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Beitrag vom 04.11.2016

IPG Internationale Politik und Gesellschaft

Südafrika

Skrupellos, korrupt, Zuma

Wie der ANC das politische und moralische Erbe Nelson Mandelas verspielt.

Von Renate Tenbusch

Im Wahlkampf 2014 hatte der amtierende Präsident Jacob Zuma erklärt, der African National Congress (ANC) werde Südafrika regieren, bis Jesus auf die Erde zurückkehre. Der Zeitpunkt könnte unmittelbar bevorstehen. Nicht zuletzt die Ergebnisse der Kommunalwahlen vom August 2016 stellten einen Dammbruch dar: Landesweit schrumpfte die Zustimmung zur ehemaligen Befreiungsbewegung und Partei von Nelson Mandela auf 54 Prozent und fiel damit unter die 60-Prozent-Marke - erstmals seit 1994 . Zugleich verlor der ANC die Regierungsmehrheit in drei wichtigen Metropolen: Johannesburg, Pretoria sowie Nelson Mandela Bay mit der wichtigen Hafenstadt Port Elisabeth. Dort stellt nun erstmals jeweils die Oppositionspartei Democratic Alliance (DA) den Bürgermeister. Allerdings ist diese als Minderheitsregierung jeweils auf die Tolerierung durch die Economic Freedom Fighters (EFF) angewiesen – eine sich linksradikal gebende, nationalistische Abspaltung des ANC.

Vertrauen verloren

Das Ergebnis der Kommunalwahlen war stark von der nationalen Politik, den Machtkämpfen innerhalb des ANC, der Regierungsallianz und den politischen Skandalen geprägt. Zunehmend frustriert und angewidert von der derzeitigen Regierungspolitik blieben viele Stammwähler des ANC zu Hause. Hier spielte die Zersplitterung der Arbeiterbewegung eine entscheidende Rolle.

Die weiße und zunehmend auch die neue schwarze Mittelschicht in den Städten wählte die DA. Die Strategie der Partei, die bislang als Partei der Weißen galt, mit einer neuen charismatischen schwarzen Führungsspitze in den Wahlkampf zu ziehen, ging auf. Sie erreichte mit landesweit 27 Prozent ihr bisher bestes Ergebnis. Die linksideologisch geprägten, schwarzen Studenten und jugendlichen Arbeitslosen in den Townships wendeten sich hingegen mehrheitlich der linksradikalen EFF zu. Dennoch blieben diese mit 8,2 Prozent hinter den Erwartungen zurück.

Die seit Jahren wachsenden sozialen Proteste in den Townships und die Proteste an den Universitäten sind Ausdruck einer großen Frustration der mehrheitlich schwarzen Bevölkerung. Vor allem die Millennials sehen bei einer Jugendarbeitslosigkeit von 70 Prozent keine Perspektiven. Die Wirtschaft stagniert. Die internationalen Rating-Agenturen drohen mit der Herabstufung auf Ramschstatus. Die politische Scharade um den Rausschmiss des Finanzministers Ende 2015, der die südafrikanische Währung in den Keller fallen ließ, zeigte allen, dass Präsident Zuma und seine Anhängerschaft den persönlichen Machterhalt über die vitalen nationalen Interessen stellen.

Politisch und moralisch am Ende?

Der ANC und in Folge die Regierungsallianz aus ANC, kommunistischer Partei (SACP) und Gewerkschaftsdachverband COSATU geriet während ihres 22-jährigen Bestehens schon mehrfach in schwieriges Fahrwasser, zuletzt unter Präsident Thabo Mbeki. Diesem hatten linksorientierte Kräfte in der eigenen Partei auf dem Kongress 2007 in Polokwane den Dolchstoß verpasst und Jacob Zuma an die Spitze der Partei und des Landes gehoben. Korruption und Patronage breiteten sich unter Präsident Zuma wie ein Krebsgeschwür aus. Hinzu kamen Missmanagement und die Vereinnahmung des Staates inklusive der Staatsbetriebe durch Familienangehörige und Freunde der Parteielite.

