar wird, dass die Entwicklungshilfe auch tatsächlich die Wirtschaftsmigration verringern würde – doch bisher ist das Gegenteil der Fall». Aeschi weiss, dass dieser Nachweis kaum zu erbringen ist.
In der Zwischenzeit werden beim Bund hinter den Kulissen die Weichen auf mehr Repression zum Abfangen illegaler Migranten gestellt. Die Entwicklungshilfe mutiert zynisch gesehen zu einer Art Feigenblatt.
(Berner Zeitung)