Beitrag vom 10.10.2016
katholisch.de
"Nicht Mitleid, sondern Zorn"
Kurt Gerhardt über unbegleitete Flüchtlingskinder
Immer wieder Meldungen und Berichte über unbegleitete minderjährige Flüchtlinge! Etliche Zehntausend gibt es von ihnen allein in Deutschland. Als ich zum ersten Mal Bilder aus Lampedusa sah, auf denen gezeigt wurde, wie vor allem Kinder aus Westafrika an Land geholt wurden, die ohne Eltern angekommen waren, war mein unmittelbares Gefühl nicht Mitleid, sondern Zorn.
Was müssen das für Rabeneltern sein, sagte ich mir, die ihre Kinder auf solche Fluchtboote schicken und sie damit der Todesgefahr aussetzen! Was kann der Grund für solches Verhalten sein? Politische Verfolgung sicher nicht, sonst hätten ja die Eltern fliehen müssen. Wirtschaftliche oder sonstige Nöte lagen auch nicht nahe, denn in Westafrika waren zu der Zeit und seitdem keine Hungersnöte und keine Bürgerkriege. Wahrscheinlicher ist ein kaltes Spiel mit der Todesgefahr:
Die Eltern sagen sich wahrscheinlich, Kinder werden sie von Europa sicher nicht zurückschicken. Und wenn die erst mal da sind, können wir bald hinterherkommen. Um meinen Verdacht solcher elterlichen Grausamkeit zu überprüfen, fragte ich westafrikanische Freunde nach ihrer Einschätzung. Sie bestätigten meine Vermutung und fügten hinzu, in Westafrika seien die meisten Eltern muslimisch, und wenn die vom Ertrinken eines Kindes erführen, würden sie sich in ihr Schicksal fügen und sagen: Gott hat es so gewollt.
Das mag vergröbert klingen und im Einzelfall korrigiert werden müssen. Sicher gibt es Eltern, die bei der Flucht im Mittelmeer umgekommen sind, und die Kinder blieben übrig. Aber bestimmt ist das nicht die Mehrzahl. Die meisten Kinder dürften bewusst und kalkuliert auf die Todesboote geschickt worden sein.
Das interessiert bei uns offenbar kaum jemanden, jedenfalls in den Medien nicht. Keine einzige kritische Frage dazu habe ich in den letzten Monaten je in ihnen gefunden – mit einer Ausnahme. Vor kurzem hat ein Autor in "Christ in der Gegenwart" den Mut gehabt, zu fragen, welche "Moral" eigentlich die Eltern beziehungsweise Verwandten hätten, "derart verantwortungslos die eigenen Kinder preiszugeben und wegzuschicken, oft direkt ins Verderben." Es wäre verantwortungsvoll, diese Frage öffentlich ins Licht zu rücken und darauf angemessene Antworten zu suchen.
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Kurt Gerhardt ist ehemaliger WDR-Redakteur und sitzt im Vorstand des Katholikenausschusses der Stadt Köln.