Seit Amtsübernahme Zumas im Jahr 2007 erschüttert ein Skandal nach dem anderen Partei und Regierung. Rechtsstaatlichkeit und demokratische Institutionen werden von einer skrupellosen Clique von Kleptokraten um den Präsidenten-Clan unterminiert. Auch das von der Staatsanwaltschaft initiierte Untersuchungsverfahren gegen den amtierenden Finanzminister, Pravin Gordhan, und hochrangige Beamte des Finanzamts sind eindeutig politisch motiviert und machen deutlich, wie skrupellos Präsident Zuma den Sicherheitsapparat und die Staatsanwaltschaft instrumentalisiert.

Die jüngste Entscheidung der Exekutive, vom Statut des Internationalen Strafgerichtshofs zurückzutreten, hat erneut international Schockwellen ausgelöst. Der Beschluss hierzu wurde bereits auf dem Parteikongress im Oktober 2015 gefasst, doch das Timing lässt darauf schließen, dass auch diese Entscheidung vornehmlich machtpolitischer Logik folgt. Im November 2016 sollte das Verfassungsgericht die beiden vorliegenden Gerichtsbeschlüsse, die das Handeln der Regierung im Fall Bashir als Verstoß gegen nationales und internationales Recht verurteilt haben, bestätigen. Die Regierung hat den Antrag beim Verfassungsgericht zurückgezogen und ist stattdessen vom Statut des IStGH zurückgetreten. Man wollte einfach eine weitere Niederlage vor dem Verfassungsgericht vermeiden. Die Gerichtsbeschlüsse, dass die Regierung einen Rechtsverstoß begangen hat, bleiben bestehen. Dem Präsidenten wurde bereits vom Verfassungsgericht ein klarer Verstoß gegen den Amtseid bescheinigt, und er musste die unrechtmäßig mit Steuermitteln finanzierte Renovierung an seinem Privatbesitz in Nkandla in Millionenhöhe zurückzahlen. Gleichzeitig droht die Wiederaufnahme von insgesamt knapp 800 Verfahren wegen Korruption und Betrugs im Zusammenhang mit einem Rüstungsskandal aus den 1990er Jahren gegen ihn und – last but not least – wurde am 2. November per Gerichtsbeschluss der Bericht der Ombudsperson veröffentlicht, der die Vereinnahmung des Staates (state capture) durch eine dem Präsidenten nahestehende Unternehmerfamilie (Gupta) belegt. Zuma und seine Mitstreiter hatten mit allen Mitteln versucht, die Veröffentlichung des Berichts zu verhindern.

Bisher stellte sich die nationale Führung des ANC hinter den Präsidenten und wurde von einigen wichtigen Provinzfürsten, der Frauenliga und der Jugendorganisation der Partei unterstützt. Gleichzeitig blockierte die ANC-Fraktion mit ihrer parlamentarischen Mehrheit jedes von der Opposition eingeleitete Untersuchungs- und Amtsenthebungsverfahren. Doch Partei und Allianz spalten sich in Gegner und Unterstützer. Während die Koalition der Unterstützer Zumas auch in der eigenen Partei und bei den Allianzpartnern COSATU und SACP zunehmend bröckelt, formieren sich die innerparteilichen Gegner Zumas, die dem reform- und werteorientierten Flügel im ANC zuzurechnen sind – darunter der parlamentarische chief whip des ANC, Jackson Mthembu, – in einer Allianz mit prominenten ANC-Veteranen aus Unternehmern, Zivilgesellschaft und Gewerkschaften. Aktuell hat sich die Führung der größten im Dachverband COSATU verbliebenen Einzelgewerkschaft des öffentlichen Dienstes NEHAWU der Allianz der Zuma-Gegner angeschlossen. Sie alle stellten sich hinter den Finanzminister und seinen Kollegen vom Finanzamt und fordern den Rücktritt Zumas. Der Staatsanwalt hat auf den Druck reagiert und alle drei Strafanträge zurückgenommen. Die Wahlergebnisse waren ein klares Alarmsignal. In den Medien wird berichtet, dass eine interne, bisher nicht veröffentliche Studie des ANC belegt, dass eine Mehrheit der ANC-Mitglieder den Rücktritt der Parteiführung und Rechenschaft für die Verfehlungen des Präsidenten einfordert. Ein „Weiter so“ scheint nicht mehr möglich.

Ist der ANC noch reformierbar?

Südafrika braucht dringend eine Partei und Regierung, die nachhaltige wirtschaftliche und soziale Transformationsprozesse im Land voranbringt, demokratische Stabilität wiederherstellt und den sozialen Zusammenhalt stärkt. Partei und Regierung müssen nach rechtsstaatlichen Prinzipien handeln und die grundsätzlichen Konflikte im Dialog mit den Menschen auf allen Regierungsebenen angehen, um das Vertrauen der Bürger in die Demokratie zurückzugewinnen und den sozialen Zusammenhalt zu stärken.

Kann dies der ANC noch leisten? Der ANC ist mehr eine Marke als eine Partei. Unabhängig davon, ob Präsident Zuma vorzeitig zurücktritt oder bis zum Parteitag im Amt bleibt: Die politischen Kräfte werden sich hinter dieser Marke neu sortieren. Die Hoffnungsträger jener, die an die Erneuerungsfähigkeit des ANC glauben, sind die moderaten eher sozialdemokratischen Kräfte in der Partei, zu denen einige der aktuellen Kabinettsmitglieder zählen, allen voran der Finanzminister, aber auch der Landesverband des ANC in der wirtschaftlich stärksten Provinz Gauteng sowie prominente ANC-Veteranen. Spätestens auf dem Parteikongress im Jahr 2017 wird sich zeigen, ob der ANC sich aus den Klauen der derzeitigen Führung befreien kann und zu grundlegenden innerparteilichen Reformen fähig und willens ist. Dann stehen die Wahl einer neuen Führung und die Nominierung des Präsidentschaftskandidaten für 2019 an.

Wichtige Rolle, aber nicht mehr dominant

Zum ersten Mal in der jungen demokratischen Geschichte Südafrikas steht eine starke Opposition bereit. Noch ist keine der Oppositionsparteien allein mehrheitsfähig. Von den linken progressiven Wählern wird zu Recht befürchtet, dass die DA mit ihrem primär marktliberalen Ansatz die tiefen sozialen und gesellschaftlichen Gegensätze verschärfen würde, während die EFF für eine Mehrheit der Bevölkerung keine wirklich progressiven Alternativen bietet. Vielmehr würde sie mit ihrer nationalistischen Agenda die politische und wirtschaftliche Isolierung des Landes nur vorantreiben. Alle Parteien müssen sich auf die Möglichkeit von Koalitionsregierungen auf nationaler wie Provinzebene einstellen. Da sich sowohl der EFF als auch die neue linke politische Plattform aus sozialen Bewegungen und Gewerkschaften auf die Freedom Charta und die Strategie der Nationalen Demokratischen Revolution des ANC berufen und selbst die DA die Werte Nelson Mandelas als Leitlinien postuliert, wäre in allen Konstellationen eine gemeinsame Basis vorhanden. Ob man sich auf eine gemeinsame progressive Politik einigen kann, die den großen Herausforderungen des Landes Rechnung trägt, muss sich zeigen. Dass es mit der DA und dem EFF nun endlich eine starke und wettbewerbsfähige Opposition gibt, ist für die Erneuerung des ANC und die Demokratie in Südafrika förderlich. Parteienpluralismus und auch Koalitionen tragen zum Wettbewerb von Programmen bei und stärken die politische Kompromissfähigkeit und das politische Bürgerengagement. Dies wurde bisher durch die Dominanz des ANC erstickt.

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Renate Tenbusch leitet seit Oktober 2013 das Büro der Friedrich-Ebert-Stiftung (FES) in Johannesburg, Südafrika. Zuvor war sie in der FES Berlin als Koordinatorin zuständig für die Gewerkschaftsarbeit in Afrika südlich der Sahara und vom FES Büro Neu-Delhi aus leitete sie das Regionalprojekt in Südasien. Sie studierte Politische Wissenschaft, Germanistik und Anglistik an der Universität Köln.